Über die Kontaktschuld oder wie Staatsfeinde produziert werden
Wenn Carl Schmitt die zentralen Begriffe des politischen Diskurses als sökularisierte Begriffe des theologischen erachtet, dann müßte auch der des Feindes ein urprünglich theologischer sein, der Staatsfeind so eine säkularisierte Gestalt des Feindes schlechthin, des Satans, des Teufels. Die Verteufelung des politischen Gegners gehörte so zum Geschäft der Politik. Nun wird im aktuellen politischen Diskurs weniger von Staatsfeinden als von Rechtsextremisten, Populisten und Ultraconservativen geschrieben, aber faktisch werden die so Bezeichneten doch damit als Staatsfeinde markiert, als Objekte, mit denen man nicht mehr spricht und die vorrangig in das Betätigungsfeld des Verfassungsschutzes gehört und nicht mehr wie in religiösen Zeiten der kirchlichen Inquisition zugeordnet werden.
Nun könnte es einem aufmerksamen Leser auffallen, daß tatsächlich der Staatsschutz trotz seiner Fokussierung auf seinen Kampf gegen Rechts auch noch den Linksextremismus im Auge behält. Die Methoden der Feinderkennung sind nun wirklich bewunderungswürdig.
Die „Junge Welt“ berichtet darüber am 4.6.2024, wie sie nun diese Zeitung zu einem Objekt der Beobachtung durch den Verfassungsschutz wurde: „Marxismus im Visier“. „Behauptet wird, dass »einzelne Autoren und Redaktionsmitglieder« dem »linksextremistischen« Spektrum zuzuordnen seien. Einer der Belege: Der Chefredakteur der jW sei biertrinkend auf einem UZ-Pressefest gesehen worden. Zudem unterhalte die Zeitung ein »Aktionsbüro«. Das ist zwar für Abowerbeaktionen auf Demonstrationen und Messen zuständig, wird aber als Beleg dafür gesehen, dass es umstürzlerische Absichten gäbe.“
Das UZ-Pressefest meint eine politische Kulturveranstaltung der DKP-Parteizitung. Wer da ein Bier trinkt, steht zumindest unter dem Verdacht, ein Staatsfeind zu sein! Das ist ein Musterbeispiel der Praktizierung der Kontaktschuld: Extremistische politische Vorstellungen seien vergleichbar mit einer ansteckenden Krankheit, sodaß bei ungeschützten Kontakten eine sehr hohe Infektionsgefahr bestünde. Wer also auf einer linksradicalen Veranstaltung ein Bier trinkt, hat so als infiziert zu gelten.Das gilt genauso für rechte Veranstaltungen. „Zudem unterhalte die Zeitung ein »Aktionsbüro«. Das ist zwar für Abowerbeaktionen auf Demonstrationen und Messen zuständig, wird aber als Beleg dafür gesehen, dass es umstürzlerische Absichten gäbe.“ Über so viel analytischen Scharfblick kann man nur staunen.
Aber gibt es denn nicht auch noch Gehaltvolleres? „Aus Artikeln gehe hervor, dass die Zeitung »von einem bestehenden Klassenkampf ausgehe« und die Verhältnisse für veränderbar halte. Schon die – auch von einer Vielzahl bürgerlicher Sozialwissenschaftler geteilte – Erkenntnis von der Existenz unterschiedlicher Gesellschaftsklassen verstoße gegen das Grundgesetz. »Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln«, behauptet die Bundesregierung auf parlamentarische Anfrage.“
Nehmen wir das mal ernst: Manche meinen, in Deutschland existierte eine 2 Klassenmedizin, die für die Gutverdiener und die für die Anderen. Diese Aussage widerspricht also dem Grundgesetz, da es der Menschenwürde widerstreite, ihn als einen Teil einer Klasse, eines Kollektives anzusehen. Dann dürfte man auch nicht mehr von Schichten reden, etwa von der Ober-,der Mittel- und der Unterschicht, weil auch das der Würde des Menschen widerspräche und schon gar nicht dürfe dann von einem schichtspezifischen Sozialverhalten, wie es in der Soziologie üblich ist, geschrieben werden, da das der Freiheit des Einzelnen widerspräche.
Das argumentative Vorgehen besticht dabei durch seine Eleganz: Man nimmt eine Aussage des Grundgesetzes, die normiert: So soll es sein!- und setzt sie gleich mit der deskriptiven Aussage: So ist es!- um zu folgern, daß jeder, der sagt, daß es nicht so sei, wie es sein soll, faktisch ein Staatsfeind ist. Nach dem Grundgesetz dürfe es keine Klassen und auch keine Schichten geben, da das der Normativität der Gleichheit der Menschenwürde widerspräche und deshalb gibt es die auch nicht, denn in diesem Staate gälte, daß die Wirklichkeit so sei wie sie sein soll, die Realität eins sei mit der Idealität des Grundgesetzes.
Einem aufmerksamen Leser dürfte aufgefallen sein, daß das auch den Kern der Verteufelung des sog völkischen Nationalismus ausmacht. Dem Grundgesetz widerspricht so auch die Behauptung, daß das Volk als eine ethnische Substanz, als ein Subjekt existiere, denn es gäbe nach dem Grundgesetz nur den Einzelmenschen, der sich politisch zu einem Staatsvolk mit anderen verbinden könne, der aber nie einem Kollektiv, wie dem eines Volkes oder einer Klasse angehören könne und dürfe.
Aber der wahre Feind steht rechts. „Zuerst“ berichtet am 8.6. 2024: „Weil sie die „falschen“ Konzerte besucht hat: Finanzbeamtin soll gekündigt werden.“
„In Brandenburg soll nun eine Beamtin im Finanzministerium Opfer der neuen Regelung werden. Ihr wird unterstellt, sie habe Kontakte zur rechten Szene unterhalten und „Rechtsrockkonzerte“ besucht.“ Das „und“ ist hier nicht addidativ zu lesen sondern explikativ: „Das ist, sie hat ein solches Konzert besucht!“ Wer falsche Musik hört, gar ein rechtes Konzert besucht, dürfe also nicht mehr Beamter sein.
Aber „das Verwaltungsgericht Potsdam wies eine Klage des Ministeriums auf Entfernung aus dem Dienst ab. Aus seiner Sicht wurden keine nachvollziehbaren und ausreichenden Erkenntnisse vorgebracht, die den Verdacht auf ein „rechtsextremes“ Verhalten belegten. „Die Kammer konnte nicht feststellen, daß die Beamtin ein Dienstvergehen begangen hatte“, teilte ein Sprecher des Potsdamer Verwaltungsgerichts mit.“ Hier hat ganz offenkundig das Gericht versagt, hätte es doch im Sinne des Kampfes gegen Rechts der Entfernung dieser Beamtin aus dem öffentlichen Dienst zustimmen müssen,denn sie verstieß gegen das Kontaktverbot. Wenn schon ein Biertrinken an einem politisch falschem Stand den Biertrinker kontaminiert, um wie viel mehr dann ein falsche Musik hören.
Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß hier der politische Wille: „Wir brauchen Feinde!“ die Feinde erst hervorbringt, die man dann zu bekämpfen hat. Das Kontaktverbot wirkt dabei wie ein phantastischer Multiplikator: Jeder mit einem Falschkontakt vermehrt die Zahl der Staatsfeinde und bestätigt so die Notwendigkeit, noch energischer gegen alles Oppositionelle vorzugehen.
Und noch etwas lernen wir: In Deutschland ist die Realität die verwirklichte Normativität des Grundgesetzes, sodaß eine Kritik der Realität tendenziell ein Akt einer verfassungsfeindlichen Gesinnung ist.
Zusatz:
Eine Gesellschaft zu spalten in die Guten und die Bösen, ist nun mal ein bewährtes Mittel, sie als Ganzes zu beherrschen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen