Freitag, 12. Oktober 2018

"Was will uns der Künstler damit sagen?" Eine antiquirte Frage?

"Ich verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen. Aber ich fürchte, die einen werden es lesen, wie ein Compendium, und um das fabula docet sich zu sehr bekümmern;indess die andern gar zu leicht es nehmen, und beede Theile verstehen es nicht."Friedrich Hölderlin, aus der Vorrede zum "Hyperion". 
Kunstwerke, aber besonders literarische Texte stehen in dem Rufe, daß in ihnen eine Lehre, eine Doktrin präsent, wenn auch verborgen enthalten ist, sodaß zu fragen ist: Was lehrt uns diese "Fabel", dieser Text? Im Schulunterricht ergibt das die berühmte Lehrerfrage, was denn der Künstler uns damit sagen wolle.Erstaunlicherweise lautet das Ergebnis solcher Schulstunden, daß es viele mögliche Antworten auf diese Frage gibt, daß nicht zwischen einer wahren und den unwahren Aussagen unterschieden werden könne, daß aber jede Antwort legitim sei, wenn sie nur gut begründet ist. Das pädagogische Ziel ist so wohl die Einführung in die bunte Vielfalt des Meinens. 
Nur, was setzt diese einfache Frage alles voraus? A) daß dem Text eine Lehre, eine Aussage zu Grunde liegt, B) der der Autor vor dem Verfassen des Textes als Autorenintention sich bewußt ist, daß C) der Text nur dazu dient, diese Aussage zu vermitteln und daß D) der Text erst verstanden wird, wenn die Autorenaussageintention aus dem Text herausexegetisiert worden ist. 
Aber warum verschlüsselt dann der Autor so seine Botschaft, warum verkündet er nicht gleich, was seine Fabel lehren will? Die künstlerische Gestaltung des Textes wäre dann sozusagen einem Geschenkpapier ähnlich, das es auszupacken gilt, um die darin eingepackte Wahrheit herauszuholen. Ist also die Kunst nur ein Transportmedium zur Vermittelung von Autorenbotshaften?
Spontan drängt sich da der Eindruck auf, daß hier die Form der Propaganda als die Kunstfunktion überhaupt angesehen wird. Wird für politische Zwecke ein Text gestaltet oder für Werbezwecke, dann mag so die Textproduktion vor sich gehen- ist das aber auch die Weise, wie jeder literarische Text entsteht?
Fangen wir beim Sprechen und Schreiben an? Schenken wir Sigmund Freud Gehör, wird uns aufgezeigt, daß unser Sprechen und Schreiben nicht nur unser Bewußtes als Subjekt des Redens und Schreibens aufweist, sondern eben auch das Unterbewußte: Wir sagen eben mehr als uns bewußt ist. Zudem benutzen wir eine bestimmte Sprache, in der wir denken, reden und schreiben. Ist das so sprachlich Formulierte nicht reicher an Gehalt als das, was wir als Subjekt des Formulierens uns bewußt sind. So ist es ja ein bekanntes Phänomen, daß Kritiker literarischer Texte oft in ihnen mehr an Gehalt finden, als dem Autoren bewußt war bei seinem Formulieren. Wenn dem nicht so wäre, könnte ja die ganze Literaturkritik ersetzt werden durch die Bekenntnisse der Autoren, was sie denn  eigentlich hätten sagen wollen. 
Fragen wir weiter: Ist die Polyinterpretabilität eines literarischen Textes ein bedauerliche Folge unklaren Formulierens, da ja das Ideal ein eindeutig formulierter Text ist, in der sich klar die Autorenintention manifestiert. Ist etwa so jeder gelungene Text ein Manifest: Das will der Autor der Welt mitteilen! Oder ist vielleicht die Polyinterpreabilität etwas Gewolltes, weil es nichts Eindeutiges gibt, was der Text vermitteln soll. Denken wir an große Erzähler, an Karl May, Tolkien- da gibt es wohl kaum eine Botschaft, die durch diese Texte vermitelt werden sollen, denn hier ist der Text und nur er die "Botschaft".Denkbar wäre nun der Einwand, daß das eben die Trivialität dieser Erzähler ausmache, daß sie nur "unterhalten" wollen, wohingegen ernste Literatur eine Botschaft verkündet und daß das das Niveauvolle dieser Literatur ist. Nur, liest man so Umberto Eco. kann man nicht übersehen, daß etwa: "Der Name der Rose" und noch gelungener: "Das foucaultsche Pendel" gediegene Meisterwerke der (postmodernen)Erzählkunst sind, dagegen sein "Friedhof in Prag" unter der zu offensichtlichen Intention, ein Buch wider rechte Verschwörungstheorien zu schreiben, leidet. Wo sonst feinsinnige Ironie, das Spiel mit divergierenden Wahrheitsansprüchen, die Verwirrung von real und fiktional die Texte auszeichnet, wird hier der Roman zu einem Schwarz-weiß-Gemälde, das dem Auge einfach als zu trist mißfällt.(Ähnliches findet sich bei Georg Lukacs, wenn man seine gediegene Studie zum jungen Hegel oder seine  "Theorie des Romanes" vergleicht mit seinem schwächsten Werk, "Die Zerstörung der Vernuft", das eben auch ob seiner holzschnittartigen Schwarz-weiß-Malerlei mißfallen muß.) 
Wendet man sich nun gar den Epochenromanen des 20.Jahrhundertes zu, wozu gewiß Thomas Manns "Der Zauberberg" und Robert Musils: "Der Mann ohne Eigenschaften" gehören, dann ist hier eine eindeutige Botschaft des Autoren nicht erkennbar, weil es sie wirklich nicht gibt.
Wenn ein Ehemann, Fußball schauend zu seiner Frau sagt, bring doch bitte ein gekühltes Bier aus dem Kühlschrank!,dann ist das wahrlich eine eindeutige Aussage, aber so funktioniert nicht ein literarischer Text, und schon gar nicht ein Roman des Niveaus von: "Der Mann ohne Eigenschaften". 
Wie nun, wenn die literaische Qualität eines Romanes gerade darin bestünde, daß unendlich viele Deutungen er ermöglicht, daß das gerade seine Vitalität ist?Lesen wäre dann ein produktiver Akt, durch den erst das Gelesene verlebendigt wird, in dem in jedem Lesenden ein anders gelesen und verstandener Text entsteht? Dagegen wäre ein Text, der gerade nur eine Ausdeutung zuläßt,ein rein agitatorischer- vielleicht mißfällen Bertold Brecht Texte deshalb, weil in ihnen eine Tendenz zum so Agitatorischen erkennbar ist? 
Aber was bleibt dann von der Autorenintetion?Ist es mit ihr so, wie mit dem, der eine Flaschenpost ins Meer wird, daß sich die Flaschenpost davon schwimmend vom Hineinwerfer sich entfernt wie der Text vom Autor? Verobjektiviert sich der literarische Text, indem er die Autorenintention hinter sich läßt und sich so erst öffnet für ein Gelesenwerden, in dem der Text immer wieder neu erst erschlossen wird? 
Was ist dann der literarische Text, wenn er kein Compendium ist und wenn es keine Fabel ist, die uns was lehrt? Am nichtssagendsten fallen die Versuche aus, diese Frage aus der Biographie des Autoren zu beantworten. Der Autor habe dies und das erlebt und das habe er dann in dem Roman verarbeitet. Das vom Autoren Erlebte und das in einem Roman Geschriebene, das beides gehört zwei ganz verschiedenen Welten an, die jeweils ganz anders strukturiert sind. Zur Veranschaulichung: Wie unsinnig ist es, aus Kenntnissen vom Bauer in der Landwirtschaft auf die Bedeutung des Bauern im Schachspiel zu schließen! Der selbe Begriff des Bauern bedeutet in der Sphäre der Landwirtschaft etwas ganz anderes als in der des Schachspieles. Das gilt so auch von Ereignissen im Leben des Autoren und den in einem Roman  geschilderten Ereignissen. 
Was fehlt, ist meines Erachtens eine Theorie des literarischen Textes! 

Zusatz:
Ganz aus der Zeitgeistgeschmacksmode herausgefallen ist die einstge etwas reductionstisch wirkende Vorstellug, daß die Literatur die gesellschaftliche Wirklichhkeit widerzuspiegen habe und daß das Niveau dann in der gesellschaftskritischen Intention bestünde. So lobte etwa die Literaturkritk der DDR Balzacs Romane, was wohl noch mit Mühe bei seinem Roman: "Verlorene Illusionen" gehen mag, aber bei den "Tolldreisten Geschichten" völlig verfehlt wirkt. Was ist literarischer Realismus dann, wenn er nicht einfach Wirklichkeiten widerspiegelt?             
        

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