Ein aufschlußreicher Dialog über zeitgemäße Malerei findet sich in Thomas Manns Erzählung: "Die Betrogene" (zitiert nach: Thomas Mann, Die Erzählungen, Fischer 1997,S.906-979):
Eine Mutter debatiert mit ihrer Tochter, einer Nachwuchsmalerin über die Norm der Zeitgemäßheit der Kunst. Nachdem die Mutter ihrer Tochter skizziert hat, wie gemalt werden sollte, respondiert die Tochter so:
1. "Halt, halt Mama! Du hast ja eine ausschweifende Phantasie.Aber so kann man doch nicht mehr malen!" (S.909). Das Man diktiert, wie was jetzt zu malen ist. Die Phantasie will nun dies: Mandiktat außer Kraft setzen, indem sie sich einfach Möglichkeiten des Wie-Was-Malens erträumt. Aber die realistische Tochter muß hier die träumerisch veranlagte Mutter zurückrufen.
2. Die Mutter mißversteht dies Man: Du könntest so nicht malen, wie es mir vorschwebt, frägt sie.
3. Die Tochter korrigiert: "Du mißverstehst mich,Mama. Es handelt sich nicht darum, ob ich es könnte. Man kann es nicht. Der Stand von Zeit und Kunst läßt das nicht mehr zu." (S.909) Es gibt also die Norm der Zeit, die das, das Künstlerich wohl könnte, ihm nicht erlaubt.Was man nicht darf, das darf das Ich des Künstlers auch nicht, auch wenn es das kann. Das Nichtkönnen bedeutet hier also nicht ein Unvermögen sondern etwas Unerlaubtes. Der Einzelkünstler muß sich so dem Man unterordnen, wenn der Künstler als Künstler anerkannt werden will.
4. Die Mutter versteht nun das Anliegen ihrer Tochter: Das "fortschreitende Leben" verlangt, daß die Kunst nicht zurückbleiben darf. (S.909) Das Leben wird nun gedeutet als eine progressive Entwickelung, sodaß nur die Kunst legitim ist, die auf der Höhe der Zeit sich selbst bewegt.
Die Mutter urteilt nun: "Desto trauriger für Zeit und Kunst!" (S.909).Der Fortschritt bringt eine Kunst hervor, die der Mutter nicht gefällt, aber sie muß es akzeptieren, daß ihr Kunstgeschmack nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist, denn sie ist eben in der Vergangenheit mit ihrem Kunstverständnis verblieben.Die Phantasie wäre nun die Kraft, sich aus dieser Zeitgebundenheit zu emanzipieren, um Kunst so hervorzubringen, wie es ein freier Künstler wohl möchte. Aber der Künstler ist faktisch ein Gefangener seiner Zeit, des Zeitgeistes, der ihm das Wie-Was- Hervorbringen als Kunstwerk vorschreibt. Die Normativität der Zeit, daß die künstlerischen Hervorbringungen zeitgemäß zu sein haben, legitimiert sich nun durch dies besondere Verständnis der Zeit als einen progressiven Prozeß vom Dunklen zum Immerhellerwerdenden. Was gestern noch als Kunst galt, kann dem Heutigen schon nur noch Kitsch sein, so der Entwertungsprozeß der unaufhaltsam voranschreitenden Zeit.
Was passiert aber, wenn der Glaube an diesen Fortschrittsprogreß sich auflöst? Kann dann die Zeit noch die Norm für Kunstwerke sein? Ein Verdacht drängt sich aber auf, daß nicht nur in der Kunst, sondern auch in allen Geisteswissenschaften aber gerade auch in der Theologie noch immer die Zeitgemäßheit die Norm bildet.
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