Donnerstag, 7. November 2019

Irritierendes: Das Christentum -eine Buchreligion?

Spontan erhebt sich da doch der einsichtige Einwand, daß im Zentrum unserer Religion Jesus Christus, bzw. der dreieinige Gott stünde, oder moderner: spezifische Gotteserfahrungen vom Exodus aus Ägypten bis zum Ostersonntag, daß Jesus von Gläubigen als lebend erfahren  wurde. Das Eigentliche würde dann nur durch die Schriften der Bibel wiedergegeben, seien so aber doch nur eher Hinweisschilder auf das Eigentliche und nicht das Eigentliche selbst.Im Hintergrund steht eine kompexe metaphysisch zu brennende Vorstellung:

1. Die Schrift ist dem gesprochenen Wort nachgeordnet.

2. Das gesprochene Wort gibt nur das innerlich Gedachte wieder.

3. Das innerlich Gedachte ist das Eigentliche, das selbst unmittelbar ohne Sprache in mir ist.
    Alles Versprachlichte ist ja schon ein durch die Sprache Vermitteltes und  somit nicht mehr
    unmittelbar. Aber nur das Unmittelbare ist mir das Wahre.

Jedes Ereignis fände so einen Widerhall in mir selbst, aber in dem Prozeß der Vermittelung in eine Sprache und der Veräußerung in die Schrift, die Verschriftlichung verliert das Ereignis, so wie ich es erlebte, an Authenzität und wird so auch verfälscht. Der Text, die Schrift also ist so der entfernteste Ausdruck des ursprünglich Erlebten. So müsse eben die hl. Schrift auf das unter ihr liegende Eigentliche zurückgeführt werden, das sich dann verfremdet in dem sprachlich verfaßten Text wiederfände.  In Gerichtsprozessen liegen verschriftliche Aussagen von Zeugen vor und es ist nun die Aufgabe des Richters, sie auf ihren Wert für die vor Gericht behandelte Causa zu beurteilen.

Soll so nun auch der Bibelleser Richter über die Texte der hl. Schrift sein?  Faktisch erhebt der moderne Umgang den Lesenden zu solch einem Richtersein und versetzt die hl. Schrift in den Anklagestand, daß sie evtl das Eigentliche nicht wahrheitsgemäß wiedergäbe. Und schon die Versprachlichung  sei das erste Problem: Kann denn überhaupt die Sprache die Wirklichkeit objektiv wiedergeben oder verformt sie sie durch ihre Struktur, daß etwa jedes Ereignis uns durch die Sprachlichkeit des Denkens etwas wird, das wir als Subjekt- Prädikat aussprechen. Nietzsche kritsiert das etwa durch ein Beispiel wie: Das Ereignis des Donners und Blitzes wird versprachlicht zu: Der Donner (Subjekt) donnert (Prädikat), der Blitz blitzt, wo es doch nur ein Ereignis gäbe. So ließe schon die Versprachlichung das Eigentliche nicht mehr erfahrbar machen.

Dies ist wohl einer der Gründe, warum heutzutage selbst in unserer Buchreligion Medititationen und Ähnliches auf so viel Interesse stoßen. Denn darin wird das Unmittelbare, das Nichtvermittelte gesucht als meine authentische Erfahrung vom "Göttlichen". In der Stille könne Gott, wenn überhaupt noch, nur noch erfahren werden, im Weg in das Innerste des Menschen, der weltabgewandt dann in sich das Göttliche erspüren könne. Wie fad und profan ist dagegen das aufmerksame Lesen von Texten, auch wenn es Texte der hl. Schrift sind- aber das Heilige kann und ist ja gar nicht die Schrift, denn die könne doch nur ein Wegweiser zum Eigentlichen sein, das etwas ganz anderes sei als ein Text.

Wie nun aber, wenn die hl. Schrift uns ein anderes Verständnis zumutete? Denn es heißt da doch:"In principio erat verbum, et verbum erat apud Deum, et Deus erat verbum" Joh 1,1. Das verbum ist also das Erste und durch es ist alles. Was bedeutet das für die Sprache?Wenn alles durch das Wort ist, dann ist alles sprachlich strukturiert und dies Sprachliche alles Wirklichen korreliert dem sprachlichen Denken, das so wie das göttliche Verbum strukturiert ist. Es könnte auch von der Vernunft so gesprochen werden, daß weil alles aus göttlicher Vernunft ist, ist es auch durch die menschliche Vernunft begreifbar, ob der analogia entis. Aber das Verbum verweist auf die Sprachlichkeit der Vernunft und somit des Denkens.
So stünde die versprachlichte Darstellung eines Ereignisses dem Eigentlichen zumindest näher als die unmittelbare unreflektierte Erfahrung (wenn es so eine überhaupt gibt), denn das Wesen von Allem ist sein Sein aus dem Wort.  In der Versprachlichung, in der Aufhebung des unmittelbaren Eindruckes kommt so das Eigentliche des Ereignisses erst zu seinem Ausdruck. So erfährt sich der Mensch ja erst als freier, wenn er zu der Aussage, "Das wollte ich!" den Zusatz bildet: "Das hätte ich auch nicht wollen können!" Erst durch den Gebrauch des Konjunktives erfahrt sich der Mensch als frei, denn die Möglichkeit zum konjunktivischen Denken ist seine Freiheit. So konstituiert sich die Wahrheit, daß Gott den Menschen zur Freiheit bestimmt hat durch die Sprache, in der der  Konjunktiv existiert.

Das gesprochene Wort ist ein flüchtiges, es wird ausgesprochen, vernommen und es vergeht. Ganz anders die Wahrheit. Gott als die Wahrheit ist eben nicht dieser Struktur unterworfen, der des Werdens und Vergehens. Das gesprochene Wort steht so in seinem bloßen Ausgesprochensein der Wahrheit des Wortes entgegen. Die Wahrheit des Wortes findet so erst im geschriebenen Wort, im Text  seine seiner Wahrheit gemäße Form- im nur gesprochenen widerstreitet die Flüchtigkeit des Gesprochenen seinem Wahrheitsgehalt, das ist die Partizipation des wahren Wortes an dem wahren Wort, durch das alles ist, Gott selber.

Nähmen wir die hl. Schrift wahr als das göttliche Wort, dann fänden wir unsere Gotteserfahrungen gerade im Lesen der hl.Texte. Dort ist in unserer Buchreligion Gott für uns da und zwar gerade in den Texten der Bibel. Sie sind die permanente Präsens des Verbums, des Prinzipes von Allem in der Welt. 
  

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