Mittwoch, 6. November 2019

Unzeitgemäße Gedanken: Alles wird künstlich- nichts ist noch natürlich!

"Alles ist künstlich und künstlich erzeugbar.Träume,Kinder,Weltbilder.An die schöpferische Naturwidrigkeit ist der Mensch gefesselt.In Wahrheit ist seine Geschichte ein unaufhörliches Programm der Verkünstlichung." Pointiert führt Botho Strauß dann so diesen Gedanken weiter:"Nicht eine Pflanze im Garten, wie Gott sie schuf. Alles gezüchtet, bearbeitet,veredelt.Genmanipuliert.Nun denn: veredeln wir uns!" 
Der zivilisations- und kulturkritische Tonfall dieser Sätze ist wirklich unüberhörbar.Der Gegenpol bleibt hier unausgesprochen: das Natürliche, denn die Pflanze im Garten ist ja, genau bedacht selbst schon wieder etwas Künstliches, denn ein Garten ist keine natürliche Ordnung. Aber doch soll der Begriff der Pflanze des Gartens, wie Gott sie schuf, hier wohl das Natürliche als das Gute symbolisieren. Und dann trat wie auch immer der Sündenfall ein, indem der Mensch das Natürliche verkünstlichte
Hier wird uns sozusagen eine postmoderne Version der biblischen Sündenfallsgeschichte präsentiert mit wenigen, aber brillant formulierten Sätzen. Botho Strauß ist eben unbezweifelbar einer bedeutendsten Schriftsteller nach 1945. Das Zitat ist entnommen dem mehr als lesenswerten Roman, wenn dies Werk noch als Roman bezeichnet werden kann:"Die Fehler des Kopisten",2001, S.55.
Der Wille zur Verkünstlichung sei ein unaufhörliches Programm, in die der Mensch so eingebunden, gefesselt ist, daß es für ihn kein Heraustreten aus diesem Schicksal möglich ist. Bitter fügt so der Autor nach dem Appell: "veredeln wir uns!" hinzu: "Kristallisieren wir, technifizieren, artifizialisieren wir das Beste vom Menschen und bewahren es so vor seinem geschichtlichen Untergang!" (S.55) Ganz antimodern erscheint hier der Mensch nicht als Freiheit, als das Subjekt, das frei sich selbstbestimmt und so auch seine Lebenswelt- nein, er erscheint als ein vom Schicksal des Willens zur Verkünstlichung Getriebener, ja als wenn dies Programm der Verkünstlichung gar nicht sein eigenes Projekt wäre sondern ein ihm schicksalhaft Auferlegtes.
Das manifestiert erstmal die Entfremdung des Menschen von den Produkten seines eigenen Hervorbringens: Das, was er kreativ produzierte, die technische Zivilisation beherrscht nun ihn, den Hervorbringer.Ihm erscheint das von ihm Hervorgebrachtes selbst als etwas Fremdes, das ihn nun zu beherrschen beginnt. Die Pointe ist nun aber, daß der Mensch, indem er auch sich selbst als ursprünglich Natürliches verkünstlicht, sich auch selbst fremd wird, indem er sich in dem verkünstlichten Menschen selbst nicht recognizieren kann: Bin ich das noch, ein Mensch? 
Aber könnte das nicht auch ganz anders gelesen werden? Etwa  so:

"Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also:
Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.
Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist."

Nietzsche, aus der Vorrede zu: Also sprach Zarathustra. Tatsächlich, Botho Strauß thematsiert hier den Untergang des Menschen , aber er sieht nicht, daß dieser Untergang zugleich ein Übergang ist.
Spontan wird man sicher hier urteilen, daß eben Nietzsche ein antichristlicher Philosoph und Botho Strauß dagegen ein christlich anmutender  Melancholiker sei, der die noch von Adalbert Stifter so wunderschön beschriebene Naturordnung zerfallen sieht durch den sündhaften Herrschaftswillen des Menschen. Aber wie nun, wenn das darin implizierte Bild vom natürlich Gutem, in das der Mensch eingeordnet gehört, selbst nur ein aufgewärmter Rousseau ist mit seiner Mär vom gut-natürlichen Menschen, der dann  nur durch die Gesellschaft, die Kultur oder die Zivilisation verkorumpiert worden ist?
Bietet die große Schöpfungserzählung der Bibel uns nicht ein ganz anderes Menschenverständnis? So spricht da Gott zum Menschen:
"Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt die Erde und machet sie euch unterthan und seid Herren über (sie)." 1.Mose 1,28. Ist das nicht Gottes Programm für den Menschen, daß er die Welt zu gestalten hat, also die Natur zu verkünstlichen habe? Und der Mensch tritt in diesem Programm in einer eigentumlichen Zweifachheit auf, denn einerseits ist er das Subjekt der Weltgestaltung und andererseits fungiert er selbst auch als ein Objekt dieser Weltgestaltung. Er ist so sich selbst auch als Aufgabe gegeben, sich zu gestalten und das impliziert auch notwendig, sich aufzugeben, um sich zu etwas zu gestalten, was er noch nicht ist.Der Mensch ist so gesehen ein Projekt des Schöpfergottes, das sich zu etwas entwerfen kann und soll, das  aber so sich auch verfehlen kann.
Anders formuliert: Die Welt der Natur ist dem Menschen als Seele etwas Fremdes, nur als Leib ist er natürlich. "Naturwidrig" ist er so aber als Geistseele, die nun die Natur als das Andere und Fremde ihr gegenüber umgestalten will, um in ihr heimisch werden zu können.
Nur, wenn wir nun die obige Passage aus dem Roman Botho Strauß bedenken, dann drängt sich der Eindruck auf, daß das Programm der Weltbeherrschung, die ihrer Verkünstlichung zum Leidwesen des Menschen ausfällt. Der Mensch dieser Passage erfährt sich als dies Programm  Erleidender gerade in der Gewißheit, daß er diesem Programm unterworfen ist, aus dem er nicht mehr aussteigen kann. Er wird nämlich durch seine eigene Technik beherrscht, als daß er durch sie herrschen würde. Die Produkte des Menschen beherrschen den Menschen, obzwar er selbst sie produziert hat und produziert.Dem haftet etwas Schicksalhaftes an, seitdem das marxistische Konzept der Überwindung dieser Entfremdung des Menschen von sich selbst in der Praxis gescheitert ist. (Vgl dazu: Karl Marx, Ökonomisch-philosohische Manuskripte).
So bleibt uns nur Nietzsches Einsicht in die Lage des Menschen, aber auch der Wille, zu diesem Schicksalhaften Ja zu sagen:  Amor fati, denn das ist uns als Aufgabe aufgegeben in der ganzen Doppeldeutigkeit des Begriffes der Aufgabe als dialektische Einheit von Aufgabe und Übergang. Denn der Mensch lebt immer auch in der Gefahr der Möglichkeit der Renaturalisierung des Menschen, daß er doch lieber  als Thier leben will und sich so aufgibt als Mensch.
   

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