Sonntag, 17. November 2019

Irritierendes: Warum wird die Welt immer schlechter?

Auf diese schwergewichtige Frage gibt es nun eine sehr leichte und überzeugende Antwort: Weil nur die Guten sterben. Böse Menschen sterben eben nicht. Woher weiß man das? Ganz einfach: aus der Beerdigungspraxis, daß da jeder Verstorbene der Trauergemeinde als guter Mensch dargestellt wird. Ergo: Es sterben nur die Guten.
Schweifen wir ein wenig aus in die Trivialitäten der Rhetoriklehre. 3 Redearten sind da uns geläufig.
1. Die darstellende Rede. Ihr Ideal ist die vollständige Explikation eines beliebigen Gegenstandes in 
    einem Vortrag. Sie ist primär an den Intellekt der Hörer ausgerichtet und entfaltet einen problema-
    tischen Gegenstand, etwa: Warum wird die Welt immer schlechter?
2. Die Entscheidungsrede. Der Hörerschaft wird ein Sachverhalt zum Entscheiden über ihn vorge-
    tragen, etwa das Plädoyer des Staatsanwaltes, den Angeklagten für schuldig im Sinne der Anklage
    zu beurteilen. Sie ist auf den Willen der Hörerschaft ausgerichtet, daß nun entschieden werden soll.
3. Die Laudatio: Der Gegenstand der Rede wird schön geredet. Sie ist an das Gefühl der Hörerschaft 
    ausgerichtet. 
Diese einfache Dreiteilung vor Augen habend, ist es offensichtlich, daß die Gattung der kirchlichen Beerdigungsansprache zur Gattung der Laudatio gehört. Denn wie immer auch der Beerdigungs-prediger theologisch verortet ist, liberal, conservativ...in einem sind sich alle einig: Über einen Verstorbenen darf alles, nur nichts Schlechtes ausgesagt werden.
De mortuis nil nisi bene. (Über die Toten soll man nur Gutes reden.) Das ist nun faktisch die oberste Maxime jeder Beerdigungsansprache. Dies Gutesreden ist nun aber immer auch ein performativer Akt, in dem der Tote gut geredet wird. Es ist keine darstellende Rede sondern eine Laudatio, in der das Leben des Verstorbenen schön geredet wird. Nur warum? Das muß auffallen, ist es doch unsere Alltagspraxis, über Abwesende fast nur schlecht zu reden. Ja nur schlechte Nachrichten sind gute, unterhaltsame, die bei den Hörern ankommen. Selbst in Klöstern ist das Lästern über Abwesende- es wird nie in der Gegenwart von wem über ihn gelästert- eine Lieblingsbeschäftigung. Wie schön könnte dann doch über einen Toten, einen ganz und gar Abwesenden abgelästert werden!
"Seit alters her ist es eine fest etablierte Konvention, dass man über die Toten nichts Schlechtes sagen sollte. Sie können sich nicht mehr wehren, und man sollte ihnen den gebührenden Respekt erweisen, so die überwiegende Meinung. Spricht dann doch einmal jemand abfällige Worte über einen verstorbenen Menschen, so werden solche Äußerungen pikiert ignoriert."  zitiert nach:

 https://www.gedenkseiten.de › magazin › ueber-die-toten-sagt-man-nichts
Das klingt zwar schön, ist aber doch zu schön moralisch, als daß es stimmen wird. Wenn über Abwesende gelästert wird, dann wird doch gerade über sie gelästert, weil sie abwesend sind und so nicht den Verlästerungen sich nicht entgegen stellen können. Zudem wird im Berufsleben besonders gern über die gelästert, die eher "schwach" und als weniger "aggressiv" wahrgenommen werden, also Menschen, von denen keine aggressive Reaktion zu befürchten ist. Über "Starke" wird dagegen weniger oft schlecht geredet, denn es könnte dem ja doch irgendwie zu Gehör kommen und das könnte dann fatale Folgen für den Lästerer zeitigen.

Aber warum gibt es dann diese Maxime? Ich vermute, daß es 2 Gründe dafür gibt. Allseits bekannt ist ja die gesetzliche Vorschrift, daß ein Arbeitgeber in das Zeugnis eines von ihm Entlassenen nichts Negatives schreiben darf, etwa daß er schlecht gearbeitet habe. Strittig sind dann wohl Formulierungen wie: "Er war stets bemüht...", denn das heißt in Klartext gesprochen: "Obwohl er sich angestrengt hatte, hat er nichts geleistet". Negativbewertungen, die es einem Arbeitnehmer fast unmöglich machen, eine neue Anstellung zu bekommen, sind so in Arbeitszeugnissen unerlaubt. Es darf eigentlich nur gut vom Entlassenen in einem Arbeitgeberzeugnis geschrieben werden. Damit kommen wir der Maxime, daß über Tote nicht  schlecht geredet werden darf doch schon sehr nahe.

These:Die Beerigungsrede ist sozusagen ein Lebenszeugnis für den Toten, das ihm beim Übertritt in die postmortale Existenz helfen soll  wie ein Arbeitszeugnis für ein Bewerbungsgespräch bei einem neuen Arbeitgeber. Im wird ein Laudatiozeugnis mitgegeben. Dies impliziert eine beachtlich komplexe Vorstellung vom Sterben als einen Wechsel von dem Leben in ein anderes Sein, daß es für den Übertitt in die postmortale Existenz wichtig ist, ein gutes Zeugnis vom bisherigen Leben mitzubringen, um in das postmortale eingehen zu dürfen. Der Übergang ist so ein problematischer, sodaß gefragt werden muß: Wie muß der Verstorbene gelebt haben, damit er in das postmortale eingehen darf? Es gibt da einen irgendwie gearteten Richter, der über den Eingang entscheidet und für den dies Lebenszeugnis dann auch verfaßt  wird: So urteilen wir über ihn, den wir kennen. Ein Negativzeugnis darf deshalb nicht ausgestellt werden, weil das den Übergang ins postmortale Leben verhindern könnte.
Ein Zusatz: Wer tot ist, der ist tot und bleibt es auch: Er kommt nie wieder. Aber  so selbstverständlich ist diese Aussage gar nicht. In die triviale Unterhaltungskunst verdrängt, aber da noch sehr lebendig ist doch die Vorstellung von Verstorbenen, die im Diesseits wieder auftauchen als Geister, Untote usw. Es  drängt sich so der Verdacht auf, daß der Zorn und die Vergeltung von einem Verstorbenen gefürchtet wird, wenn über ihn nach seinem Tode noch schlecht geredet wird. Die Meinung, daß das Totsein einfach eine Nichtung des Verstorbenen ist, ist ja kulturgeschichtlich eine Ausnahmevorstellung. Das Alte Testament wie auch die Griechen kannten eine Unterwelt, (Scheul, bzw der Hades), in der die Verstorbenen weiterexistierten und so ist es nicht prinzipiell unvorstellbar, daß sie als Totengeist wieder auf der Erde erscheinen können. (Diese Vorstellung liegt ja der Totenbefragung Sauls bei der Totenbeschwörerin zu Grunde. Botho Strauß behandelt dies Ereignis ja in seinem aktuellen Drama: Saul)
Einfach gefragt: Wo bleiben die Toten, denen der Übergang ins postmortale Leben nicht gelang? Können die sich etwa an den Lebenden für  deren mangelnden Hilfe rächen? Das dürfte wahrscheinlicher  ein Grund für diese Praxis sein als die moralische Überlegung, daß man nicht über Tote lästern darf, weil sie sich gegen Verlästerungen nicht mehr wehren könnten.   

Ein kleiner Nachtrag: 
Man lese doch bitte in Shakespeares "Hamlet" nicht einfach über die Eingangsszene, der tote Vater erscheint Hamlet, um ihm zu offenbaren, daß er ermordet worden ist, hinweg, als wenn das selbstverständlich nur ein kreativer Einfall sei, Hamlet zur Rache an den Tod seines ermordeten Vaters zu berufen, als könne das auf keinen Fall auf eine mögliche Realität verweisen kann. Die katholische Frömmigkeit, die von Seelen aus dem Fegefeuer weiß, die Lebenden erscheinen, um sie um eine Hilfe zu bitten, sollte uns auch zur Vorsicht mahnen, hier alles als bloße Phantastik abzutuen. .





 




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