Irritierendes: Hat es eine Bedeutung, wenn Nein!, gesagt wird zu Jesus Christus?
Schenkte man dem christlich-jüdischen Dialog Glauben, fiele die Antwort eindeutig aus, daß es für Juden keine Bedeutung habe, denn sie hätten ja Mose und die Propheten (und dann noch den Talmut), die ihnen zum Heile ausreichten. Wie anders urteilt aber doch in dieser Causa der Sohn Gottes selber. Geben wir also ihm das Wort:
Bei seinem Einzug nach Jerusalem, weinte er über diese Stadt. (Lk 19,41), um dann zu ihr zu sagen: „ Wenn doch auch du es erkannt hättest, und zwar an diesem deinem Tage, was dir zum Frieden dient; nun aber ist es vor deinen Augen verborgen.
Denn es werden Tage über dich kommen, da deine Feinde dich mit einem Walle umgeben,dich ringsum einschließen, und dich von allen Seiten einengen werden.
Sie werden dich und deine Kinder, die in dir sind, zu Boden schmettern, und werden keinen Stein auf dem anderen lassen deshalb weil du die Zeit deiner Heimsuchung (tempus visitationis tuae) nicht erkannt hast.“ (Lk 19, 42-44)
Jesus prophezeit hier den Untergang Jerusalem, der so dann später sich auch ereignete. Auf den ersten Blick scheint hier ein rein weltimmanentes Geschehen vorausgesagt, die der Belagerung und Eroberung der Stadt Jerusalem. Das „Zu-Boden-Schmettern“ wird wohl als Töten zu verstehen sein, daß die Kinder dabei eigens erwähnt werden, soll besagen, daß der Stadt mit dieser Kindestötung ihre Zukunft geraubt werden soll. Die Stadt wird durch seine Feinde völlig vernichtet werden.
(Diese Aussage ist für die historische Kritik des Neuen Testamentes von großer Bedeutung, da ob des Dogmas, daß kein Mensch die Zukunft voraussagen kann, geurteilt wird, daß diese Aussage erst nach der Eroberung Jerusalems getätigt worden sein könne und daß sie so kein echtes Jesuswort sein könne. Diese These steht und fällt aber mit der Prämisse, daß Jesus kein Prophet gewesen sein kann, weil die Prophetie eine menschliche Unmöglichkeit sei. Daraus ergibt sich dann auch, daß dies Evangelium nicht vor der Zerstörung Jerusalems verfaßt worden sein kann.)
Aber wird dies vorausgesagte Ereignis so säkular gedeutet, geht das eigentlich Ausgesagte damit verloren. Der Grund dafür, daß diese Stadt nicht im Frieden leben wird sondern zu Grunde gerichtet wird ist dieser, daß sie die „Zeit ihrer Heimsuchung“ verkannt hatte. Jesus Christus kam in die Stadt, aber sie verwarf ihn: Du bist nicht der Messias, der Sohn Gottes! Es gab den Kairos der Entscheidung: Findet er Glauben in dieser Stadt, nimmt sie ihn als ihren von Gott gesandten Erlöser auf? Hätte sie ihn aufgenommen, dann wäre eine der Früchte dieser Annahme der Frieden für Jerusalem gewesen.
„Nun aber ist er vor deinen Augen verborgen“.A.Arndt kommentiert dies (Die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes mit dem Urtexte der Vulgata , 3.Band 1903) so: „Du willst nicht erkennen, und deine Verblendung ist unheilbar.“ Dem wird aber das adversativische: „Nun aber“ nicht gerecht. Es gab die Zeit, in der Jerusalem die Wahrheit hätte erkennen können, nun aber ist diese Zeit vergangen, zu einer plusquamperfektischen geworden. Das „Verbergen“ verweist hier auf Gott selbst, der nun die Wahrheit vor Jerusalem verbirgt, weil Gott selbst es nun strafen will. Wie schon die militärische Niederlage Judas 586 v. Chr und seine Exilierung nicht einfach ein weltimmanentes Geschehen ist, sondern Gottes Strafgericht über sein Volk, so ist auch diese Eroberung und Verwüstung Jerusalems ein Strafgericht Gottes.
Ja, auch für Jesus regiert Gott die Welt, ist er nicht nur ein Zuschaugott, der sich auf Moralappelle beschränkt: Seid doch endlich lieb zueinander! Es ist der Zorn Gottes, der über diese Stadt ausbricht, weil sie Nein gesagt hatte zu seinem Erlöser.
Das ist für die Heutigen eine unzumutbare Wahrheit, darum erfreut sich die historische Kritik der Bibel auch so großer Beliebtheit, da mit Hilfe dieser Methodik alle nicht erquicklichen und Anstoß erregenden Aussagen der Bibel eliminiert werden können. Dem antiken Weltbild gehöre halt die Vorstellung an, daß Gott selbst in der Menschheitsgeschichte hineinwirke, das sei eben seit der Aufklärung eine indiskutable Vorstellung. Zudem sei der Gott Jesu immer nur ein Gott der Liebe und so könne er auch gar nicht strafen, denn das widerspräche seinem Wesen als die Liebe. Hätte das Jesus wirklich gesagt, demonstrierte das dann nur, daß auch dieser Mensch ein Kind seiner Zeit gewesen und so die (voraufklärerischen) Gottesvorstellungen seiner Zeit teilte.
Woher weiß man nun aber, daß das der Aufklärung kompatible Gottesbild das wahre ist, erkennen wir nun Gott besser als es selbst dem Jesus möglich war und wie kamen wir zu diesem Erkenntnis-fortschritt? Die Moderne hörte nach den erlittenen innerchristlichen Religionskriegen des 17.Jahrhundertes auf, zu eruieren, wie Gott wirklich ist sondern sie frug stattdessen: Wie ist Gott zu denken, damit die verschiedenen Vorstellungen von Gott in den christlichen Confessionen und den anderen Religionen nicht zu Religionskriegen mehr führen kann? Gott wurde so domestiziert, zu einem bürgerlichen Gott devitalisiert, dem es letztlich gleichgültig ist, ob und wie man ihn glaubt, wenn nur jeder, egal wie er ihn denkt und glaubt, Gott als den Aufruf zu einem moralisch anständigen Leben versteht. Dieser Gott straft dann auch nicht mehr, er läßt es aber zu, daß unser unmoralisches Leben uns selbst dann schadet, daß , wenn etwa das Lügen zu einer gewöhnlichen Alltagspraxis wird (Bismarck: Nie wird so viel gelogen, wie vor einer Wahl, während des Krieges und nach der Jagd)niemand mehr sicher sein kann, ob er wirklich die Wahrheit zu hören bekommt oder belogen wird.
Der so devitalisierte Gott ist dann auch der Tod der Religion.(Vgl mein Buch: Der zensierte Gott)