Samstag, 10. Juli 2021

Ein protestantisches Narrativ vom Ursprung und vom Verfall des Urchristentumes, neuerdings auch unter Katholiken beliebt



Ein schönes eingängiges Narrativ: Ursprünglich ging es in den urchristlichen Gemeinden richtig basisdemokratisch zu, hierarchiefrei, ohne Priester und Bischöfe, alle waren eins, gleichberechtigt geschwisterlich... Ein wenig erinnert dies Bild der Urgemeinden an das bekannte Gallierdorf Asterix und Oberlix: eine fröhliche Anarchie; was dort der Zaubertrank leistet, wirkte im Urchristentum eben der Heilige Geist: alle waren charismatisch.

Dann kam aber der Sündenfall: Die Institution der Katholischen Kirche bildete sich heraus mit ihrer hierarischen Ordnung von Priestern und Bischöfen Hand in Hand gehend mit der Verunmündigung der „Laien“,die dann stetig ihrer Rechte beraubt wurden. Erste „Dogmen“ wurden von Theologen erfunden, die Priester- und Theologenherrschaft etablierte sich so und so wandte sich die Kirche immer weiter ab von Jesus. Spätestens mit Kaiser Konstantin hob dieser Abfall an, einige datieren den Anfang des Abfallprozesses früher- bis dann

Luther kam, der die Kirche zu ihren Ursprüngen, retour zu Los rückführen wollte. Leider verschloß sich diese Kirche diesem Evangeliumslicht bis zum 2. Vaticanum- so lautet ungefähr die katholische Version dieses rein lutherischen Narratives. Kirchenkritische Lutheraner urteilen dann eher so, daß Luthers Licht dann in den sich herauskristallisierenden Lutherkirchen sich verdunkelte, bis dann ihnen, den Kritikern die Aufgabe zufiel, den Protestantismus zu Luther und Jesus zurückzuführen.

Das ist ein wahrlich anmutige Kirchengeschichtserzählung- nur stimmt sie denn auch? Darf etwa auch diese „große Erzählung“ (Lyotard, Postmodernes Wissen) kritisch befragt werden?

Stellen wir uns Fragen:

Warum erwählte dann Jesus eine 12 köpfige Vorstandschaft, gar mit Apostel betitelt, ohne daß die Jüngerschaft an der Auswahl dieser Vorstandschaft in irgendeiner Weise beteiligt wurde?

Warum erwählte Jesus dann ohne eine Rücksprache mit den restlichen 10 „Vorständen“ Petrus zu dem Vorsitzenden dieses Vorstandes, als Apostel der Apostel? Warum wählte die Urgemeinde nicht unter Anleitung von Jesus ihren Vorsitzenden ganz demokratisch? (Zudem, wäre die Urgemeinde nicht geradezu moralisch dazu verpflichtet gewesen eine (lesbische) Frau als ihre Vorsitzende zu küren als unübersehbares Zeichen gegen die damalige Diskriminierung der Frau?)

Das erste Apostelkonzil: Es galt eine bedeutsame theologische Frage, die des Wie der Heidenmission zu klären. Warum entschieden hier nur die Apostel und die Presbyter über diese Causa ohne daß das Kirchenvolk mitdiskutieren und gar mitentscheiden durfte? Beherrschte dies Apostelkonzil etwa schon eine Clique von Priestern und Theologen, das Volk entmündigend?

Ein einziger Lichtblick: Die 12 Apostel forderten die Gemeinde aus, 7 Diakone aus ihren Reihen für den Tischdienst an den Witwen zu wählen, damit sie, die Apostel sich unbehindert von dieser Aufgabe ganz dem Dienst an dem Wort Gottes widmen können. (Apg 6, 1-7) Bei einer aufmerksamen Lektüre diese Passage der Apostelgeschichte kann man nicht dem Verdacht sich entziehen, daß hier das Führungspersonal sich dieser leidlichen Aufgabe entziehen wollte, der ethnische Konflikte zwischen den Judenchristen und Heidenchristen zu Grunde lagen, daß die heidenchristlichen Witwen benachteiligt wurden, sodaß nun Heidenchristen zu Diakonen zu wählen waren.

Ganz anders ging es ja bei der Bestimmung des Nachfolgers des Apostels Judas Ischariot zu. (Apg 1,15-26) Gott selbst wurde befragt, wen er zum Nachfolger bestimmt hatte von den zwei zur Auswahl Gottes Vorherbestimmten. Gott zeigte dann seine Wahl durch das Orakellos an. Gott selbst wählte aus, nicht das Kirchenvolk: Demokratisch war das nicht. Nur, diese Orakelbefragung stellt uns theologisch noch vor ein sehr gravierendes Problem. Nach dem protestantischen Narrativ war das Urchristentum eine Gemeinschaft ohne Priester, ohne ein Priesteramt und so ist es ein großes Verdienst Luthers, das leider dann doch später sich eingeschlichene Priesteramt verbunden mit der Klerikerherrschaft beseitigt zu haben und so das Urchristentum wieder hergestellt zu haben. Das Problem: Können denn Nichtpriester per Orakel Gottes Willen in einer bestimmten Causa erkennen? Die Antwort fällt eindeutig aus: Im Alten Bund konnten das nur die Priester und für heidnisch Sozialisierte war es ebenso eine Selbstverständlichkeit, daß der Orakeldienst, sodaß wirklich Gottes Wille da erkannt wird und nicht ein purer Zufall entscheidet, auf wen zufällig bei dieser Wahl das Los fällt, nur von Priestern ausgeführt werden kann. Das spricht dafür, daß bei dieser Entscheidung, wie wird erkannt, wen Gott wirklich erwählt hat, Priester des Urchristentumes diese Aufgabe der Erkennung des Willens Gottes in dieser Causa übernommen haben. Nichtpriester können eben keine Orakel lesen. (Erst in der zeitgenössischen Esoterik wird dies Vermögen verdemokratisiert, daß nun jeder per Kartenlegen sein Schicksal erkennen könne.)

(Zu Zeiten Jesu wäre die Behauptung, ein Nichtpriester könne per Orakel Gottes Willen erkennen als so absurd empfunden worden, als wenn heutzutage jemand zu einem an Zahnweh Leidenden sagte, daß er doch mit einer Bohrmaschine aus dem Baumarkt sein Zahnweh beseitigen könne, den Zahnärzte bohrten ja auch nur!)

Dies Narrativ ist leider nichts anders als ein linksliberal interpretierter Luther zurückprojziert in das Urchristentum. Dies Asterix-und Obelix Urchristentum, das ganz aus der Superkraft des Heiligen Geistes quasi demokratisch-anarchisch lebte, gibt es eben nur in den Phantasiestücken dieses Narratives. Es spricht aber für eine erschreckende Weltfremdheit, wenn von Katholiken diese Legitimationserzählung der lutherischen Reformation für bare Münze gehalten wird.



 

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