Montag, 26. Juli 2021

Rigorismus und Laxheit in der Moraltheologie- 2 Seiten einer Medaille


Spontan liegt doch der Gedanke näher, sich eine Strecke zu denken, deren einen Endpunkt den Rigorismus und den anderen die Laxheit kennzeichnet, sodaß beide Größen weit von einander entfernt einen großen Spielraum von gemäßigteren Positionen zulassen. Wie nun aber, wenn das Hufeisen die Relation zwischen diesen beiden Größen adäquater ausdrückt, daß beide so nahe beieinander positioniert sind, daß ein leichtes Hinübergleiten von dem einem zum anderen Standpunkt zu erwarten ist? Dort wo eine rigoristische Moral nicht mehr mit dem Leben in Einklang zu bringen ist, da liegt der Sprung in eine laxe Haltung sehr nahe: Die Morallehre formuliere ja nur Ideale, die so auch richtig seien, nur überforderten die die Menschen so sehr, daß es reiche, wenn sie sich dem Ideal annähern zu versuchen, sodaß fast schon alles irgendwie als eine Annäherung an das Ideal bewertet werden kann.

Es sei an ein Extrembeispiel erinnert: Nach Kant darf ein Ehemann, wenn er gefragt wird: „Ist ihre Frau in dem Keller, ich suche sie, weil ich sie ermorden will!“, nicht den Frager belügen, denn der kategorische Imperativ verlange, nie zu lügen. Angesichts dieser abstrusen Konsequenz liegt nun die gegenteilige Position nahe: Der Zweck heiligt die Mittel. Um das Leben eines Menschen zu retten, sei jedes Mittel erlaubt, denn der Zweck heiligt die Mittel. Dieser moralische Grundsatz löscht faktisch jede Moral auf, weil nun alles mit der Begründung, das diene einem guten Zweck, legitimierbar wird. Hier wird dann vom rigoristischen zu einem sehr laxen Moralstandpunkt gesprungen. Diesen Sprung evoziert aber dieser moralische Rigorismus, der für das Moralempfinden völlig inakzeptable Folgen zeitigt, etwa, daß in diesem Falle der Ehemann nicht lügen dürfte.

Gibt es denn nun nicht auch in Jesu Christi Verkündigung solche Rigorismen? Er sagt zum reichen Jüngling: Verschenke all deinen Besitz an die Armen und folge mir nach! Was nun aber, wenn der so Angesprochene erwiderte: Das kann ich so nicht machen, denn ich bin verheiratet und bin so für meine Familie verantwortlich, zudem versorge ich meine nicht mehr erwerbsfähigen Eltern. Verstieße dieser reiche Jüngling, folgte er Jesu Aufforderung zur Nachfolge so, wie es Jesus von ihm da verlangt, nicht dem Gebot der Nächstenliebe? Er darf doch nicht, um der Sorge für die Armen willen, verschenke alles ihnen, seine Verpflichtungen seiner Familie gegenüber so grobianisch verletzen. Ähnlich verstoßen die, die für eine unkontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen in unser Land plädieren, gegen die Ordnung der Nächstenliebe, weil sie den Schaden, der unserer Heimat dadurch entsteht, billigend in Kauf nehmen um der Fernstenliebe willen.

Nun kann aber auch nicht das andere Extrem: Jeder sorge nur für sich und seine Nächsten, die Fernen gehen uns nichts an, die Lösung sein. Aber es ist gut verständlich, wenn die rigoristisch vorgetragenen Appelle zur Fernsten-liebe die Reaktion des: „Nur um mich selbst kümmere ich mich noch und um meine Allernächsten!“ provoziert.

Schwieriger wird dies im Bereich der Sexualmorallehre. Ein einfacher Fall: Eine junge Frau heiratet, ihr Ehemann läßt sich von ihr scheiden, weil er jetzt eine andere Frau heiraten will, die von ihm in Folge eines Seitensprunges ein Kind von ihm bekommt. Die Ehefrau wäre bereit, die Ehe trotzdem fortzusetzen, er besteht aber auf der Scheidung. Als Geschiedene darf sie nun keine 2.Ehe schließen und so auch keine Familie gründen, denn nach der Katholischen Morallehre dürfen nur Verheiratete eine Familie gründen. Damit wird es dieser Frau aber verunmöglicht, das erste Gebot, das Gott uns gegeben hat: Seid fruchtbar und mehret euch!, zu erfüllen, obzwar sie es in ihrem Kinderwunsch will. In diesem Falle wird sie, unschuldig an der Scheidung, nur ihr Mann wollte sie, ihres Rechtes auf die Gründung einer Familie beraubt. Ist dies nicht auch ein unzumutbarer Rigorismus, weil durch diese Morallehre eine Frau daran gehindert wird, Gottes 1.Gebot zu erfüllen? Eine nichtrigoristische Lösung könnte lauten, daß sie in diesem Falle von der Bedingung, nur verheiratet eine Familie gründen zu dürfen, dispensiert wird. Finden sich keine nichtrigoristischen Lösungen provoziert das eher eine laxe Praxis, daß es doch egal sei, ob eine Frau verheiratet, fest verbunden oder allein lebe, wenn sie ein eigenes Kind wolle, dann dürfe sie diesen Wunsch , egal wie auch immer, realisieren, auch als Lesberin per Samenspende.

Es lassen sich nun weitere Fälle konstruieren, die die jetzt gültige Morallehre der Kirche angesichts ihrer da aufgezeigten Konsequenzen als rigoristisch erscheinen läßt, die dann eine sehr laxe Moralpraxis aus sich heraussetzt. So ist es nach der jetzigen Morallehre zweifelhaft, ob ein Polizist einen Terroristen absichtlich erschießen darf, wenn nur so das Leben seiner Geiseln zu retten ist oder ob durch einen Meineid das Leben eines zu Tode Verurteilten gerettet werden darf, wenn nur so der Unschuldige vor der Todesstrafe gerettet werden kann.

Die rigoristische Moral ist immer leicht daran zu erkennen, daß sie in der Maxime endet: Das Richtige tuen, auch wenn daran die Welt zugrunde geht. Kantisch: Die Wahrheit ist zu sagen, auch wenn das den Tod der Ehefrau zur Folge hat. Aber da der Katholischen Kirche nun so energisch der jesuitische Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel!, zum Vorwurf gemacht worden ist, tendiert die heutige Morallehre zu einem Rigorismus, den sie dann selbst wieder nichtet durch die Parole der Gewissensfreiheit, daß letztinstanzlich nur das je eigene Gewissen zu urteilen habe, was ich darf und was nicht!


 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen