Der Aufklärungsphilosoph Kant frug einst: Was dürfen wir hoffen?-Balzacs Roman: „Verlorene Illusionen“, Flauberts: „Erziehung des Herzens“ oder de Maupassants „Bel ami“ könnten als Antwortversuche nach der Enttäuschung über die Errungenschaften der „Französischen Revolution“ gelesen werden. Es scheint so, daß Schopenhauers Pessimismus über das Hoffen auf die Realisierbarkeit einer vernünftig gestalteten Welt gesiegt hat.
Die „Göttin der Vernunft“, deren Verehrung wollte der Revolutionär Robespiere als Staatsreligion einführen, während die Guillotine den Unvernünftigen den Kopf abschlug. Es ist keine Übertreibung, daß diese Revolution die Geburtsstunde der Politik im emphatischen Sinne darstellt. Jetzt war die Politik nicht mehr die Kunst des Regierens, jetzt avancierte die Politik zu dem Medium der Welterlösung durch den Willen, die Welt gänzlich neu, nämlich rein vernünftig zu gestalten. Als das Unvernünftige schlechthin galt nun die Herrschaft des Adels und des Klerus – der vernünftige Bürger sollte an ihre Stelle treten, die Regierung der Parlamente, in der das vernünftige Argument allein kraft seiner Vernünftigkeit sich durchsetze und so die politische Vernunft regiere.
Nicht zu übersehen ist hier die darin sich ereignet habende Transformation der christlichen Hoffnung auf das jenseitige Reich Gottes in das politische Projekt der aufgeklärten vernünftig gestalteten Welt.
Zwei Reaktionen lassen sich verschematisiert auf die Enttäuschung über die Realität des ersten großen Versuches des Projektes der Hervorbringung der vernünftigen Welt in Frankreich rekonstruieren:
einerseits die Aufgabe an den Glauben an die Erschaffbarkeit einer vernünftigen Welt und
andererseits das Insistieren auf die Realisierbarkeit dieses Projektes, die nun durch eine zweite politische Revolution die Particularität der bürgerlichen Revolution überwinden sollte, der politische Glaube an die kommunistische Revolution,die der Arbeiterklasse. G. Lukacs konzipierte nach diesem Schema sein Opus: „Die Zerstörung der Vernunft“, in dem er die These entfaltet, daß die ganze bürgerliche Philosophie nach Hegel ihre Aufgabe darin sah, die Vernunft als das Vermögen, die Welt politisch vernünftig zu gestalten, zu desavouieren. Nur der Marxismus habe so die Vernunft der bürgerlichen Revolution bewahrt, um die verspielten Hoffnungspotentiale von ihr in der erstrebten sozialistischen Revolution zu realisieren.
Spätestens seit dem Ende des letzten großen Versuches, die Welt durch die Praxis der politischen Vernunft zu humanisieren, ist dies Projekt der Politik im emphatischen Sinne aufgegeben worden. Das kennzeichnet den Geist der Postmoderne, wenn unter der Moderne die Konstruktion der Politik in diesem emphatischen Sinne verstanden wird.
Die Vernunftkritik radicalisierte sich in dem großen Essay von Adorno und Horkheimer: „Dialektik der Aufklärung“, in dem die Vernunft nun unter den Generalverdacht geriet, daß gerade sie der Grund für die Unterdrückung des Menschen und der Ausbeutung der Natur ist- das, was die Befreiung von irrationaler Beherrschung und Unterdrückung verhieß, wurde selbst zum Medium neuer noch viel totalitärer Beherrschung in der jetzigen Welt.
Sehen wir uns nun so, hinter uns den Trümmerberg verlorener Hoffnungen liegen, bereit auf ein neues religiöses Hoffen, nachdem die Hoffnungsprojekte der Politik gescheitert sind? Es scheint eher so, daß das Vermögen zu hoffen in der westlichen Kultur aufgebraucht ist. Desillusioniert wird auf nichts mehr gehofft, auch und gerade auch in der Kirche. Dies Nichtmehrhoffenkönnen ist wohl ein wesentliches Merkmal der Dekadenz in der Postmoderne.
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