Problematische Vorstellungen über die menschliche Freiheit
„Das liberale Denken kreist um das Telos der aller Politik vorausliegenden Freiheit des individuellen Staatsbürgers zu schützen“ urteilt der Philosoph Habermas in seinem Aufsatz: „Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus“, in: „Zwischen Naturalismus und Religion“, 2005, S.279. Diese Aussage muß jeden Leser irritieren, denn wie könnte ein Mensch ein Staatsbürger sein, wenn es den Staat nicht gäbe, sodaß doch auch die Freiheit eines Staatsbürgers nur durch den Staat geschaffene Freiheitsrechte sein können. Kann es so dem Staate eine vorausliegende Freiheit geben, dann müßte das eine menschliche, dem Menschen eigene Freiheit sein, aber somit keine bürgerliche oder staatsbürgerliche.Es wäre damit zu distinguieren zwischen der rein menschlichen Freiheit und der bürgerlichen, die ihm als Teilnehmer der bürgerlichen Gesellschaft zukommt und der staatsbürgerlichen. Dann wäre noch zu distinguieren zwischen der menschlichen Freiheit und bürgerlichen und staatsbürgerlichen Freiheitsrechten.
Zur Veranschaulichung: Jeder besitzt das Vermögen, Mitmenschen zu betrügen oder nicht zu betrügen. Ist jemand Mitglied eines Skatvereines und er betrüge da regelmäßig beim Kartenspiel, wird er da wohl aus dem Verein ausgeschlossen werden, da es zwar die menschliche Freiheit zum Betrügen gibt, aber ein so grober Verstoß gegen die Satzung eines Skatvereines ist ein Mißbrauch der Freiheitsrechte jedes Vereinsmitgliedes und so unerlaubt.Wer nun als Staatsbürger beim Steuerzahlen betrügt, kann dies, weil er die Freiheit hat, ehrlich die Steuern zu zahlen oder auch nicht, aber es gibt nicht das Staatsbürgerrecht, beim Steuerzahlen zu betrügen. Steuerbetrug ist eine unerlaubte Handlung in jedem Staat.
Ist nun das Skatvereinsmitglied in seiner Freiheit beeinträchtigt, weil er da beim Kartenspiel nicht betrügen darf oder ist der Staatsbürger in seiner Freiheit limitiert, weil er nicht beim Steuerzahlen betrügen darf? Oder sollten wir urteilen, daß die menschliche Freiheit nicht darin bestünde, Böses zu wollen und zu tuen können sondern in dem Wollen und Tuen des Guten? Nur die Freiheit, gut oder böse zu wollen und zu tuen, ist als menschliche nicht bestreitbar. Das erkannt zu haben, ist das Verdienst der praktischen Philosophie Kants. Es kann nur das Böse Wollen und Tuen als ein Mißbrauch der Freiheit moralisch verurteilt werden. Es gilt aber unbedingt, daß das Gute Wollen und Tuen nur ein moralisch als gut Qualifizierbares ist, wenn es freiwillig gewollt wird und das impliziert denknotwendig die Freiheit, auch das Nichtgute wollen und tuen zu können. Wer notwendig und nicht freiiwillig das Gute wollte und täte, handelte so nicht moralisch sondern er funktionierte dann nur gut. „Das Messer ist gut, weil es gut schneidet.“ Hier ist „gut“ nicht moralisch gebraucht.
So existiert wohl eine dem Menschen eigene Freiheit, die der Willens- und Handlungsfreiheit, daß das, was ich gewollt habe, auch nicht gewollt haben könnte und das, was ich tat, auch nicht getan haben könnte, aber diese Freiheit ist ein rein natürliches Vermögen, aber kein Freiheitsrecht. Erst in einer Gesellschaft kann es Freiheitsrechte geben, etwa daß in einem Verein die Vereinsmitglieder Rechte und Pflichten besitzen und daß ein Staatsbürger durch den Staat auch Freiheitsrechte und Pflichten hat. Das inkludiert, daß in der Gesellschaft wie im Staate Handlungen von Bürgern oder Staatsbürgern als unerlaubter Gebrauch der Freiheit qualifiziert und sanktioniert werden können, ja daß keine Gesellschaft und kein Staat möglich ist ohne eine solche Bestimmung von erlaubt und unerlaubt.
Ist deshalb nur der natürliche Mensch als frei und der Bürger und der Staatsbürger als durch die Distinktion von erlaubt und unerlaubt als in seiner Freiheit limitiert zu beurteilen? Der radicale Aufklärungsphilosoph de Sade urteilt so: Jede Unterscheidung von erlaubt und unerlaubt sei eine Beeinträchtigung der menschlichen Freiheit, Frei sei nur der absolutistisch leben Könnende.Dem könnte entgegengesetzt werden, daß hier die Freiheit mit der Willkür verwechselt würde. Die Freiheit sei als aufgehobene Willkür zu verstehen. Ein simples Beispiel könnte diesen Gedanken vielleicht veranschaulichen: Eine Schachpartie und Weiß will nun das Spiel eröffnen mit dem 1.Spielzug. 20 mögliche Spielzüge stehen zur Auswahl, die 8 Bauern können 1 oder 2 Felder vorgerückt werden und die 2 Springer auf 2 Weisen ziehen. Das Gesamtregelsystem ermöglicht erst, erlaubte von unerlaubten und sinnvolle von sinnwidrigen Spielzügen zu unterscheiden. So ist ein Zug erlaubt, wenn er regelkonform gespielt wird, er ist aber sinnwidrig, wenn der zur Folge hat, dann schachmatt gesetzt werden zu können. Ohne dies Gesamtregelsystem wären aber keine sinnvollen Züge möglich und hätten die Figuren des Schaches auch keine Bedeutung, erst durch das Regelsystem werden die Figuren zu etwas, zu Bauern, Türmen mit verschiedenen Rechten, wie sie gezogen werden können und wie nicht.Es könnten zwar ohne dies Regelsystem die Figuren völlig willkürlich auf dem Spielfeld bewegt werden, aber ohne jeden Sinn. Das wäre das Einerlei völliger Willkür. Freiheit existierte dagegen erst in und durch das Gesamtregelsystem. Erst in und durch die Gesellschaft und den Staat gibt es so Freiheit, in der die Willkür aufgehoben ist, indem nun es Freiheitsrechte und Pflichten gibt. Hegelanisierend könnte gesagt werden, daß die rein subjektive Freiheit als Willkür erscheinend erst in der Gesellschaft in der Familie und dem bürgerlichen Leben und dann im staatsbürgerlichen zur anerkannten, objektiven Freiheit wird.
Wenn Habermas in typisch liberaler Sicht als ein Gut ansieht, das vor dem Staat geschützt werden muß, diese Freiheit ist realiter erst eine durch den Staat erwirkte, indem hier die Willkür in der staatsbürgerlichen Freiheit aufgehoben wird. Das menschliche Freiheitsbewußtsein artikuliert sich dabei in dem Vermögen des Denkens im Modus des Konjunktives und ist auch in diesem Denken: Ich wollte dies, ich hätte es auch nicht wollen können.Das vernünftige Denken begreift dann, daß nicht alles konjunktivisch Denkbare, das könnte ich wollen, auch ein vernünftig Erlaubbares ist.
Eines der gravierenden Fehler des Liberalismus ist eben sein Unvermögen, das Wesen des Staates zu begreifen.
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