Barmherzigkeit oder Wahrheit? Ist das eine Frage für die pastorale Seelsorge?
„Nun also, dann raten dir zwei erfahrene Menschen dasselbe.Verschweigen der Wahrheit ist keine Lüge,und selbst wenn du in diesem Falle einmal nicht so streng mit der Wahrheit bleibst,so ist das viel barmherziger.“ Hedwig Courths Mahler, O Menschenherz, was ist dein Glück?, Bd 16, S.31. Ein Mann möchte eine Vernunftehe schließen aus guten Gründen, wissend aber daß die Frau, die er heiraten will, ihn wirklich liebt, möchte er ihr gegenüber ehrlich sein. Ihm wird aber geraten, der Braut die Wahrheit zu verschweigen. Als „streng“ wird dabei die Pflicht zur Wahrhaftigkeit interpretiert, dem der Umgang mit der Wahrheit von erfahrenen Menschen geschickt gegenübergestellt wird: Lebens- und Welterfahrung statt einer rigoristischen Strenge.
Leicht könnte man diesen Rat der Lebenserfahrenen umschreiben zu einer Maxime zeitgemäßer Seelsorge. Wie sähe den die Praxis von Wahrheitsrigoristen aus? In der Bibel finden wir dafür ein anschauliches Beispiel. Jüdische Soldaten, aus Angst in der kommenden Schlacht zu fallen,legten sich einen Schutztalismann um. Jeder, der sich so schützen wollte, fiel im Kampf. Die frommen Makkabäer priesen daraufhin Gottes Gerechtigkeit:Er habe die Gefallenen rechtens bestraft. Dann bedachten sie Gottes Barmherzigkeit: Sie ließen zugunsten ihrer gefallenen Kameraden in Jerusalem ein Sühnopfer darbringen, vertrauend darauf, daß Gott um dieses dargebrachten Opfers willen den Gefallenen ihre Sünde vergeben wird, sodaß auch sie in das ewige Leben eingehen werden können. Nachzulesen in: 2.Makkabäer, 12,32-45. Luther strich diesen Text aus der Bibel, er mißfiel ihm!
Rigoristisch daran ist, daß geurteilt wurde, daß Gott so diese Soldaten gestraft habe. Das könne man doch nicht sagen,zumal sie ja aus ihrer Todesfurcht heraus so gehandelt haben und somit könne der barmherziger Gott ihnen diese Sünde doch nicht anrechnen.Und selbst wenn es wahr wäre, so dürfe man doch nicht über die Gefallenen zu den über sie trauernden Kameraden sprechen. Da mangele es doch an Empathie. „Macht Euch keine Sorgen um die gefallenen Kameraden, denn Gott ist doch barmherzig und verzeiht so!“ Das mag seelsorgerlich gut einfühlsam klingen, aber es ist unwahr. Das Ärgste an einer solchen Barnherzigkeitsseelsorge ist nun, daß dann das, was not täte, getan zu werden, unterlassen würde: Gott für die ob ihrer Sünden Gestraften ein Sühnopfer darzubringen! So würde eine solche Barmherzigkeit allen nur schaden, obgleich man es doch nur gut gemeint hat.
Könnte es nun aber doch sein, daß in anderen, näher zu qualifizierenden Fällen tatsächlich um der Barmherigkeit und Liebe zu Mitmenschen eine Wahrheit verschwiegen oder gar gelogen werden darf, vielleicht sogar muß? Da wären die Höflichkeitslügen: Statt eine ausgesprochene Einladung abzulehnen: „Ich will nicht zu dieser Feier kommen!“, sagt ein kultivierter Mensch: „Gern käme ich, aber da kann ich nicht kommen.“ Der so Antwortende möchte einer Einladung nicht annehmen, aber um den Einlader nicht zu brüskieren,benennt er einen für den Einladenden akzeptablen Grund seines Nichtkommens: „Da habe ich schon eine andere Verpflichtung.“ Daß in solchen Fällen die Wahrheit nicht ausgesprochen wird, gar gelogen wird, schädigt den so Getäuschten nicht und es wird vermieden, daß er durch die ausgesprochene Wahrheit verletzt wird. Hier würde also um der Nächstenliebe willen, konkreter, jemanden nicht unnötig zu schädigen, eine Unwahrheit gesagt. Allgemeiner formuliert: Wenn durch das Verschweigen einer Wahrheit oder gar durch eine Lüge der so Getäuschte kein Schaden entsteht, ja ein Schädigen vermieden wird, dann kann es erlaubt sein,so zu handeln.
Es sei nun ein extremerer Fall vorgestellt: Ein schwerer Verkehrsunfall, die Fahrerin des PKW war sofort tot, ihr Mann schwebt zwischen Leben und Tod: „Was ist mit meiner Frau?“ Soll der Arzt nun dem Ehemann die Wahrheit sagen, wenn er zu der Überzeugung gekommen ist, wenn der Mann die Wahrheit über seine Frau erfährt, wird er wahrscheinlicher sterben als wenn ihm die verschwiegen wird? Wenn der Arzt sich einigermaßen sicher ist, daß die Wahrheit über den Tod der Frau, würde sie dem Mann offenbart, so verhehrende Folgen zeitigen wird, darf er sie nicht aussprechen. Die Pflicht zur Wahrheit fände so ihre Grenze, wenn durch das Aussprechen ein nicht notwendiger Schaden entsteht. Ein notwendiger Schaden,das wäre etwa, wenn ein Arzt einem Alkoholiker sagen muß: „Sie gesunden nur, wenn sie mit dem Alkoholtrinken aufhören“, denn für ihn ist dieser Verzicht ein Schaden, er trinkt so gerne, aber er ist notwendig um der Heilung dieses Menschen.
Es
kann so auch die Pflicht zur Wahrhaftigkeit zu einem Rigorismus
führen, der dann der Nächstenliebe widerspricht.Aber in der
jetzigen kirchlichen Praxis überwiegt die Haltung, nur noch das zu
sagen, was allen gefällt und den Mächtigen insbesondere. Die
Deformagenda des Synodalen Irrweges gibt davon ein beredtes Zeugnis. Bezeichnend dafür ist der Erfolg der Praxis,jede moraltheologische Aussage durch die Behauptung, durch sie fühlten sich von ihr "Betroffene" diskriminiert, zu delegitimieren . Eine Morallehre, die aber nicht mehr zwischen gut und böse distinguiert, um niemanden zu diskriminieren, wäre keine Morrallehre mehr.
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