Freitag, 15. Dezember 2023

Weitere Überlegungen zum Niedergang der christlichen Religion

Weitere Überlegungen zum Niedergang der christlichen Religion


Versuche zur völligen Befreiung einer Religion von ihren magischen Überlieferungen bedeuten oft tiefe Krisen in der Religion selbst.“,urteilt der Philosoph Georg Lukacs („Die Eigenart des Ästhetischen, Bd 1, 1987, S.102) Dieser These liegt eine bedenkenswerte Rekonstruktion der Genese der Religion zugrunde. Ursprünglich war die magische Praxis, daß durch bestimmte Rituale übernatürliche Kräfte oder Wesen dienstbar gemacht werden konnten. Es galt, sie zu beschwören. Der Erfolg hing dann einerseits ab von einer besonderen Qualifikation des Magiers und der richtigen Durchführung der Rituale. Wenn aber die Adressaten solcher Rituale nicht mehr als Indienstnehmbare vorgestellt werden, sondern als ein personal gedachtes Gegenüber, das Opfer und Gebete erhören kann, wenn es erhören will, aber auch nicht erhören kann, dann wird die Praxis des Opferns und Betens eine religiöse. Das Gebet ersetzt dann die Beschwörung als eine Instrumentalisierungspraxis.

Ausgehend von dieser Kurzskisse, die Lukas hier offeriert, können noch weitere Aspekte erwähnt werden: Die Magier müssen über ein ihnen eigenes Spezialwissen des Wies des Beschwörens verfügen und wahrscheinlich müssen sie auch sonstwie sich für diese Tätigkeit qualifizieren, etwa durch einen besonderen Lebenswandel.Die Religionen heben nun die magische Praxis in sich auf; Lukacs benutzt den Begriff der Aufhebung stets hegelanisch. Religionen negieren so nicht einfach die magische Praxis, sondern verwandeln sie in eine höher entwickelte.

Mit der fortschreitenden Erkenntnis nehmen daher Gebete und Opfer die führende Stelle in dem religiösen Ritus ein, und die Magie, welche einst als gleichberechtigt galt,wird allmählich in den Hintergrund gedrängt und sinkt zur schwarzen Kunst herab.“(S.102) Spätestens seit Kants Schrift „über die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft“ wird nun aber die religiöse Praxis des Opferns und des Gebetes selbst als unvernünftige Gottesbeziehung und Gottesverehrung dysqualifiziert: In der vernünftigen Religion könne es allein um die sittliche Gesinnung des Menschen gehen, alles andere sei abergläubisch. Aus dieser aufklärerischen Perspektive geurteilt erscheinen die genuin religiösen Praktiken des Opfers und des Gebetes selbst als etwas noch magisch Verhaftetes. Sie scheinen noch dem Grund der Religion, der magischen Praxis verhaftet zu sein.

Probieren wir diesen Verdacht Lukacs einmal aus: „Sobald z.B. in die Beziehung zwischen Gott und Mensch genau einzuhaltende Zeremonien,genau vorgrschriebene Worte, Gebärden etc vermittelnd eingeschaltet werden,um die Gottheit günstig zu beeinflussen,sie den Bitten geneigt zu machen, ist es klar,daß dabei magische Tendenzen als organische Bestandteile der Religion erscheinen.“ (S.102) Eine Taufe, die statt im Namen des Vaters,des Sohnes und des Hl. Geistes etwa im Namen der Gottheit, die uns als Mutter und Vater erscheint, so sehr das auch Feministin erquicken würde, wäre ungültig, der so Getaufte wäre nicht getauft. Wenn die Wandlungsworte des eucharistischen Hochgebetes verändert oder gar weggelassen werden würden, fände keine Wandlung statt, Gott würde so kein Opfer dargebracht und die Gläubigen empfingen nur Wein und Brot. Daß für die Gültigkeit des Sakramentes der Taufe wie für die der Eucharistie die exakte Zitation der vorgegebenenen Texte notwendig ist, kann als ein aufgehobenes Element vormaliger magischer Praktiken begriffen werden. Vulgärer geurteilt ist schon die Vorstellung, Gott erhöre Opfer und Gebete etwas voraufklärerisch Magisches.

Man könnte dann den Eindruck gewinnen, daß die Emanzipation der Religion von allem Magischen die Religion in eine reine Gesinnungsethik transformiert, in der Gott dann höchstens noch als die Letztbegründung für das Streben nach einem moralisch normierten Leben fungiert. Die eigentlich religiöse Praxis fällt dabei dem Verdacht, doch letztendlich noch der Magie verhaftet zu sein, zum Opfer. So kann dann das Ritual des sich mit dem Weihwasser Bekreuzigens umgedeutet werden zu einer bloßen Handlung, die uns daran erinnern soll, Getaufte zu sein, die nun als Getaufte auch ihr Leben zu führen haben und selbst die Eucharistie erinnert uns dann nur noch an unser Geliebtwerden durch Gott. Die Gebete an Gott zwar adressiert sind dann auch nur noch autosuggestive Akte, denn Gott erhört ja keine Gebete. Es ließen sich nun noch viele andere Einzelphänome aufweisen, die alle als Entreligiöniesierung der Religion beschrieben werden könnten.

Die vernünftige Religion, die so sich herauskristallisierte, das wäre dann nur noch ein Glaube an einen Gott und das Streben nach Sittlichkeit, das dann irgendwie mit dem Gottglauben verbunden ist. Aber der Gottesdienst, das hl. Meßopfer, das Gebet, die zu lebende Frömmigkeit, das gehört dann nicht mehr zum „christlichen Glauben“, der genau genommen auch gar keine Religion mehr sein will. In Luthers Kampf gegen die Eucharistie als Opfer und der Abschaffung des Priestertumes und der Abschafung der Klöster durch die neue reformatorische Theologie darf der Anfangspunkt dieser Selbstsäkularisierung der Religion wahrgenommen werden, als aus den Priestern die Religionslehrer der Gemeinden wurden, die Pädagogik die religiöse Praxis anfing zu ersetzen. Dies war, um es mit Lukacs zu sagen, der Kampf wider die in der christlichen Religion aufgehobenen magischen Praxis, der dann die ganze Religion anfing, zu nichten. 

Nun sollte aber nicht die Kaprizierung auf die Differenzen zwischen de magischen und religiösen Praxis dazu verleiten, das ihnen Gemeinsame zu übersehen, daß die Welt ein  Raum ist,in dem in, unter und zwischen Weltimmanenten Übernatürliches, Überirdisches sich ereignet, das von wesentlicher Bedeutung für das Leben ist, sodaß nur bei einem Einklang damit das Leben des Menschen gelingen kann. Wie nun es gelingen kann, die Götter oder sonstigen übernatürlichen Mächte günstig dem Menschen zu stimmen, gehen die Wege der Magie und der Religion auseinander,aber beide glauben an eine Gestaltbarkeit dieser Relation durch den Menschen. Wenn aber Gott als ausschließlich unbedingte Liebe expliziert wird, ist unser Verhalten zu Gott für Gottes Relation zu uns gleichgültig, er wird dann immer nur als liebend gedacht, dem die Reaktion des Menschen auf diese Liebe gleichgültig ist: Er kann nur lieben.

 


 

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