Sonntag, 9. Februar 2025

Löst sich nicht nur die Kirche auf, sondern auch unsere westliche Kultur? Droht einTotalrelativismus?

 

Löst sich nicht nur die Kirche auf, sondern auch unsere westliche Kultur?



Ob nun die Religion und somit auch die christliche Religion zur Kultur gehört oder ob die Kultur als etwas der Religion gegenüber Selbstständiges betrachtet wird, ist eine schwer beantwortbare Frage. Die Kultur könnte ja auch als eine Hervorbringung einer Säkularisierungstendenz in der Gesellschaft verstanden werden. Slavoj Zizek äußerte man die sehr bedenkenswerte These: „>Kultur< sei „der Name für all die Dinge,die wir praktizierten, ohne wirklich an sie zu glauben, ohne sie >ernst zu nehmen<.“, in: „Der neue Klassenkampf“, 2020, S.53.

Manchmal findet man, wo man nicht gesucht hat, wie man ja meist nicht findet, was man sucht, solange man danach sucht. Eine verblüffende Äußerung zur Lage der Kunst als einem wesentlichen Element der Kultur fand ich nun in einem recht dürftig geschriebenen Roman: „Die Lehrerin“ S.65 von Monica Belle:

Aber in unserer modernen Gesellschaft muss man sich auf bestimmten Gebieten auskennen, die man für bedeutend hält. Dazu gehört die Kunst.“ Jeder, der auch nur ein wenig Heidegger gelesen hat, wird erstaunt feststellen müssen: So klar findet sich das „Man-Leben“ kaum bei diesem Philosophen skizziert: Wie man zu leben habe, wie sehr bestimmt das doch unser angeblich so individualistisches Leben!

Aber die Definition von Kunst ist fließend geworden1. Sie bedeutet mal >Fertigkeit<, >Können<, und es gab keinen großen Unterschied zwischen Kunst und Handwerk. Das hat sich im Laufe der Jahrhunderte geändert“.Wenn sich alles ändert im Laufe der Zeit, dann kann auch nichts mehr eine Verbindlichkeit für sich beanspruchen, schon gar nicht das Ursprüngliche, so wie es am Anfang war2! Aber die Synthese aus der christlichen Religion mit der griechischen Philosophie bildet das Fundament der abendländischen Kultur.

die moderne Kunst versteht sich als Ausdruck und hat nicht mehr unbedingt etwas mit Fertigkeit zu tun.Deshalb ist die moderne Kunst für die Öffentlichkeit viel schwerer zu bewerten, und man braucht Kritiker, um die einzelnen Stücke zu interpretieren.Die meisten Menschen haben weder die Zeit noch die Absicht, sich tiefschürfend mit den Objekten zu befassen, aber sie wollen trotzdem mitreden können,weil das ihren Status in der Gesellschaft hebt3.Sie nehmen den Standpunkt der Kritiker an und geben ihn als ihren eigenen aus. Leider ergibt sich dadurch mein Eindruck, dass die berühmtesten Künstler nicht immer die besten sind, sondern nut die besten Vermarkter“.

Der ästhetische Diskurs bestimmt, was ein Kunstwerk ist und was seine Qualität ist und dieser wird von den „Kritikern“ geführt, da nur ihre Voten zählen.Ästhetische Werte scheint es in diesem Diskurs aber nicht zu geben. Das, was man als Kunstwerk schätzt, wird so zum Kunstwerk, weil man es schätzt.

Duchamps „Urinal“ vulgär ausgedrückt: Pißbecken wurde so zu einem anerkannten Kunstwerk, obschon er einfach dies „Urinal“, so wie es massenhaft in WC-Räumen vorkommt, in in einer Kunstausstellung ausstellte. Zizek urteilt so: „dass,ob etwas als Kunst gilt,nicht von der Qualität des Kunstgegenstandes abhängt,sondern einzig und allein von dem Platz,den dieses Objekt einnimmt,“ und daraus zieht er die radicale Konsequenz, „so dass alles, sogar Scheiße,rin Kunsterk >sein< kann,wenn es sich nur am richtigen Ort befindet.“ Zizek, Absoluter Gegenstoß, 2016, S.160.

Es drängt sich so der Verdacht auf, daß es einerseits einen offiziellen Kunstdiskurs gibt, der festsetzt, was als wertvolle Kunst zu gelten hat, indem diese Werke als Kunstwerke ausgestellt werden in Kunsthallen und daß es andererseits Milieus gibt, in denen dann bestimmte Werke als Kunstwerke anerkannt werden. Wer nun dazugehören will, muß diese Werturteile teilen, damit man da anerkannt mitreden darf.So könnte geutmaßt werden, daß die Abwertung gefühlsbetonter Kunst als sentimetal, meldramatisch oder einfach als kitschig  im bürgerlichen Arbeitsethos begründet  ist, daß "zu viel Gefühl" (Musikband Ideal)eben nicht zu diesem Ethos paßt und darum verurteilt wird. 

Das Wahre, das Gute und das Schöne, das sind die drei Zentralbegriffe des metaphysischen Denkens: Was ist das Wahre,Gute und Schöne? Heute frägt man nicht einmal mehr danach, weil es zu einer reinen Privatfrage herabgestuft worden ist.

1„Kunst hat ihren Begriff in der geschichtlich sich verändernden Konstellation von Momenten;er sperrt sich der Definition.“ Adorno, Ästhetische Theorie stw S.11.

2Nicht ist ihr Wesen aus ihrem Ursprung deduzibel, so als wäre das Erste eine Grundschicht,auf der alles Folgende aufbaute und einstürzte,sobald sie erschüttert ist.“ Adorno S.11.

3Vgl: Bourdieu: "Die feinen Unterschiede". Auf den Punkt gebracht: Zu einem Dazugehören gehört die Zustimmung zu bestimmten Kunstwerken der jeweiligen Gruppe, zu der man dazugehören möchte.

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