Samstag, 22. Juni 2019

Liberalismus, Volk und Religion

Die Kernthesen des Liberalismus nach Alexander Dugin, Die vierte politische Theorie, 2013, S.152.

" das Bild des Individuums als Maß aller Dinge;

   der Glaube an den sakralen Charakter des Eigentumes;

   die Behauptung, Chancengleichheit sei ein gesamtgesellschaftliches Moralgebot

   der Glaube an die >vertragliche< Begründung aller soziopolitschen Institutionen, einschließlich
   der staatlichen

   die Abschaffung aller staatlichen, religiösen oder sozialen Autoritäten, die einen Anspruch auf   
   die >allgemeine Wahrheit< erheben;

  die Gewaltenteilung und die Einrichtung von sozialen Kontrollmechanismen über jegliche staat-
  liche Institution;

  die Erschaffung einer rassen-,volks- und religionslosen Zivilgesellschaft zum Ersatz traditio-
  neller Staaten;

  die Herrschaft von Marktverhältnissen über andere Formen der Politik (die These,  >Wirtschaft
  ist Schicksal<);

  die Gewißheit, daß der geschichtliche Weg der westlichen Völker und Länder ein universales
  Vorbild für Entwicklung und Fortschritt in der ganzen Welt und als Maß und Muster hochzu-
   halten ist."
  
Brillant erfaßt hier Dugin die Zentralbausteine der liberalen Ideologie. Dabei dürfen diese Punkte nun nicht als isolierte Einzelthesen verstanden werden, aus denen sich dann das Gesamtgebäude dieser Ideologie erbaut, sondern diese Punkte bilden ein organisch Ganzes. Aber Dugin beläßt es nicht bei dieser Darstellung. Er vertieft sie durch die Bestimmung des Freiheitsverständnissses des Liberalismus. Der Liberalismus kenne nur die "Freiheit wovon", daß das Individuum von allen sozialen Bindungen emanzipiert, sich für völlig Beliebiges entscheiden kann: "<Zur Freiheit wofür<, also zur Bedeutung und zum Ziel der Freiheit schweigen die Liberalen,damit rechnend, daß jedes Individuum von selbst eine Anwendung für seine Freiheit ffinden oder die Suche nach einer Möglichkeit, sie zu gebrauchen, überhaupt vergessen kann." (S.153) 
  
Das kann auch einfacher gesagt werden: Der freie Markt weist jeden über Kaufkraft Verfügenden die Rolle des freien Subjektes zu, daß er auf dem Markt erwerben kann, was er will. Was er nun erwirbt, ist ganz in seine Freiheit gelegt (auch wenn faktisch die Wirtschaft durch ihre Warenagebote und das Wie ihrer Präsentation die Konsumwünsche der Käufer zu lenken versucht). Aber das Individuum fungiert nun selbst auf dem Markt als Ware, nämlich auf dem freien Arbeitsmarkt. Hier wird ihm dann auch die Rolle des freien Subjktes zugesprochen, sich als beliebige Arbeitskraft anzubieten, hoffend, einen Arbeitskraftkäufer für sich zu finden. Die "Freiheit wovon" ist so nur die Freiheit, unbehindert einen freien Zugang zum freien Markt haben zu dürfen. Da dieser aber durch den Nationalstaat reglementiert wird: Wer darf in dem Staatsgebiet sich als Arbeitskraft anbieten und wer darf in ihm Waren anbieten?, ist der Nationalstaat per se der Feind des Liberalismus.Er will den globalisierten freien Markt ohne jegliche Regulierung durch den Staat. 
Wenn Dugin S.185  schreibt: "Was der Mensch ist, wird nicht von ihm als Individuum, sondern von der Politik abgeleitet. Es ist die Politik, der Träger der Gewalt und der legitimen Macht, die den Menschen definiert.", so muß wohl kritisiert werden, daß das nur für soziale Gemeinwesen gilt, die vom Primat der Politik bestimmt sind. Die westliche Kultur ist aber bestimmt durch den Primat der Ökonomie. Und wie er als freies Subjekt der Ökonomie bestimmt ist, so soll er auch im Raume der Politik sich verstehen, der dann eben zwischen verschiedenen regieren wollenden Parteien die Freiheit der Wahl hat. 
In dieser so strukturierten Gesellschaft kann eine Religion nur den Charakter eines beliebigen Konsumgutes annehmen, den der freie Konsument sich aneignen  oder unbeachtet im Warenhaus liegen lassen kann. So ist diese liberale Gesellschaft notwendigerweise eine religionslose. Da es in ihr auch nur noch freie Konsumenten gibt,kann es auch kein Volk mehr geben: Es gibt nur noch atomisierte Individuen ohne eine kollektive Wir-Identität. 
Nun versucht Dugin den Wandel des Liberalismus zu erfassen: Was wird aus ihm, nachdem er zur einzigen Ideologie geworden ist, weil er alle konkurrierenden besiegt hat, also nach der Implosion des real existierenden Sozialismus als letzten ideologischen Feind? 
Hier enttäuscht dann aber Dugin, denn er wiederholt nur auf S.163 das vordem schon Ausgesagte, nur mit kleinen Akzentverschiebungen: daß die Stellung des Indviduumes in der Postmoderne untergraben wird durch viellfältige Theorien des Todes des Menschen (des sich im Sinne Descartes bzw. des intelligiblen Iches Kant verstehender Menschen),sonst aber stellt er nur die liberalen Grundsätze als sich verstärkend dar. Dugin bedenkt hier eben nicht die Bedeutung der Politischen Korrektheisideologie mit der darin integrierten Holocaustreligion als der religiösen Substanz der Postmoderne, die eben gerade der aufklärerischen Vision einer völlig säkularisierten Gesellschaft entgegentritt mit der These, daß Gesellschaften ohne eine öffentliche Religion nicht funktionieren.Nicht tritt also mit dem Tode des christlichen Gottes eine Epoche des Nihilismus ein.(Nietzsche) sondern eíne mit einer neuen öffentlichen Religion. 
Dazu muß sich aber auch der Liberalismus selbst verändern: der der Postmoderne ist nicht mehr einfach der der Moderne! Er entliberalisiert sich auch in seiner Affirmierung der neuen öffentlichen Religion angesichts der Erkenntnis, daß der freie Markt aus sich heraus zu wenig kraftvolle Bindungen hervorbringen kann!                          

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