Montag, 5. Oktober 2020

Die Natur ist faschistisch! Eine absurde These, oder?


Diese Aussage muß natürlich als Unsinn abgetan werden, ja es stellt sich die Frage, ob hier nicht von einer ernsthaften psychischen Störung bei dem so sich Äußernden ausgegangen werden muß. Aber angesichts der Wahrheit, daß Gott für uns in dem am Kreuze sterbenden Gottessohn erkennbar wird, angesichts solch einer Thorheit, könnte doch auch so eine geäußerte Absurdität wahr sein. Paglia schreibt in ihrem großen Werk: „Die Masken der Sexualität“ ( 1992, S.26):

Denn jeder gesellschaftlicher Faschismus wird von der Natur übertroffen.“ Soll diese Aussage verstanden und nicht gleich als abstrus verurteilt werden, dann muß eruiert werden, was denn hier unter dem Begriff des Faschismus verstanden wird. Auch wenn der Text daraufhin keine explizierte Aussage trifft,läßt sich doch das Faschismusverständnis zu rekonstruieren. In zwei Basissätzen kann dies Verständnis formuliert werden: 1. Der Gattung, dem Ganzen wird der Einzelne untergeordnet,er ist nur für das Ganze. 2.Leben ist Kampf,in dem das Recht des Stärkeren allein gilt. Das ist sicher keine hinreichende Erfassung des politischen Faschismus, aber wenn man eine Schnittmenge zwischen der Natur, wie sie ist, und dem politischen Faschismus bestimmen will, dann ist das akzeptabel.

Paglia rekonstruiert ja nun in ihrem Werk, wie durch den apollinischen Blick uns erst die Natur zu etwas Schönen und Gutem wurde und wird. Die westliche Wissenschaft ist ein Produkt des apollinischen Geistes: durch Benennung und Klassifizierung, durch das kalte Licht des Intellekts hofft sie, die arachaische Nacht zurückzudrängen und zu überwinden.“ (S.16) Wem das völlig unverständlich sei, der sei an die Gnosis erinnert, dessen Erlösungsverständnis in Nähe zur christlichen entwickelt hatte, wobei die Differenz die ist, daß nach der Gnosis die Schöpfung schon das Schlechte ist, aus der der himmlische Erlöser die in der geschaffenen Welt eingekerkerten Seele befreit, während die christliche Erlösungsvorstellung die Befreiung der ganzen ursprünglich guten Schöpfung erhofft. Pointiert: Lebt der Mensch in der Natur in seiner Heimat, oder in einer ihn unterdrückenden Umwelt, in der er ein Fremdkörper ist.

Paglia scheint nun in einer Affinität zum gnostischen Verständnis die Lage des Menschen in der Natur zu sehen, der ob seiner Körperlichkeit eben in die Natur eingebunden ist, die Frau mehr als der Mann, aber so, daß Beide sich nicht aus ihr emanzipieren können. Daraus resultiere nun das Projekt einer Humanisierung der Natur, sie wird durch uns zur schönen und guten verklärt, damit wir in ihr auch gut leben können. Nur, diese Transsubstantion gelingt nicht völlig, denn immer wieder drängt sich das Verdrängte wieder an das Tageslicht.

Hart formuliert Paglia das, ein Beispiel dafür gebend so: „Der Vergewaltiger ist nicht Produkt schlechter sozialer Einflüsse,sondern mangelhafter sozialer Konditionierung.“ (S.13). Rousseau ist für sie der philosophische Vater dieser Naturverklärung,daß von Natur aus der Mensch gut sei, dem sie Marquise de Sade als den Kritiker dieser Naturverklärung, gegenüberstellt als großen Realisten. Das klingt hart,aber ist das nicht eine Vorstellung, die als philosophische anschlußfähig wäre an die kirchliche Lehre von der Erbsünde?

Wäre so der Ruf zurück zur Natur ein Ruf zur Faschistisierung der Gesellschaft? Natürlich nicht, solange dem ein sozialromantisch verklärter Naturbegriff unterlegt wird, aber ganz anders sähe es aus, orientierte man sich wirklich an der realen Natur. Man denke nur an sozialdarwinistische Konzepte, in denen ein Zuviel an Sozialstaatlichkeit und Bekümmerung um Arme und Kranke als die Lebenskraft der Menschheit Beeinträchtigendes verurteilt wurde. Die Gesellschaft habe sich an dem Recht des Starken zu orientieren.

Paglias These fällt heutzutage aber auf sehr unfruchtbaren Boden, da die Natur im Raume der Ökoideologie primär als Ausbeutungsopfer menschlicher Herrschsucht wahrgenommen wird, als etwas, an dem der Mensch und isb der westliche Mann sich vergreife. Dann kann es plötzlich als sinnvoll erscheinen, die Natur zur Mutter Erde zu remythologisieren, pan(en)theistische Tendenzen aufnehmend. Die „Pachamama“-Verehrung bot dafür den ersten bedenklichen Tiefpunkt dieser Remythologisierungstendenz. Selbstredend setzt dies die Verklärung der Natur voraus zu etwas Gutem und Schönen, von der so wirklich nicht mehr prädiziert werden kann, daß sie auf die Erlösung ersehnt von der Nichtigkeit, der sie unterworfen wurde, wie der Apostelfürst Paulus es sagt. (Röm 8, 18-30).

Aber gerade weil dies Buch über die Sexualität so ganz und gar unzeitgemäß ausfällt, ist es für jeden Leser eine große Bereicherung! (Und ihre an Nietzsche geschulte Sprache kann auch begeistern!-Natur ist eben der Wille zur Macht! Eine vergleichende Lektüre der Schopenhauers Metaphysik des Willens wäre dann sehr bereichernd. )





 

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