Dienstag, 13. Oktober 2020

Populäre Irrtümer in der Kirche: Überspannter Personalismus


Ein schlicht-schönes Narrativ geistert durch die Kirche: Die Frage, wie kommt es dazu, daß es so viele Kriege, so lange Kriegszeiten gebe, wird da so respondiert: weil wir Menschen mit uns selbst und mit den Anderen in Unfrieden lebten, gäbe es Kriege. Der Krieg begönne in den Konflikten in den Familien oder Zweierbeziehungen, aber auch diese entstünden letztlich nur aus einer gewissen Aggressivität gegen sich selbst, es fehle die Selbstannahme. Die Therapie fällt dann ebenso simpel aus: die Verkündigung des jeden liebenden Gottes, der so zur Selbstaffirmation und zur Bejahung des Anderen, der uns als von Gott Bejahter zum Mitmenschen wird, befähige und so die Quelle alles Unfriedens behebe.

Der Krieg wird so unmittelbar aus der Anthropolgie entwickelt, aus einem spezifischen Problemkomplex des Menschseins, der Differenzerfahrung von dem, wie der Mensch sein möchte oder sein sollte und die aus dieser Differenzerfahrung entspringende Aggressivität gegen sich und Andere.

Ein genau so simpel strukturiertes Narrativ sieht den Ursprung aller Konflikte in dem sich zwar selbst aber nicht seinen Mitmenschen liebenden Menschen. Hier müsse also dem Egozentriker die Moral der Nächstenliebe gepredigt werden, um eine friedliche Zukunft zu ermöglichen, denn der Krieg sei eben nur der Exzeß ausgelebten Egozentrismuses.

Ähnlich naiv ist die Vorstellung, daß es den Armen in der Welt nicht gut ginge, weil wir „Reichen“ zu viel konsumierten, sodaß, wenn wir einfacher und genügsamer lebten, das hier Eingesparte den Armen zu gute käme. Oder die Ökonomie ließe sich einfach ableiten aus den natürlichen Bedürfnissen des Menschen, aus seinem Bedarf an Lebensnotwendigen.

Immer wird ausgehend vom Einzelmenschen komplexe Phänomene wie der Krieg, der Hunger und die Ökonomie zurückgeführt auf anthroplogische Tatsachen, als wenn das Ganze (etwa ein Krieg) sich ableiten ließ aus seinen Elementarteilchen, den Soldaten, der in einen Krieg zieht und die Frage evoziert: Warum marschiert er in einen Krieg und warum konsumiert der Reiche so viel,daß für die Anderen so wenig übrigbleibt? Darin manifestier sich ein typisches Problem christlicher Moral, die immer den Einzelnen persönlich ansprechen will: Auf Dich kommt es an!, dabei verkennend, daß das Sozialleben nicht verstanden werden kann aus dem Verhalten aller daran beteiligten Einzelnen.

So ist das einfache Phänomen einer Unterrichtsstunde mit einem Lehrer und Schülern nur begreifbar, wenn es als ein Ereignis in der Struktur der Institution der Schule begriffen wird. Das spezifische Verhalten des Lehrers und der Schüler resultiert dann auch primär aus der jeweiligen Rolle in dieser Struktur der Schule und nicht in der Individualität der Beteiligten.

So ist eben auch der Krieg ersteinmal ein Medium der Politik und das Phänomen der Politik läßt sich nicht einfach aus einer Anthropologie deduzieren. Im Raume der Politik wird ja erst dem Einzelnen seine Rolle durch die Ordnung der Politik zugewiesen, so wie es einen Stürmer und einen Torwart auch nur in und durch bestimmte Mannschafts-ballspielordnungen gibt. Wie erst das Regelsystem des Schachspieles die Rolle und Bedeutung der dortigen Spielfiguren fixiert, daß es eben eine Differenz zwischen dem König und der Dame gibt, so gilt das auch für das Phänomen des Krieges: Erst durch die Ordnung der Politik gibt es Kriege.Diese Ordnung ist nun so wenig aus einer Anthropologie ableitbar wie die Ordnung des Fußballspieles aus der Kenntnis gar der Personen, die Fußball spielen.

Unter dem Begriff des Personalismus möchte ich deshalb die Vorstellung verstehen, daß komplexe Sozialordnungen aus der Perspektive des Einzelmenschen hinreichend rekonstruierbar sind unter Ausblendung, daß die jeweiligen Ordnungen (die der Politik, der Ökonomie, etc) erst ihre Elementarteilchen (den Einzelmensch in seiner Besonderheit) bestimmen, wie er im jeweiligen System zu fungieren hat, ihm seine Rolle zuweisen. Das jeweils Ganze legt sozusagen wie ein Regisseur die Rollen fest, die dann nur noch individuell ausgestaltet, gespielt werden können. Der Personalismus tendiert dagegen dazu, die jeweils in einem System gespielte Rolle aus der individuellen Besonderheit der da agierenden Person abzuleiten.

Darum erweisen sich die kirchlichen Appelle an den Einzelnen: Verhalte Du Dich anders!, als so wenig effektiv, verkennen sie doch die soziale Eingebundenheit in Sozialordnungen mit ihren jeweiligen Rollen-zuweisungen.

 

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