Sonntag, 11. Oktober 2020

Das christliche Abendland und zwei seiner unehelichen(?)Kinder


Daß das Abendland nicht nur griechisch-römisch fundiert war (durch die griechische Philosophie und das römische Organisationstalent, auch durch das Römische Recht.sondern auch durch die christliche Religion und der jüdischen, wie heutzutage hinzugefügt wird, ist unbestritten. Es sei nur an Max Webers heute noch überzeugende These von der Geburt des Kapitalismus aus dem Geiste des Protestantismus erinnert, oder an die These, daß das Projekt der Technik als Naturbeherrschung sich dem Beherrschungsauftrag der Schöpfungserzählung der Bibel verdanke.

Aber zwei wirkmächtige Ideologien des 20.Jahrhundertes, der Kommunismus besonders in der Ausgestaltung des Bolschewismus und des Nationalsozialismus, das sollen nun völlige Fremdkörper in der abendländischen Kultur sein, ja sie markierten den totalen Bruch mit der gesamten abendländischen Kultur. Aber wie nun, wenn diese radicale Distanzierung nur dazu dient, sich dieser Schmudelkinder zu entledigen, als wären sie nicht auch Hervorbringungen dieser Kultur, deren Verwandtschaft man sich aber schämt.

Man könnte den Text: „Wofür kämpfen wir?“ Jänner 1944 herausgegeben vom „Personal-Amt des Heeres“, mit ausdrücklicher Zustimmung Hitlers als einen nationalsozial-istischen „Katechismus“ für die deutschen Soldaten bezeichnen. In ihm wird eine Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus geführt. In dieser Auseinandersetzung wird auch die (christlichen) Religion thematisiert als ein entscheidender Differenzpunkt : Wie anders verhält sich der Nationalsozialismus zur Religion als der Bolschewismus? Wenn bei einem ersten Überflug über den Text ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema wahrgenommen wird, enthüllt eine zweite Lektüre verwirrende Komplikationen, die ein sehr eigentümliches Verhältnis zur Religion und damit zur abendländischen Kultur anzeigen.

Eingedenk der These, daß der Kommunismus wie der Faschismus nur zwei Gesichter eines ideologischen Totalitarismus sind, zerstrittene Zwillingsbrüder sozusagen, liegt es ja nahe, daß beide sich wechselseitig besser verstehen als wenn sie aus einer antitotalitären Perspektive beobachtet werden.

Alles, was durch den Begriff >Religion< bezeichnet wird, ist für den Bolschewisten nichts anderes als eine Art sozialer Krankheitserscheinung. Der Bolschewismus lehrt die Gottlosigkeit.“ (Reprintausgabe 2017, S. 23). Dem wird dies Bekenntnis Hitlers gegenübergestellt: „Das Höchste aber, was mir Gott auf dieser Welt gegeben hat, ist mein Volk. In ihm ruht mein Glaube, ihm diene ich mit meinem Willen, und ihm gebe ich mein Leben“ 1935, S.77. Im 30.Kapitel setzt sich dieser „Katechismus“ mit der Kritik auseinander, daß die nationalsozialistische Ideologie (auch, genauso) gottlos wäre wie der Bolschewismus. Als Antwort wird formuliert: „Der Nationalsozialismus wurzelt in ehrfürchtiger Gotteserkenntnis“. (S.109) „Das Volk ist uns ein Glied der göttlichen Schöpfungsordnung.“ „Wer Gott dienen will, muß mit dem Vaterland anfangen.“ (S.110)Offenkundig ist hier das Bemühen, sich in ein positives Verhältnis zur (christlichen) Religion zu setzen und somit auch den Antikommunismus der Partei religiös zu legitimieren. Damit zeichnet sich dieser Katechismus in die christlich-religiöse Tradition des Abendlandes ein, auch wenn hier die christlich-religiösen Traditionen schon sehr verblaßt sind zu: göttlichen Schöpfungsordnungen, die zu bejahen sind. Einem aufmerksamen Leser wird aber nicht entgehen, daß damit aber auch an eine Tendenz des zeitgenössischen Luthertumes angeknüpft werden konnte und an eine verblassende Gottgläubigkeit im deutschen Volke. Wenn dieser „Katechismus“ feststellt: Der Glaube an eine „göttliche Weltordnung“ „ist aber die religiöse Grundlage unserer artechten Weltanschauung wie überhaupt der europäischen Völker und Kulturen“ (S.23), dann knüpft er wohl realistisch an: Was glauben die Deutschen jetzt?, an und deuten sich so im Einklang mit der abendländischen Kultur.

Dann wäre der Bolschewismus einfach die pure Negation der abendländischen Kultur in seinen geistigen Fundamenten. Aber was lesen wir nun über die gewaltigen Leistungen Rußland, im Ökonomischen wie im Militärischen unter der Herrschaft Stalins? „Es darf nicht übersehen werden, daß ohne die insbrünstige Glaubenskraft der russischen Seele, ohne die Hoffnung auf ein vorgegaukeltes >Paradies der Werktätigen< ein solches System nicht möglich wäre.“ (S.25) Damit wird gesagt, daß diese religöse Vorstellung von einem erlösenden Paradies nicht etwa eine akzidentielle Beigabe zum Bolschewismus sei, sondern ihn fundiere. Die christliche „Heilslehre“ habe der Bolschewismus mit „unübertrefflichen Fanatismus“ rezipiert.Wird diese These ernst genommen, ernster als dieser „Katechismus“ es wohl hier gemeint hat, dann wäre der Bolschewismus gerade der Versuch, fanatisch, das, was die christliche Religion von der Erlösung im jenseitigen Paradiese erhofft, nun politisch revolutionär als diesseitiges Paradies zu realisieren.

So ergibt sich sicher nur als recht vorläufige These: Der Nationalsozialismus knüpft an die religiöse Vorstellung einer göttlichen Schöpfungsordnung an und versteht seine politischen Ordnungsvorstellungen selbst als darin fundiert, während der Bolschewismus an die Paradieserlösungsvorstellungen anknüpft und diese religiöse Hoffnung nun als revolutionär politische Aufgabe versteht. Eingedenk Ernst Noltes These vom primär reaktiven Charakter des Nationalsozialismus als antikommunistische Bewegung ergibt das, daß dem revolutionären Umgestaltungswillen der Wille zur Erhaltung der Ordnungen, die als Schöpfungsordnungen angesehen werden, entgegengesetzt wird. Somit verweisen diese antithetisch sich gegenüberstehenden Anknüpfungen auf eine der christlichen Religion immanenten Spannung zwischen den göttlichen Schöpfungsordnungen und der eschatologischen Verheißung einer neuen Erde und eines neuen Himmels.

So wären also diese beiden Ideologien selbst noch in der abendländischen Kultur verortbar und so nicht einfach ihre pure Negationen.


 

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