Dienstag, 27. Oktober 2020

Zum Kampf der Demokratie versus die (kirchliche) Tradition

Zum Kampf der Demokratie versus die (kirchliche) Tradition



Tradition ist Demokratie für die Toten. Sie ist die Weigerung, der kleinen anmaßenden Oligarchie derer, die zufällig gerade auf der Erde wandeln, das Feld zu überlassen. Jeder Demokrat ist dagegen, daß die Menschen durch den Zufall ihrer Geburt Nachteile erleiden;die Tradition verwahrt sich dagegen, daß sie durch den Zufall ihres Todes benachteiligt werden.“ G.K. Schesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, 2015, S.99.

Tradition, das wird spontan als ein zur Idee der Demokratie in Spannung Stehendes, ja als ihr etwa Widerstreitendes empfunden. Das, was einst war, als verbindlich galt, das kann jetzt nur weiterhin als verbindlich gelten, wenn es jetzt demokratisch neu bestätigt wird. Für Chesterton ist dagegen die Tradition selbst ein demokratisches Produkt, das so, weil es zu respektieren ist als wenn die Tradition etwas von allen gemeinsam Erwirktes und so Demokratisches wäre.

Ist aber die Tradition selbst eine demokratisch legitimierte Hervorbringung? Kapriziert man sich, was bei diesem Buchtitel wohl erlaubt ist, auf die kirchliche Tradition, dann legitimiert sich die Lehre der Kirche, ihre Tradition durch die Wahrheit der Offenbarung, daß die Tradition die Entfaltung der Offenbarungswahrheiten ist und eben daß sie keine innovatorische Hervorbringung einer kreativen Kirche ist. Zudem kann die Lehre der Kirche auch nicht einfach verstanden werden als das, was die Kirchenmitglieder in den vergangenen Zeiten geglaubt haben und daß deshalb dieser Kirchenglaube für die Jetzigen verbindlich sei.

Man kann überhaupt sich fragen, ob Traditionen, die als rein menschliche Hervorbringungen angesehen werden, als wirklich verbindlich angesehen werden. Spricht die Vorstellung einer Ursprungslosgkeit einer Tradition, das war nie anders, eher für einen übernatürlichen Ursprung, daß es, weil es immer schon so war, eben nicht eine kontingente menschliche Hervorbringung ist?

Wenn es wahr ist, daß der Mensch in der Geschichte immer schon als ein Religion Praktizierender vorkommt, die Religion so zum Menschsein dazugehört, liegt es da nicht nahe, der menschlichen Religion einen transhumanen Ursprung zuzuordnen? Daß, wenn alle Menschen in allen Zeiten Religion praktizierten, dies ein gutes Argument dafür ist, mißtrauisch zu sein dem Versuch gegenüber, eine religionslose Kultur zu versuchen, ist einsichtig, aber nicht, daß diese Tradition demokratisch legitimiert gewesen sei. Es ist zu fragen, ob nicht die Religion anfänglich von den jeweiligen Priestern praktiziert wurde, daß unter ihnen sich die religiöse Tradition als spezielles Priesterwissen entwickelte, daß dies als Geheimwissen, als Mysterien gerade gar nicht ein Allgemeinwissen war.

Erst der Aufklärungsmythos einer natürlichen Religion, an der jeder partizipierte kraft seiner Eigenvernunft, erschuf ja die Vorstellung von einem Priesterbetrug, daß die Priester plötzlich sich ein Geheimwissen anmaßten, mit deren Hilfe sie dann Herrschaftsansprüche durchsetzten und so die natürliche Religion korrumpierten. Aber diese natürlich- demokratische Religion hat es faktisch nie gegeben,sie ist ein pures Produkt des philosophischen Denkens, das so höchstens ein Moment der wirklichen Religionen markiert als ihr vernünftiges Moment.

Gravierender ist aber der das demokratische Denken bestimmende Herrschaftsanspruch der jetzt Lebenden über alle Geltungsansprüche der Tradition: Sie werden nur anerkannt, wenn sie von den jetzt Lebenden wieder neu anerkannt werden. Denn das war und ist doch die Delegitimierungsformel gegen von der Herkunft und der Tradition her sich gründenden Herrschaftsansprüche des Adels und der Königshäuser. Das königliche Herrscherhaus der Wittelsbacher kann sein Recht, zu regieren, nicht mehr mit der Tradition ihres Regierens Bayerns legitimieren: Die demokratische Revolution beraubte sie dieses Traditionsrechtes. Nur die jetzt Lebenden zählen. Nähme man aber die Idee der Demokratie ernst, daß die Volksherrschaft damit gemeint ist, dann müßten die Toten mitregieren, denn sie gehören immer noch als Verstorbene zu ihrem Volke.



 

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