Sonntag, 4. Oktober 2020

Der Glaube, daß Natur und Gott gut sind...

Der Glaube,daß Natur und Gott im Grunde gut sind, ist einer der wirkungsvollsten Mechanismen, über die der Mensch zum Überleben verfügt. Ohne diesen Glauben fiele die Kultur wieder der Angst und Verzweiflung anheim.“, urteilt C.Paglia in ihrem Monumentalopus: „Die Masken der Sexualität“, 1992, S.12). Nicht schon daß Gott ist, sondern daß er gut ist, ist so diesem Urteile nach eine lebensfördernde Illusion und darum für eine humane Gesellschaft konstitutiv. Denn: „Gesellschaft ist ein Gebilde von Menschenhand, ein Bollwerk gegen die Macht der Natur:“ (S.11) Die Entstehung der Religion wird dann so gedeutet: „Menschliches Leben begann in Furcht und Schrecken. Religion entwickelte sich aus Sühneritualen, aus Beschwörungen zur Besänftigung der strafenden Elemente.“ (S.11)

Ein paar kleinere Korrekturen seien erlaubt, um dann diesen Ansatz zu würdigen. Solange an „strafende Elemente“ geglaubt wird als Ursache etwa für Mißernten, Naturkatastrophen etc, werden diese durch magische Praktiken beschworen. Sobald aber Sühnerituale durchgeführt werden, wird an personal vorgestellte Götter geglaubt, mit denen eine religiöse Kommunikation möglich ist: der Opferkult und das Gebet als die Zentralmedien der religiösen Kommunikation. Dies ist klar zu distinguieren von einer magischen Praxis der Beschwörung übernatürlicher Kräfte. So kann aber die Religionspraxis aus der magischen Praxis sich herausentwickelt gedacht werden und somit wäre dann dieser Ansatz Paglias erörterungswürdig.

Die Götter, oder der Gott, mit dem so kommuniziert wird, muß noch nicht als „gut“ vorgestellt werden, es reicht aus, wenn von ihm ausgesagt werden kann, daß er durch religiöse Kommunikation umstimmbar ist, um es einfach auszudrücken, daß der erzürnte Gott wieder milde gestimmt werden kann etwa durch das Darbringen von Opfern. So beschreibt Paglia die indische Göttin Kali leicht verzeichnend so: „Die indische Naturgöttin Kali ist Schöpferin und Zerstörerin, mit dem einen Teil ihrer Arme spendet sie Segen, während sie mit der anderen Kehlen durchschneidet.“ (S.20). Diese in Indien verehrte Göttin widerlegt das feministische Narrativ von der guten Muttergöttin, der der gewaltsame Männergott gegenübergestellt wird. Aber ob Kali eine Naturgöttin ist, das kann bezweifelt werden, denn ihr Wirken ist durch religiöse Praktiken als beeinflußbar vorgestellt. Nicht sie schneidet Kehlen durch, wie hier geschrieben wird, sondern ihre Verehrer haben so Menschenopfer darzubringen, um ihren Zorn zu besänftigen. (Robert Kraft beschreibt in seinem herrlich zu lesenden Roman: „Kampf um die indische Krone“ diese Verehrung der Göttin Kali). Mein Vorschlag: Sobald „Naturgötter“ als Adressaten religiöse r Kommunikation vorgestellt werden, sollten sie nicht mehr als Naturgötter bestimmt werden, das sind sie nur, wenn sie als magisch beschwörbar gelten. Daß solche Götter dann auch Naturkräfte in ihren Dienst stellen können, erweist gerade, daß sie als übernatürlich vorgestellt werden und daß sie nur so Natürliches für ihre Zwecke instrumentalisieren können.

Daraus ergibt sich folgende Modifikation: Die religiöse Praxis lebt von der Voraussetzung, daß die Götter oder der eine Gott weder prinzipiell gut noch nichtgut zu den Menschen sind, daß sein Verhalten zu den Menschen aber zum Guten gewendet werden kann, wenn die religiöse Kommunikation gelingt. So ist für den Menschen die Natur auch nicht einfach gut, sondern er gestaltet sie so, daß sie ihm zu einer guten wird, etwa indem das Raubtier Wolf zu dem Haustier Hund umgezüchtet wurde. Und so hat eben auch die religiöse Praxis das Ziel, auf Luthers Frage: Wie bekomme ich einen mir gnädigen Gott?, eine Antwort zu geben.

Wenn nun der Gott als nur noch gut vorgestellt wird, dann evoziert dies die Frage, wozu dann noch eine religiöse Praxis von Nöten sei? Damit streifen wir die modernistische Gottesvorstellung.

Typisch hierfür ist die Meinung des modernistischen Jesuiten Keller: „Außerdem schließt bereits die Absolutheit Gottes es aus, er könne auf irgendeine Weise durch die Welt betroffen oder beeinflusst werden.“1 Gemeint ist damit zweierlei: Gott ist so absolut, daß eine Sünde ihn gar nicht berühren könne, und Gott ist so absolut, daß Gott kein menschliches Gebet erhören könne. „Es widerspricht dem Glauben, durch unser Beten werde Gott veranlaßt etwas zu tun. Das Neue Testament sagt: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8 und 16). Er ist nicht 99 Prozent Liebe, nicht noch zu steigern, er ist völlig und pur und allein Liebe. Nichts kann ihn bessern; und wenn alle Menschen tausendfach beteten, würde er um kein Jota gütiger und gnädiger, weil er bereits völlig reine Güte ist, die uns immer schon überschüttet mit unendlicher Liebe. Nur ein Irrglaube kann meinen, Gott sei mit Beten zum Guten zu bewegen. Gott ist unbewegbar.“2


Der Liebesgott der Modernisten, der bedingungslos jeden Menschen liebt, ist ein Gott, der eigentümlich gleichgültig liebt. Ihm ist es egal, ob seine Liebe von uns erwidert wird oder ob wir nichts von ihr wissen wollen. Es ist dieser Liebe gleichgültig, ob wir gemäß dieser Liebe leben oder sündigen. Ja, diesem Gott scheinen die Menschen, die er liebt, letztendlich gleichgültig zu sein. Ganz anders der Gott der Tradition: Er wendet sich so sehr den Menschen zu, daß er in seiner Liebe zu den Menschen sich wirklich engagiert. Er zürnt dem Untreuen, er läßt sich durch unsere Sünden verletzen, er will unsere Umkehr, weil er uns liebt. Er zürnt, wenden wir uns stattdessen von ihm ab. Er läßt sich aber wiederum von uns bewegen. Durch Opfer und Gebete, die Menschen ihm darbringen, ist er umstimmbar, weil er als liebender Gott in einer lebendigen Beziehung zu uns lebt. Und das ist eine ganz und gar von der modernistischen Theologie verschiedene Gottesvorstellung, in der Gott nur noch wie eine tote Sonne ihr Liebeslicht auf alles ausstrahlt, völlig gleichgültig den Empfängern gegenüber, weil Gott sonnengleich alle gleich liebt und genau genommen dabei niemanden wirklich liebt, weil die Menschen ihm in dem, wie sie auf Gottes Liebe antworten, gleichgültig sind. (Auszug aus meinem Buch: Der zensierte Gott)

So muß die Aussage Paglias leicht revidiert werden: Wäre Gott nur als der immer nur gute Gott vorzustellen, erübrigte sich die Religion. Zudem wäre der so vorgestellte Gott für das reale Leben völlig irrelevant, weil er unbeteiligt am Negativen des Lebens auch keine Handlungskompetenz für dies Negative hätte. Wird Gott dagegen auch als zürnender und strafender vorgestellt, kann er auch vorgestellt werden als eine, der das Negative, das durch seinen Zorn Gewirkte, auch wieder beseitigen kann. Das Gutsein Gottes ist so im Raume der religiösen Praxis immer auch als das Resultat dieser Praxis vorgestellt, dem sein Gutsein als Bereitschaft zur religiösen Kommunikation zwar vorausgeht, aber noch nicht sein Gutverhalten garantiert. Das ist so also strikt zu unterscheiden von einer magischen Praxis, in der die Götter durch die Praktiken beherrscht werden, durch die Magie diese übernatürlichen Kräfte für menschliche Bedürfnisse instrumentalisiert werden können.

Wenn Gott nur noch gut und die Natur nur noch gut wären, hörte der Mensch auf zu wirken. Es gäbe nur noch eine quietistische Lebenspraxis. Aber die Zuversicht, daß die Natur zum Gutsein für den Menschen umgewandelt werden kann, das ermöglichte erst die Weltgestaltung des Menschen. So ist ein Stück Holz gut für einen Zimmermann, wenn er daraus etwas Nützliches herstellen kann, etwa Bretter für Möbel oder für einen Künstler, wenn er daraus Schönes schnitzen kann, etwa eine Mutter Gottes Figur.Die Nützlichkeit zu etwas, mehr als das ist das Gutsein der Natur für den modernen Menschen nicht mehr, auch wenn er sich jetzt vor das Problem gestellt hat, daß die Praxis der Vernutzung der Natur nun negative Folgen für ihn zeitigt. Er schädigte so die Natur auch zu seinem eigenen Nachteil. So gilt eher: Der Glaube, daß Gott durch einen religiösen Kult zu einem uns guten Gott werden kann, wie auch der Glaube, daß die Natur durch die Technik zu einer guten Heimat für uns umformbaren ist, bestimmt die westliche Kultur, die so aber immer auch das Dionysische mitdenkt als zu Überwindendes.

Genau das bezweifelt aber Peglia und begründet ihre Zweifel in diesem großen Opus: „Die Masken der Sexualität“ zu recht oder zu unrecht. Das möge der Leser bitte erst nach der Lektüre dieses Werkes beurteilen.



































































1Keller, A., SJ, Grundkurs des christlichen Glaubens. Alte Lehren neu betrachtet, 2011, S. 301.

2Keller, A. a.a.O. S. 483.

 

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