Mittwoch, 21. Oktober 2020

Irrwege der Theologie- oder der Glaube an den guten Menschen

Irrwege der Theologie- oder der Glaube an den guten Menschen



Gewisse Theologen von heute bestreiten die Erbsünde,das einzige Stück der christlichen Theologie, das wirklich beweisbar ist.“ G.K.Chesterton, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen, 2015,S.39. Als Beleg wird dann angeführt: „Falls es stimmt (und das tut es), daß ein Mensch mit innigem Vergnügen einer Katze bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren zu ziehen vermag, dann zwingt das den religiösen Philosophen zu einem von zwei Schlüssen“ (S.40), daß es entweder keinen Gott gibt oder es muß bestritten werden, „daß sich der Mensch gegenwärtig im Einklang mit Gott befindet“. (S.40)

Was heißt hier „beweisbar“? Ein Einzelfall praktizierter Tierquälerei, auch wenn er öfters vorkommt, kann auf keinen Fall beweisen, daß der Mensch sich nicht im Einklang mit Gott befindet, höchstens, daß diese Täter sich im Widerspruch zu Gottes Willen befinden. Aber auch diese Aussage könnte in Frage gestellt werden durch die Vermutung, daß eine solche tierquälerische Handlung auf eine psychische Erkrankung verweisen könnte. Empirisch läßt sich eine Alle-Aussage auch nicht verifizieren, daß alle Menschen erbsündlich bestimmt sind, sondern nur, daß es (viele) Menschen gibt, die moralisch nicht Vertretbares vollbringen. Das impliziert eine von allen anerkannte Moral, die aber auch bestritten werden kann. Zumindest wird die christliche nicht mehr in Europa und Amerika von allen anerkannt, man denke nur an die Legitimierung der Kindestötung im Mutterleibe.

Kann dann aber noch bewiesen werden, daß jeder Mensch von Natur aus zum Bösen neigt? Darüber hinaus ist zu fragen, ob das Erbsündliche wirklich einfach nur das Bösetuen meint, denn dann müßte doch konzediert werden, daß viele Menschen, um es mal etwas unpräzise zu formulieren, anständig leben und so rechtens sich als Nichtböse qualifizieren würden.

Daß heutige Theologen zu Hauff die Erbsünde bestreiten, liegt eben gerade auch darin begründet, daß diese Lehre nicht empirisch, aus Erfahrungen her bewiesen werden kann. Denn das Faktum, daß jemand sündigt, kann ja auch so gedeutet werden, daß es die freie Entscheidung des Subjektes sei, so zu handeln; er hätte nicht so handeln müssen. Somit gäbe es nur die menschliche Freiheit, die der Mensch auch zum Sündigen mißbrauchen könne. In dieser Interpretation kann es dann keinen Platz mehr für die Erbsündenlehre geben, da die aussagt, daß der freie Wille des Menschen notwendig sündigt und daß nur durch die göttliche Gnade der Mensch daraus befreit werden kann. So drängt sich der Verdacht auf, daß Chesterton hier gar nicht die Erbsündenlehre beweisen will, sondern nur sagen will, daß Niemand bestreiten könne, daß die Welt, in der wir leben, so wie sie ist, nicht in Ordnung ist.

Könnte aber die Erbsünde bewiesen werden? Ja, wenn die These bejaht wird, daß der Tod der Sünde Sold ist und daß der Mensch von seiner Geburt an dazu verurteilt ist, zu sterben. Wenn auch schon Kinder gleich nach der Geburt sterben und wenn der Tod das göttliche Gericht über den Sünder ist, dann muß das Kind von Geburt an sündig sein. Wie das denkbar ist, das zu explizieren, ist die Aufgabe der Erbsündenlehre. Vgl dazu mein Buch: Der zensierte Gott).

Eines ist aber ad hoc klar: Da der Ursprung der Erbsünde die Tat Evas und Adams ist, dies aber kein Geschehen in der Menschheitsgeschichte sein kann, sondern eine Urtat, durch die die Menschheitsgeschichte erst konstituiert wurde, kann dies Ereignis nicht selbst bewiesen werden als Ereignis. Es kann nur geschichtsphilosophisch konstruiert werden. Vgl dazu etwa Schellings Schrift über die menschliche Freiheit, in meinem Buch: „Der zensierte Gott“ diskutiert. Die Erbsündenlehre kann also nur theologieimmanent bewiesen werden, oder philosophisch, aber nicht aus der Erfahrungswelt erschlossen werden.

Mit dem Verlust der Erbsündenlehre gerät aber nun die ganze christliche Erlösungsreligion ins Wanken. Denn wenn das Böse in der Welt auf ein kontingentes Fehlverhalten der Menschen zurückführbar ist, warum sollte es da dem Menschen nicht möglich sein, durch eine Selbstdiziplinierungskultur dies kontingente Sündigen zu überwinden? Ein einfacherer Weg, den heutzutage Teile der Kirche beschreiten wollen, wäre der, allzu „beliebte“ und so häufig praktizierte Sünden einfach nicht mehr als Sünde, als Bösestuen zu qualifizieren. Je weniger als Sünde angesehen wird, desto weniger Sünder gibt es auch.

Die traditionelle Lehre von der Erlösung des Menschen baute sich auf aus der Polarität des als durch die Erbsünde bestimmten Menschen und wie er durch die göttliche Gnade gerechtfertigt wird. Aus der Heilsnotwendigkeit der Gnade wurde dann die Erbsündenlehre konstruiert, die die Unmöglichkeit einer Selbsterlösung zu beweisen hatte. Diese Konzeption ersetzt die nachkonziliare Theologie weitestgehend durch eine Gotteslehre, nach der Gott jeden Menschen unbedingt liebe, sodaß diese göttliche Bejahung den Menschen zur Selbstannahme und zur Bejahung der Mitmenschen befähige. Daß Rousseaus Anthropologie, daß der Mensch von Natur aus gut sei und nur durch seine soziale Umwelt korrumpiert würde , in heutigen Zeiten auch in der Kirche auf mehr Zustimmung stößt als die klassische Erbsündenlehre zeigt dann unübersehbar, wie sehr sich die Kirche von ihren Fundamentallehren entfernt hat. Der Glaube an das Gute in jedem Menschen ersetzt so die christliche Erlösungslehre.



 

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