(Einst galt als höchste Tugend der Kunst ihre gesellschaftskritische Relevanz, die kritische Darstellung des gesellschaftlichen Lebens. Kann das auch anders gesehen werden?)
Auch auf die Gefahr hin, mir den Vorwurf einer zu schnellen Aburteilung eines bedeutsamen Ästhetik, der Georg Lukacs einzuhandeln (Die Eigenart des Ästhetischen)möchte ich einen der Anfangssätze dieser Ästhetik einer prinzipiellen Kritik dieses Konzeptes unterziehen, getreu dem Motto, wenn schon das Fundament falsch gelegt ist....
Lukacs sieht es als Ideal an, von dem Alltagsdenken ausgehend „die Geschichte der Trennung der aus diesem gemeinsamen Boden wachsenden künstlerischen und wissenschaftlichen Widerspiegelung der Realität zu geben.“ (Erstes Kapitel: Probleme der Widerspiegelung im Alltagsleben). Verharren wir bei dieser Idealvorstellung, der Lukacs selbst nicht hinreichend genügen kann, wie er selbstkritisch anmerkt.
Es soll also eine Widerspiegelungspraxis der Realität im Alltagsdenken geben, aus der sich dann zwei verschiedene Widerspiegelungskonzeptionen, die der Wissenschaft und die der Kunst herausentwicklt haben sollen. Eine Intention ist dabei, daß die Kunst neben der wissenschaftlichen Erkenntnis weiterhin eine legitime Weise des Umganges mit der Realität ist als Erkenntnispraxis, obgleich Hegel doch schon das Ende der Kunst proklamierte, da nun die Erkenntnis der Realität in der Philosophie ihre Vollendung gefunden habe, sodaß die Kunst als Gestalt des Erfassens der Wirklichkeit salopp formuliert überflüssig geworden ist, als wäre die Kunst nur eine Zwischenstufe im Prozeß des Erkennens der Realität, die nun zur Zeit Hegels als überwundene anzusehen ist.
Es soll sich hier nun auf das Grundaxiom konzentriert werden, das, daß das Denken eine Widerspiegelung der Realität sei. Da das menschliche Denken immer eines in der Sprache ist, kann dies Denken indikativische, imperativische, optativische und konjunktivische Aussagen enthalten: So ist es! So soll es sein! Wäre es doch so! So könnte es sein! Die Realität ist jetzt nur die Summe aller möglichen wahren Aussagen über die Wirklichkeit; die Summe aller möglichen wahren Aussagen über die Realität ist dann die objektiv wahre Widerspiegelung der Realität. Aber so wird die Diversität des Denkens auf indikativische Aussagen reduziert.
Ein Künstler sieht ein Stück Holz, wie es ist, er denkt, daraus könnte ich etwas schnitzen, etwa Schachfiguren und er sagt sich, daß er beauftragt worden ist, solche zu erstellen, aber denkt, er würde daraus lieber eine Marienfigur schnitzen. Hier stehen wir a) vor einer indikativischen Aussage, das ist Holz, b) eine konjunktivische, daraus könnte ich machen, c) eine imperativische, daraus soll ich machen und d) eine optativische, daraus möchte ich machen.
Was legitimiert nun die Reduktion des Denkens auf eine Widerspiegelung der Realität?Schon und gerade im Alltagsdenken ereignet sich das Denken in der Pluralität dieser Modi des Denkens. Keine dieser Weisen des Denkens kann nun aber auf eine dieser Arten des Denkens zurückgeführt werden, als wäre etwa das indikativische Denken das Fundament, von dem aus alle anderen Weisen nur Derivate wären. Aus dem Indikativ: So ist es!, kann nicht der Imperativ: So soll es sein/nicht sein deduziert werden, auch nicht der Konjunktiv: Es könnte auch anders sein!, noch der Optativ: Möge es doch anders sein!
Es frägt sich nun, ob dieser Ansatz von Lukacs so a priori das Wesen der Kunst verfehlt, da er von vornherein die Kunst als Widerspiegelungspraxis der Realität ver-steht und so sie mißversteht, denn hat die Kunst es nicht viel mehr mit Phantasiewelten zu tuen als mit der Realität, wie sie ist? Im Hintergrund scheint eine sehr einseitige Kaprizierung auf das natur-wissenschaftliche Denken zu stehen, sodaß schon normative Aussagen als in wissenschaftlicher Sicht problematisch erscheinen müssen, etwa normative Aussagen einer Ästhetik: So hat ein Kunstwerk zu sein!
Es soll nun aber auch nicht das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet werden. Jede philosophische Erkenntnistheorie darf eines nicht wegdenken, daß das Erkenntnisvermögen insoweit, wie es zum Überleben des Menschen notwendig ist, die Realität adäquat widerspiegelt. Denn der Mensch kann wirklichkeitsgemäß Eßbares von Nichteßbarem, Feind von Freund, und Zu-etwas-Nützlichem von Dazu-Nichtnützlichem unterscheiden- könnte er das nicht, wäre die Gattung Mensch nicht überlebensfähig. Aber schon in diesen scheinbar so simplen Erkenntnisakten wird nicht nur indikativisch gedacht.Ein Tier wird wahrgenommen und es stellt sich die Vorstellung ein, daß daraus ein wohlschmeckender Braten zu machen ist und daß ein solcher Braten erstrebenswert ist. Etwas wird so wahrgenommen, es wird der Konjunktiv gebildet, daraus könnte das werden und daß es wünschenswert ist, ein Optativ. Wenn das Alltagsdenken nicht auf indikativisches Denken reduziert würde, könnte es wirklich ein guter Ausgangspunkt für eine Ästhetik sein und eine kritische Instanz für jede philosophische Erkenntnislehre, denn die darf nicht wegdenken, daß das Denken zumindest die Realität soweit adäquat erkennt, wie es zum Überleben der Gattung Mensch notwendig ist.
Dem Begriff der Widerspiegelung könnte dann sinnvoll sein, wenn damit nicht eine einfache Abphotographierug der Wirklichkeit gemeint ist, sondern ein Begreifen,daß in Begriffen das Wahrgenommene erfaßt, in denen sich die Realität widerspiegelt.
Es wäre aber ein großer Gewinn,emanzipierte sich der ästhetische Diskurs von der Vorstellung eines widerspiegelnden Charakters der Kunst. Zur Veranschaulichung des Gemeinten: Im Schachspiel gibt es die Figur des Bauern wie die des Königs, aber es wäre absurd, die Bedeutung dieser Spielfiguren aus einer Analyse einer feudalistischen strukturierten Gesellschaft eruieren zu wollen. Bauer und König sind Zitate aus dem gesellschaftlichen Leben, aber sie erlangen im Regelsystem des Schachspieles eine Bedeutung, die nicht aus der sozialen Realität ableitbar ist. Nur die Struktur der Differenz, daß Bauer nicht gleich König ist, wird im Schach bewahrt. So kann der Anschein der Widerspiegelung in der Praxis des Zitierens erklärt werden. Kunstwerke enthalten wie Bausteine Zitate aus der Lebenswirklichkeit, die aber dann in eine rein künstliche Struktur eingebaut werden.
Umgekehrt: Man frage sich einmal, welche Realität etwa Kafkas „Prozeß“,
Tolkiens „Herr der Ringe“ oder gar eine Symphonie Gustav Mahlers widerspiegelt! Der Versuch, darauf eine Antwort zu finden, zeigt den Irrweg dieser Frage auf, ist aber erklärlich aus Lukacs Präferenz für den Realismus in der Literatur. Das hat aber auch zur Konsequenz, daß die Gattung der phantastischen Literatur nicht gerecht beurteilt werden kann, von E.T. A. Hoffmanns: „Elixiere des Teufels“ bis zu Lovecrafts Meisterwerken!
Bleibt nur noch die Frage, warum das menschliche Denken sich nicht damit begnügt, zu erkennen, wie die Realität ist und stattdessen Kunstwerke sich erschafft. Die einfachste Antwort ist wohl die, daß der Mensch der Natur auch als Fremdling gegenübersteht, weil er Geist ist und so sich in der Kunst künstliche Welten erschafft, in denen er mehr heimisch ist als in der nicht von ihm produzierten Realität.
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