Montag, 7. Dezember 2020

Moral aus dem Selbstbaukasten- jeder ein Moraldesigner?

(Wider die Ilusion, daß jeder sich seine Moral selbst konzipiert als eine nur für ihn verbindliche)


Jeder Mensch bildet sich in jungen Jahren ein persönliches Weltbild. In seiner Sicht der Dinge bewertet er alle Phänomene, Personen und Erfahrungen in Bezug auf sich selbst. Die Summe aller dieser Bewertungen begründet ein komplexes, möglichst in sich stimmiges Weltbild,eine auf das eigene Selbst und seine Bedürfnisse abgestimmte Ideologie.“ So eröffnet K.Kunze seine moralkritische Betrachtung: „Die mörderische Macht der Moralisten.Vom Würgegriff der Gutmenschen“, 2020, S.7, um damit auch schon das Ergebnis seiner Kritik zu präfigurieren: Das Unglück, der Mißbrauch dieser so gebildet werdenden Privatmoralen ist, daß sie verabsolutiert werden, daß sie als von allen anzuerkennende in den Kampf gegen alle anderen Privatmoralen geschickt werden. Das ist dann der Moralismus bzw in Anlehnung an A.Gehlen ein Hypermoralismus, der dann nur in seinem freiheitsfeindlichen Charakter überwunden werden könne, wenn jeder die ihm eigene Moral als nur für ihn selbst verbindlich ansieht. Diese Geltungslimitierung gründet sich schon in dem subjektivistischen Charakter ihrer Genese: Sie basiert auf der je eigenen Sicht der Dinge, und ist als ausgebildete Ideologie auf das eigene Selbst und die Eigeninteressen ausgerichtet.

Nun kann ad hoc in Frage gestellt werden, ob „Phänomene, Personen und Erfahrungen“ Voraussetzungen einer Weltdeutung sind oder nicht schon selbst Produkte einer Weltdeutung. So spricht einiges dafür, daß die mit dem Begriff der Person mitgesetzten Differenz von lebenden Wesen, die keine Personen sind, etwa Hunden (auch wenn einem Jungen sein Hund ein noch so vertrauter Spielfreund sein mag)und lebenden Wesen, die als Personen angesehen werden, wie etwa Menschen keine ist, die außerhalb und vor einer Weltdeutung schon im Denken existiert. Diesen Zweifel evozieren auch die beiden Begriffe a) des Phänomens, daß etwas erscheint und die Frage nach einer Differenz zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich mit sich trägt und b) dem Begriff der Erfahrung in seinem Verhältnis zum Begriff der Erkenntnis.

Wesentlicher ist aber ein anderer Einwand: Konstruiert wirklich jeder Mensch sich seine eigene Weltanschauung? Ist das nicht eine genauso absurde , als würde jedes Kind im Prozeß des Spracherlernens erst für sich eine Privatsprache erlernen, um dann in der kommunikativen Praxis seine Privatsprache die der anderen Sprecher anpassen, bis eine gemeinsame Sprache sich herauskristallisierte,die dann gar noch-o Graus-ein individuelles Denken und Sprechen verunmöglichte, weil nun nur noch in dieser Allgemeinsprache gedacht und kommuniziert werden könne. Faktisch ist das Gegenteil wahr: Nur in einer bestimmten allgemeinen Sprache (in der Regel : seine Muttersprache) kann der Sprecher individuell kommunizieren. Erst in der Sprache gibt das individuell sich ausdrücken könnende Ich.

So wie die Mutter die Muttersprache ihrem Kinde vermittelt, so vermitteln die Eltern, ihre Kinder erziehend den Kindern die elterliche Moral, die im Regelfall mit der vorherschenden in der Gesellschaft eins ist: Das tut man nicht! Das gehört sich nicht! Die so vorgelebte und gelehrte Moral wird nun individuell angeeignet, so wie kein Deutschsprachiger genauso das Deutsche spricht wie ein anderer Deutsche und doch sprechen sie nur die eine Sprache.

Nun gibt es in komplexen Gesellschaften nicht einfach nur eine Moral, wie A.Gehlen es herausgearbeitet hat in seiner vortrefflichen Schrift: „Moral und Hypermoral“: das Familienethos, das Staatsethos und das der gegenseitigen Wechselseitigkeit, fundiert im Handel. (Das Kriegerethos ist wohl dem Staatsethos zu subsumieren.) Aber es gibt für Gehlen keine Privatmoral und kann es auch gar nicht geben, da der Ort der Moralen Institutionen (Familie,Staat, der Markt als Ordnungsprinzip der Ökonomie) sind, die Moralen ausbilden zur Entlastung der Individuen, die ob ihrer defizitären Bestimmtheit durch ihre Triebe der Institutionen mit ihren Normen und Werten bedürfen. Die die vorgegebenen Moralen individuierende Aneigung ist nun so gesehen etwas eindeutig Sekundäres. So gibt es überhaupt keine Privatmoral und auch keine Privatweltanschauung. Beides sind a priori immer soziale Konstrukte.

Was es nun geben kann und auch wirklich sich ereignet, daß sich oppositionell zur vorherrschenden Weltanschauung andere entwickeln oder als fremde in einen Kulturraum ansässig werden. So ist das Christentum in Deutschland auch zuerst als fremde hier heimisch geworden, in dem sie die dort heimische verdrängte. So könnte jetzt evtl der Islam zur vorherrschenden in Europa werden, da das Christentum sich in einem Auflösungsprozeß befindet.

Zeiten, in denen sich die einst vorherrschende Moral und Weltanschauung auflöst, ihre kulturelle Hegemonie verliert und eine neue sich noch nicht etabliert hat, (Nietzsche prophezeite das als das Stadium des Nihilismus, das dann durch einen neuen Wertehimmel aufzuheben ist), können so als morallose Zeiten oder als Zeiten, in denen es nur noch Privatmoralen gibt, empfunden werden. Ortega y Gasset urteilte so: „Das ist das Problem: Europa glaubt an keine sittlichen Normen mehr. Nicht daß der Massenmensch eine veraltete Moral zugunsten einer emportauchenden verachtete; im Zentrum seiner Lebensführung steht gerade der Anspruch, ohne moralische Bindungen zu leben.“ (Aufstand der Massen, das letzte Kapitel: Die Untersuchung mündet in das eigentliche Problem)Der Destruktionswille der alten Ordnung wird hier völlig verkannt, weil er nicht begriffen wird als die Negativseite des Willens zur Etablierung einer neuen Moralordnung. In Anlehnung an A. Dugin kann gesagt werden, daß nach dem Hegemonieverlust des Christentumes über Europa die Weltanschauungen des Liberalismus, des Faschismus/Nationalsozialismus und des Sozialismus/Kommunismus um die Vorherrschaft kämpften, so eine Pluralität der Weltanschauungen sich ergab bis sich der Liberalismus durchsetzte mit dem Ende der sozialistischen Staaten.

Interessant zu beobachten ist nun, wie der vorherrschende Liberalismus sich zur Politischen Korrektheitsideologie umwandelte, die in dem Gutmenschen mit seinem aggressiven Moralismus ihren eifrigsten Vertreter findet.

Corollarium 1

Die Vorstellung, daß jeder sich seine Weltanschauung selbst zusammenkonstruiere, ist selbst ein Dogma des Liberalismus, der Konsumentenideologie des souveränen Konsumenten. Aber der Liberalismus ist zum Neoliberalismus mutiert, und der verlangt nun von allen politische Korrektheit. Eine Morphologie des Liberalismus ist noch zu schreiben.




 

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