Freitag, 11. Dezember 2020

Rechts und links- kein verläßliches Orientierungsmuster mehr in Politik und Kirche?


Daß nicht nur Religionen Orientierungsmuster bieten, ist bekannt, eines der erfolgreichsten ist das Deutungsschema: Rechts und Links. Auch wenn es ursprünglich zum politischen Diskurs gehörte, wird es jetzt fast schon universal appliziert. So wird die Qualität eines Kunstwerkes heutzutage primär nach der politischen Gesinnung des Künstlers bemessen, ist er gut gesinnt, also links oder böse, dann ist er rechts. Auch innerkirchlich erfreut sich dies Schema großer Beliebtheit, wenn alles Conservative und Traditionalistische als rechts diffamiert wird.

Aber nun scheint es ein Phänomen zu geben, das dies so praktikable Deutungsschema in Frage stellt. Die „Querdenker“- mit dieser Selbstbeschreibung geht einher die These, daß diese Bewegung sich quer stellt zu diesem Schema, nicht hineinpaßt. Das „Compact“ Magazin versteht sich so auch als querr ausgerichtet. Die politische Vita des Herausgebers dieses Magazines, Jürgen Elsässer, der die Politik im Kommunistischen Bund (KB) erlernte und nun zu einem der Vordenker der Rechten avanciert ist, paßt ja auch zu dem Konzept einer Querfront, der Kampfgemeinschaft Rechter und Linker gegen das Bestehende. Als es noch den antitotalitaristischen Konsens gab, versimplifiziert, daß Stalin genauso böse gewesen sei wie Hitler, anspruchsvoller formuliert, daß das politische Spektrum die Gestalt eines Hufeisens aufwiese, am Scheitel die politische Mitte (=die Guten) und dann Rechte und Linke, die je radicaler desto mehr sich ähnelnd sind, wie eben die beiden Enden des Hufeisens wieder auf einander zu laufen, da hätte man geurteilt: So findet Ähnliches zueinander in ihrer gemeinsamen Ablehnung des Liberalismus (=der guten Mitte).Aber diese Vorstellung ist nicht politisch korrekt. Heute gilt: Links von der Mitte ist gut, rechts von ihr sind die Bösen und so stehen sich mit Rechts und Links zwei miteinander Unvereinbare gegenüber.

Nun soll es eine „echte Querfront“ geben und zwar in der Bewegung der „Querdenker“, bzw in den Demonstrationen gegen die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Coronaseuche, der bis jetzt (10.12.2020) knapp 20.000 Menschen zum Opfer fielen. Am 6.12. stand geschrieben: „Echte Querfront: Fast 40 Prozent der Querdenker wählten Grüne oder Linke.“ So viele der heutigen Demonstranten wählten also in der letzten Bundestagswahl linke Parteien::Demnach haben bei der vergangenen Bundestagswahl noch 21 Prozent der heutigen Teilnehmer der Querdenker-Demos die Grünen gewählt, zweistärkste Partei waren die LINKEN mit immerhin noch 17 Prozent. Erst auf dem dritten Platz folgt die AfD mit 14 Prozent. (Compact) Ergo, die Demonstranten seien sowohl links- wie auch rechtsorientiert, mehrheitlich aber links und so eine echte Querfront.

Nur die Medien versuchten, die Bewegung als Ganzes als rechtsorientiert zu diffamieren: „In den etablierten Medien werden die Querdenker gerne als besonders gut getarnte rechtsextremistische U-Boote dargestellt. Eine Studie der Universität Basel zeigt nun, dass dieses Klischee eine reine Presselüge ist“. (Compact) Die Basler Studie zu den Querdenkern, die diesem Compactkommentar zu Grunde liegt, sieht aber eine andere Tendenz. Das „Neue Deutschland“ (7.12.2020): Wer sind die Querdenker? „Querdenken sei »eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich«, resümiert Nachtwey“.

Herrscht also auf den Straßen Deutschlands bei den Kundgebungen der Querdenker Confusionen, daß Rechte mit Linken zusammen demonstrieren und daß nur die Medien daraus eine rechte Bewegung machen, um sie zu verteufeln? Ist so das Deutungsmuster Rechts und Links obsolet geworden, obgleich es doch ein integraler Bestandteil der Politischen Korrektheit ist?

Ein Kommentar des „Tagesspiegels“ vom 9.12.2020 zur AfD könnte-verblüffenderweis- hier für Klarheit sorgen. „Parteien, die sich national oder nationalistisch nennen oder mit diesen Begriffen kokettieren, propagieren eine stark ausgeprägte emotionale Bindung an die eigene Nation oder das eigene Volk. Ihre Anhänger glauben, dass Nationalstaaten besser sind als supranationale Organisationen.

Ein deutschnationaler Politiker hat ein kollektives Identitätsbewusstsein. Er behauptet, das Wohl aller Deutschen im Blick zu haben und ein hohes Maß an Loyalität gegenüber anderen Deutschen zu empfinden. Nation und Volk sind ihm als Bezugsgrößen wichtiger als Religion, Klassen, Dynastien oder Stände. In diesem Sinne ist die AfD keine nationale Partei. Zu Beginn der Coronakrise war das anders.“

Daß die Gleichung:rechts= national gilt, ist offenkundig, auch wenn es Zeiten gegeben hat, wo dies nicht so eindeutig war. Linke sind so antinational. Der Tagesspiegelkommentar vertritt nun die These, daß ein nationalistisch Gesonnener im Prinzip die jetzige Regierungspolitik unterstützen müßte, weil es für ihn eine Selbstverständlichkeit ist, daß für das Wohlergehen des Volkes der Einzelne Einschränkungen seiner bürgerlichen Freiheiten bejaht, er zu diesem Opfer bereit ist. Und so habe anfänglich die AfD die Schutzmaßnahmen der Regierung unterstützt.

Das heißt nun aber auch, daß die Querdenker antinational ausgerichtet sind, da für sie die Freiheit des Bürgers das höchste Gut ist, das der Staat nicht durch Schutzmaßnahmen um eines vermeintlichen Gemeinwohles willen einschränken darf. Das ist der klassisch liberale Standpunkt, der im Staate stets die größte Gefährdung der bürgerlichen Freiheiten sieht, daß er das Geschäftemachen durch Gesetze unzumutbar beeinträchtigt, also den Sozialstaat als zu kostspielig ablehnt mit all seiner Regulierungslust. Man denke an den Mindestlohn, den Mieterschutz,den Kündigungsschutz und vieles mehr. Der linksliberale Standpunkt betont dann diesem klassisch liberalen Standpunkt gegenüber stärker die individuellen und politischen Rechte, wenn auch ihm die Freiheit der Wirtschaft von allen staatlichen Interventionen ein Herzensanliegen ist. So ist die Querdenkerbewegung politisch eine eindeutig linksliberale Bewegung gerade in ihrer staatskritischen Intention.

Wie kamen nun Rechte in diese Bewegung? Dazu gibt es nun eine einfache Erklärung. Die der Regierung nahe stehenden Medien begannen, diese Protestbewegung als rechte zu perhorreszieren, nicht weil sie rechts ausgerichtet war, sondern weil sie so am leichtesten zu diffamieren ist. Angesichts der Dominanz des Rechts-Links-Schematas können negativ beurteilte politische Proteste nur rechte sein, denn alle linken sind gute und die Regierungspolitik ist die der Mitte. Jetzt erleben wir ein typisch postmodernes Phänomen. Nicht berichten die Medien, was der Fall ist, sondern sie erschaffen erst die „Wirklichkeit“! Das, was als „Wirklichkeit“ angesehen wird, ist das Produkt der Medien. Erst als die Medien diese Protestbewegung in eine rechte transformierten, sprangen rechte, nationale Parteien auf diesen Zug auf.

Der Tagesspiegel (Rechtspopulistische Identitätspolitik Die AfD war einst national, jetzt ist sie antinational) kommentiert dies so: Corona hat nationale, radikal-nationale und nationalistische Parteien weltweit in ein Dilemma gestürzt. Sollen sie für eine Strategie werben, die möglichst vielen ihrer Landsleute das Leben rettet? Müssen sie daher an Durchhaltewillen und Opferbereitschaft appellieren? Oder sollen sie sich gemein machen mit Verharmlosern, Maskenverweigerern und dubiosen Straßenprotestlern? Müssen sie Tote und Infizierte, überfüllte Krankenhäuser und trauernde Angehörige als „Kollateralschäden“ akzeptieren? Die Gauland-Weidel-Höcke-AfD hat sich für den zweiten Weg entschieden – und damit für eine Abkehr von jeglicher Art völkisch-nationaler Loyalität. Deutsche, die sterben – um es in deren Diktion auszudrücken -, werden für ein wenig Teilhabe an einem regierungskritischen Revolutionspathos in Kauf genommen.“

Streicht man die Polemik aus dem Kommentar heraus, läßt sich nicht davon irritieren, wie viel Verständnis dieser Kommentar für den politischen Nationalismus aufweist, dann lautet das Resümee: Die Querdenkerbewegung ist eine eindeutig linksliberale Bewegung, der sich Rechte anschließen nach dem Motto: Alles Regierungskritische unterstützen wir, egal ob es eine linke oder eine rechte Kritik ist- Hauptsache: regierungskritisch. Aber es muß dem Kommentar in dem Hauptpunkt Recht gegeben werden: Dies ist eine antinationale Option, die der liberalistischen Verabsolutierung des Einzelnen mit seinen Privatinteressen gegen das Allgemeinwohl des Volkes.

Bleibt noch ein Punkt übrig: Wie kommt es, daß die Regierung so eine „nationale“ Politik betreibt, gegen die nun Linksliberale protestieren? Hier wird ein Konflikt unter Liberalen ausgetragen. Der Staat (Marxisten nannten das: der ideele Gesamtkapitalist) beschränkt die politischen und bürgerlich-wirtschaftlichen Rechte, die unmittelbaren Interessen der Bürger, um längerfristig die kapitalistische Ordnung aufrecht zu erhalten, denn die bedarf eine gesunde Bevölkerung, daß sie gesund genug zum Produzieren und Konsumieren ist. Dafür kann und muß sich der Staat auch gegen die unmittelbaren Interessen der Wirtschaft und der Bürger durchsetzen. Er gleicht einem Familienvater, der seinen Kindern die Süßigkeiten reduziert, damit sie gesund bleiben, auch wenn die Kinder heftig protestieren.



Was heißt das nun für das Links-Rechts-Schema? Daß es auch in postmodernen Zeiten eine gute Orientierungshilfe ist, den Kurs nicht zu verlieren. Und es beweist wieder einmal, wie recht Alexander Dugin hat mit seiner These, daß der gegenwärtige politische Diskurs so sehr von der Ideologie des Liberalismus dominiert wird, daß selbst noch die Opposition ganz und gar liberal denkt als vermeintliche Querdenker.







Zusatz:

Wer trotzdem noch ein Freund des Querdenkens sein möchte, dem sei, um das Querdenken zu praktizieren, empfohlen:Lenins Schrift »Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus«. Hier kritisiert Lenin anarchistische Tendenzen unter Linken. Anarchisten sind nun aber radicalisierte Liberale, und so ist diese Schrift auch eine Liberalenkritik.



 

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