(auch ein Erfolg der Domestikation der christlichen Religion durch die Aufklärung)
Die „Süddeutsche“/“Jetzt“ frug im Titel: Wie geht guter Smalltalk? (2.12.20209) also wie plaudert man?, ins Deutsche übersetzt. 5 Tips werden dem Leser offeriert, der dritte lautet:Vermeide Kontroverses und Intimes: Themen wie Religion, Politik oder Krankheit sind Tabu. Dein Gegenüber soll sich schließlich wohlfühlen.
Also, die Religion ist zwar nicht das einzige Tabuthema, aber es wird als das erste angeführt.Denn die Religion ist etwas Kontroverses und Intimes. Die christliche Religion war einmal das geistige Fundament Europas; es sei an Novalis: Christentum oder Europa erinnert.Jetzt wird empfohlen, dies Thema in der allgemeinen Unterhaltung zu meiden.Es verderbe die Stimmung. Da die Religion zudem noch etwas Intimes sei, versteht es sich eigentlich auch von selbst, daß über sie nicht öffentlich geredet wird. Die Enttabuisierung der Sexualität soll zwar zum freien Gespräch über die Sexualität geführt haben, aber dafür wird nun die Religion zum Tabu.
Ein kleines Experiment: Gottesdienstbesucher stehen in Grüppchens nach der Sonntagsmesse noch beieinander, sie plaudern miteinander. Worüber dann da auch immer geredet werden mag, über Religiöses nicht. Auf Gemeindefesten das Gleiche. Es ist, als wenn selbst in der Kirche, wenn der offizielle Kommunikationsteil (Predigt, Gebete, Lieder) beendet ist, in der privaten Kommunikation sich alle Christen auch an diese Plauderregel hielten. Auch als Christ weiß man eben, worüber man nicht spricht!
Die Religion lebt nun aber davon, daß aus dem Glauben heraus auch geredet wird, daß dann vielleicht gar über den Glauben reflektiert wird, aber dies findet kaum noch statt.
Dies steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Tendenz der Verdemokratisierung des Missionsauftrages, der heute so verstanden wird, als wenn er an jeden Einzelnen ergangen und nicht an die Gesamtkirche, sodaß gilt, wozu die ganze Kirche berufen ist, dazu ist nicht jedes ihrer Glieder berufen. Ich sehe, aber nicht jedes Glied meines Körpers ist zum Sehen bestimmt sondern nur die Augen. Wenn nun jeder zum Zeugnisgeben der Wahrheit bestimmt ist, wie kommt es dann aber, daß über die Religion, den Glauben fast gar nicht mehr gesprochen wird? Die Maxime, nicht auf das Wortemachen käme es an, sondern auf die Tat, gibt darauf die Antwort. Der Christ soll durch sein praktisches Leben ohne Reden und Worte seinen christlichen Glauben bezeugen: die praktizierte Humanität. So entstehen dann tatsächlich „Anonyme Christen“, nur ganz anders als Karl Rahner dies sich vorgestellt hatte: Christen, die im öffentlichen Leben nicht als Christen erkennbar sind.Ihre Motivation aus dem Glauben ist so sehr verinnerlicht, daß sie als etwas Intimes nicht mehr artikuliert werden mag. Die Tat reicht ja. So entsteht das verschwiegene Christentum.
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