Samstag, 27. Februar 2021

Haben auch die, die noch nicht sind, Rechte, Ansprüche uns gegenüber? Auch ein theologischer Versuch zum Volksbegriff

Haben auch die, die noch nicht sind, Rechte, Ansprüche uns gegenüber? Auch ein theologischer Versuch zum Volksbegriff


Wer gehört zu einem Volk? Emanuel Hirsch gibt dazu eine sehr bedenkenswerte Antwort: „Die Toten und die noch Ungeborenen gehören genauso zum deutschen Volk wie wir Lebenden.Der deutsche Staat ist mit gleichem Rechte wie das unsre auch ihr Eigentum. Daß das deutsche Volk durch seine ganze Geschichte hindurch kräftig dastehe und all seine inneren Möglichkeiten auswirke, daß es das werde in der Menschheitsgeschichte, wozu Gott es bestimmt hat, das ist die Aufgabe des deutschen Staates.“ (Hirsch, Deutschlands Schicksal, 1925, S.82f)

Zu dem (deutschen)Volke gehören also nicht nur die jetzt Lebenden, sondern auch die vor uns Gewesenen und die Zukünftigen. Die „noch Ungeborenen“ ist hier nicht eng auszulegen als die im Mutterleibe schon Seienden aber noch Ungeborenen, sondern meint die noch nicht Seienden, die wirklich Zukünftigen. Das beinhaltet nun aber auch, daß die Vergangenen auch noch Rechte, Ansprüche und Wünsche haben, die für uns Jetzigen verpflichtenden Charakter haben und daß auch die Zukünftigen Rechte uns gegenüber jetzt schon haben.

Dieser letztere Gedanke besitzt eine beachtliche Bedeutung auch für den Diskurs des Wieumgehens mit der natürlichen Umwelt als Voraussetzung unseres Lebenskönnens. Besäßen nämlich die Zukünftigen uns gegenüber gar keine Rechte, spräche ja nichts dagegen, daß wir Jetzigen so unsere Umwelt verbrauchen zu unserem Eigennutz, daß nach uns kein menschliches Leben mehr auf der Erde möglich ist. Nur wenn ein Lebensrecht der Zukünftigen angenommen wird, kann der Imperativ erhoben werden, daß wir Jetzigen den Zukünftigen ein Leben ermöglichen müssen.

Hirsch sieht nun die Einheit des (deutschen) Volkes als in seiner göttlichen Berufung gegeben an. Dem ganzen Volke ist eine ihm eigene Berufung, die es nur erfüllen kann, wenn die Jetzigen die von den Früheren angefangene Realisierung dieses göttlichen Auftrages fortsetzen und die Weiterführung in die Hände der Zukünftigen weitergeben werden. So ist die Einheit nach Hirsch nicht einfach ein Blutsverwandschaftsverhältnis, eine Folge einer gemeinsamen Geschichte und einer darin entwickelten Nationalkultur, sondern das Ergebnis einer göttlichen Berufung. Nicht nur Einzelmenschen beruft Gott zu etwas sondern auch ganze Völker. Sei, was Du bist, ist so nicht nur die grundsätzliche Berufung jedes Einzelmenschen sondern auch die jedes Volkes. Das Sein wird dabei als etwas Teleologisches begriffen, ein Bestimmtsein und somit ein Werden zu etwas.

Darum sind die Zukünftigen zum jetzigen Volke als schon Dazugehörige mitzubedenken, denn ohne sie kann die göttliche Berufung auch wir Jetzigen nicht erfüllen. Beeindruckend ist nun aber auch, wie tiefgründig E. Hirsch hier die Aufgabe des Staates erfaßt: Durch ihn kann ein Volk seine Berufung realisieren, wenn sie ihren Staat als ihm eigenen Volksstaat begreift und bejaht.




 

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