Donnerstag, 5. Mai 2022

Ein Versuch zur Krise der christlichen Religion

(über ein selbstverschuldetes Verhängnis)


Daß wir in zumindest Westeuropa eine Krise der christlichen Religion und der Kirche erleben, ist unverkennbar, ja es muß von einer sich beschleunigenden Auflösung der christlich geprägten Kultur und dem Verschwinden der christlichen Religion hier gesprochen werden. Nicht sollen hier nun die sattsam bekannten Phänomene dieses Unterganges des christlichen Abendlandes besprochen werden, sondern der Versuch einer Analyse dieser Krise gewagt werden.

Auf einen Punkt soll hier diese Analyse sich kaprizieren: auf die Gottesvorstellung. Vorläufige Thesen dazu:

Gott existiert in der Religion in zweifacher Weise: als Geber von und als Gabe selbst. Ein Blick in die hl.Schrift zeigt auf Anhieb, daß Gott als Geber von die dominierende Vorstellung ist. Gott gibt seinem Volke Israel das ihm verheißende Land, er befreit sie aus dem Sklavenhaus Ägptens, er salbt seinem Volke seine Könige, er vertreibt die Feinde seines Volkes und er macht die Frauen fruchtbar. Aber, Gott gibt diese Gaben nicht einfach. Ob und wie er sie gibt, macht dieser Gott abhängig von dem, wie sich sein Volk zu ihm religiös verhält. Das Land, das er gab, nimmt er ihnen auch wieder, weil das Volk gegen ihn gesündigt hat. Er zieht nicht mit dem jüdischen Heer hinaus in den Kampf, wenn es seinen Bund nicht hielt. Das, was so den Makrokosmos ausmachte, daß es dem Volke Israel gut ergeht, wenn es gemäß Gottes Geboten lebt, bestimmt auch den Mikrokosmos des Lebens des Einzelnen, wie gerade die Weisheitsbücher der Bibel es andemonstrieren.


These: Die Vorstellung von Gott als Geber von guten Gaben hat sich weitestgehend verflüchtigt. Einerseits werden alle Güter rein weltimmanent erklärt und andererseits wird kein Zusammenhang mehr wahrgenommen zwischen dem uns Guttuendem und der Religion, daß Gott Gutes gibt in Abhängigkeit von unserem religiösem Verhalten. Wenn Gott noch als ein Geber von etwas Weltimmanenten geglaubt wird, dann wird er geglaubt als ein Geber, der gibt ohne daß er dabei die Religiösität des Empfangenden berücksichtigt. Fromme wie Unfromme erkranken,gesunden oder gesunden auch nicht. Kriege kommen und sie erleiden die Gläubigen genauso wie die Ungläubigen.

Die Welt ist uns ein verschlossener Kosmos geworden, in dem Gott entweder gar nicht mehr hineinwirkt oder wenn doch noch geglaubt wird, daß Gott einwirke in die Welt, dann ist Gott selbst dabei die Religion der Menschen gleichgültig. Er wirkt dann bei den Gläubigen wie bei den Ungläubigen gleichermaßen.


In der Geschichte des Abendlandes gründet sich dieser Vorstellungsverlust Gottes als Geber in der Aufklärung als dem Projekt der Domestikation der Religion nach den innerchristlichen Religionskriegen des 17. Jahrhundertes. Vordem galt, daß die richtige christliche Gottesverehrung und die richtig gelebte christliche Religion die notwendige Bedingung des Wohlergehens eines Volkes, eines sozialen Gemeinwesens sei. Existierten sich wechselseitig ausschließende Vorstellungen darüber, was die wahre Gottesverehrung und was die richtig gelebte Religion ausmache, war der Konflikt zwischen diesen verschiedenen Religions-vorstellungen präfiguriert. Die Domestikationsstrategie bestand nun darin, diese Differenzen als gleichgültig zu erklären, daß es reiche, wenn Gott vernünftig geehrt werde, also die natürliche Religion, die vernünftige gelebt werde. Diese Verknappung der religiösen Gehalte auf: Gott ist, daß es ein ewiges Leben gibt und daß der Mensch zu einem sittlichen Leben verpflichtet sei, sollte so alle innerchristlichen Kontroversen vergleichgültigen. Wenn Gott noch etwas gibt, dann jedem vernünftig sittlich Lebenden, unabhängig davon, wie er es mit der Religion hält. Für das Gemeinwohl eines Volkes, einer jeden sozialen Gemeinschaft wurde so die Religion gleichgültig, es reiche, daß jeder vernünftig lebe. Religiöse Kontroversen galten dann als konfliktträchtig und sollten so möglichst vergleichgültigt werden. Für jeden Staat soll es eben gleichgültig sein, ob in ihm Gott überhaupt geehrt und ob er christlich, jüdisch oder islamisch geehrt wird. Denn die Wohlfahrt eines Gemeinwesens ist zwar auch abhängig von dem sittlichen Lebenswandel seiner Bürger, was aber die Sittlichkeit ausmache, das erkenne die Vernunft allein aus sich heraus ohne irgendeine religiöse Offenbarung.


These: Gottes Gabe wird reduziert auf die Vorstellung, daß Gott jeden Menschen liebe, unabhängig davon, wie er sich religiös zu Gott verhalte. Diese Reduzierung ist eine Reaktion auf die Domestikationsstrategie der Religion. Wenn aber Gottes Liebe jedem gilt, unanhängig davon, ob ein Mensch auch an Gott glaube, wird jede Religion und jede Religionspraxis überflüssig. Dieser so reduzierte Gott kann dann nur noch als eine Letztbegründungs-instanz für einen allgemeinen Humanitarismus fungieren, aber für eine religiöse Praxis ist er dysfunktional.

Die Aussage, Gott liebe jeden Menschen, bewirkt gerade in diesem Indifferentismus den Tod der Religion. Ursprünglich war dies eine sinnvolle Aussage, wenn durch sie die Aussage negiert worden ist, daß Gott den Menschen ob ihrer Sünde zürne und so sie unter diesem göttlichen Zorn zu leben hätten, wenn Gott ihnen nicht ihre Sünden vergebe. Wie diese Vergebung dann zustande gekommen sei und wie ein Mensch dann an ihr seinen Anteil bekommen könnte, das ist solange der Gehalt der christlichen Religion,wie noch ernsthaft Gott auch als der gerecht die Sünder Richtende geglaubt wird. Verschwindet aber dieser Glaube an die Gerechtigkeit Gottes, wird er nur noch um der Domestikation der Religion willen als: „Ich hab euch alle lieb Gott“ konstruiert, dann verliert die Religion jede Lebensrelevanz.

Der Gott der christlichen Religion ist so sehr domestiziert worden, daß dadurch der christlichen Religion ihre Vitalität entzogen worden ist: Ob und wie eine Religion gelebt wird, ist so für das Gemeinwohl irrelevant und auch für das Privatleben, es sei denn jemand erküre sich eine Religion zu seinem Privathobby. Aber gerade so ist sie vergleichgültigt. Dies ist der Kern der Krise der christlichen Religion. 

 

Corollarium 1

Nicht ein Fortschritt an Vernünftigkeit verursacht die heutige Religionskrise, sondern der Wille zur Domestikation der Religion nach der Erfahrung der innerchristlichen Kriege des 17.Jahrhundertes. 



 

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