Über einen Versuch, ein zeitgenössisches Christentum zu kreieren-eine peinliche Erinnerung
Die Parole klingt etwas altmodisch hausbacken: „Sittliche Erneu-erung unseres Volkes, Entwicklung seines religiösen Lebens in deutschem Geiste“, aber sie hat es in sich, ist sie doch einem der Hauptwerke der, wie man damals zu sagen pflegte ,nationalsozialistischen Bewegung: Rudolf Jung: Der nationale Sozialismus. Seine Grundlagen, sein Werdegang und seine Ziele“ 1937,(Reprintausgabe 2019, S.120 entnommen.
Irritieren muß den heutigen Leser nicht nur der Begriff der sittlichen Erneuerung“ sondern noch mehr die Forderung nach einer Entwickelung des religiösen Lebens, assoziiert man doch heutzutage mit „Nazis“ Amoralismus und Religions- und Christentumsfeindlichkeit. Wollte denn nicht der Alleinherrscher Hitler die christliche Religion abschaffen, damit seine Partei allein herrsche ohne einen Gott über sich zu haben?
Statdessen lesen wir hier (S.123) von dem Ziel der Volkskirche: „Wir denken aber dabei keineswegs an die Gründung einer neuen Kirche, noch weniger an den Ersatz des Christentums etwa durch einen erneuerten Wotansglauben.“ Tatsächlich gab es in (und auch außerhalb) der NSDAP eine Strömung, deren Kerncredo die Entchristlichung forderte als notwendige Ergänzung der politischen Revolution, um das deutsche Volk von der Fremdbeherrschung durch diese Religion im Dienste der jüdischen Weltbeherrschung zu überwinden. Eine neue Religion sollte kreiert werden, eine dem deutschen Volke gemäße. Man könnte Alfred Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhundertes“ dazuzählen, das Werk das dem Mystiker Meister Eckhard bezeichnenderweise gewidmet ist. Ähnlich wie der linke Flügel dieser Partei, der als zweite Revolution nach der politischen eine antikapitalistisch-sozialistische einforderte, verlangten diese „Deutschgläubigen“ eine zweite religiöse Revolution - ein Vorhaben, das seine Kritiker als ein Zurück zum Wotanglauben reprobierten. Die christliche Religion gehöre nun fest zur deutschen Kultur und dürfe so nicht daraus entfernt werden. Jung betont dann noch die positiven Auswirkungen der Christianisierung der Germanen. Ja der Wotanglaube mit seiner Überbetonung kriegerischer Tugenden wäre sogar schädlich für das Leben des deutschen Volkes gewesen, er hätte, wäre er nicht überwunden worden durch die christliche Religion, zur Selbstvernichtung des Volkes geführt.
Aber die christliche Religion müsse umgeformt , verdeutscht werden - ein Unterfangen, das dem Reformator Luther noch nicht gelang. Radical ist dabei die Forderung nach der Abschaffung des Alten Testamentes. Dabei verweist er auf den liberalen Theologen Adolf von Harnack, der diese Forderung schon aufgestellt hatte. Ganz im (Un)Geiste Marcions wird der Gott Jahwe mit dem Teufel identifiziert, um davon Jesu Gott abzusetzen. Aus dem Johannesevangelium wird dazu Jesu Votum, daß die Juden den Teufel zu ihrem Gott hätten zitiert, um so das ganze AT zu diffamieren. Zudem sei der jüdische Geist der des Materialismus, den das deutsche Volk in sich zu überwinden habe. Jesus selbst habe diesen Kampf schon geführt: „Sein Ziel ist deshalb der Kampf gegen die Selbstsucht.“ (S.121)
Ganz liberal wird dann behauptet: „Jesus hat keine Kirche und keinen Priesterstand begründet, er war vielmehr der erbittertste Feind der Jahwepriester.“ (S.121) Hier zeigt sich mal wieder, daß die Ablehnung des Priestertumes die Ablehnung des Alten Testamentes zur Folge hat. Das Christentum soll also entjudaisiert und verdeutscht werden, damit es ein zeit(geist)gemäßes wird und so die Zeitgenossen wieder erreichen kann.
Dies ist das Typische der Position der „Deutschen Christen“ in ihrer Doppelfrontstellung gegen die „conservativen Christen“ der „Bekennenden Christen“, die jede Anpassung der Kirche an den vorherrschenden Geist der Zeit als unchristlich verurteilten und gegen die „Deutschgläubigen“, die die christliche Religion abschaffen wollten, um eine neue Religion zu kreieren. Liberal gemäßigt wollte man eine Dazwischenposition einnehmen, Gott und den Zeitgeist zugleich huldigen.
Die „Deutschen Christen“ propagierten dann noch die inneprotestantische Ökumene, daß die lutherischen, uniierten und reformierten Kirchen zu einer durch einen Reichsbischof geführten Kirche zusammengeschlossen werden sollten. Die Kirche solle so die staatliche Führerordnung für sich übernehmen als das zeitgenössische Ordnungsprinzip. Jesus und die Bibel müßten dann eben so umgeformt werden, daß Jesus für die Zeitgenossen akzeptabel wird. Dabei wird dann das Instrumentarium der historisch-kritischen Methode angewandt, um alles Anstößige aus der Bibel zu entfernen. Schon Nietzsche argwöhnte, daß eigentlich Paulus der Erfinder des Christentumes sei, indem er Jesus völlig verfälsche und nicht erst die Katholische Kirche. (vgl:“Wille zur Macht“), Alfred Rosenberg argumentiert in dieser Causa genauso.(„Mythos des 20.Jahrhunderts“)
Unverkennbar legt so Jung mit vielen anderen zusammen (den „Deutschen Christen) ein durch und durch liberalprotestantisches Kirchenreformmodell vor als einer Synthese der christlichen Religion, protestantisch ausgelegt mit dem nationalsozialistischen Geist. Die Kirche sollte nicht abseits stehen als Kirche der Ewiggestrigen, damit sie im Konkurrenzkampf mit den „Deutschgläubigen“ bestehen könne.
Dieses Reformkonzept scheiterte erst endgültig 1945 mit der Niederlage des Nationalsozialismus, aber nur, um Platz zu schaffen für neue Syntheseversuche der christlichen Religion mit den jeweilgien Zeitgeistmoden: Es sei an die marxistische Befreiungstheologie, die feministische Theologie, die Gender-theologie oder die Ökotheologie gedacht, alles mehr oder weniger gut durchdachte Synthesenversuche, wo eben an Gott und den Zeitgeist zugleich geglaubt werden soll. Solche Synthesen werden nun aber nicht versucht, um die christliche Religion zu beseitigen, sondern um sie am Leben zu erhalten, wie es uns R. Jung hier zeigt. So befremdlich dies auch klingen muß: Sowohl Stalin als auch Hitler sahen so in den christlichen Kirchen ihres Landes Verbündete für ihre politischen Intentionen, Stalin für den großen vaterländischen Krieg und Hitler gegen die Zersetzungskraft des Materialismus, des Egozentrismus. Dem korrelierten dann auch Versuche in den Kirchen, sich der Ideologie dieser Herrscher anzupassen, um zeitgeistgemäß zu werden. Jetzt herrschen andere und wieder werden Reformkonzepte entwickelt, Gott und dem Zeitgeist gleichermaßen zu huldigen.
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