Irritierendes: Jesus und der Abfall der Kirche von ihm
Kein Narrativ erfreut sich in der Kirche einst und jetzt so großer Beliebtheit als die Sage von dem, wer Jesus eigentlich wirklich war und was er verkündet hatte und dem, was daraus, Jesu Anliegen pervertierend die Kirche gemacht hätte, fast so beliebt wie die Parole, daß die Kirche sich zu modernisieren habe, um für ihre Zeitgenossen noch akzeptabel zu sein.Das Heil der Kirche bestünde dann einfach in einem Zurück zu Jesus, all die kirchlichen Irrungen und Verwirrungen hinter sich lassend.
Da hatte Jesus doch ganz klar gesagt: „Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen,denn nur einer ist euer Lehrer,Christus.“ (Mt 23,10) Aber die Kirche betitelt nicht wenige als Religionslehrer, ja sie anerkennt einige gar als Kirchenlehrer,etwa den hl.Thomas von Aquin. Jesus aber sagt hier doch eindeutig, daß es keine Lehrer und schon gar keinen Kirchenlehrer geben dürfte, denn nur er sei der Lehrer. Wenn es ein eindeutiges Beispiel für den Abfall der Kirche gibt, dann doch wohl dieses.
Nur gilt auch für diese Aussage die kritische Anfrage: „Verstehst Du auch,was Du liest?“ (Apg 8,30) Etwas lesen, es zitieren heißt noch lange nicht, das Gelesene auch verstanden zu haben. Der so Angefragte respondierte diese Frage bekanntlich so:“Wie könnte ich es,wenn mich niemand anleitet?“ (Apg 8,31) Wer in diesem Sinne anleiten kann, ist ein Lehrer, ein Schriftgelehrter. Sollte so etwa schon Philippus Jesus mißverstanden haben, indem er nun die Rolle des Leheres übernimmt und als Schriftgelehrter die Bibel auslegt? Oder sollte Jesus so verstanden werden, daß es zwar Lehrer in der Kirche geben dürfe, vielleicht sogar geben müsse, nur daß sie dann so nicht betitelt werden dürften? Aber wäre es nicht unangemessen, jemanden, der Lehrer ist, nicht als das zu betiteln, was er ist?
Das 23. Kapitel des Matthäusevangeliums ist in der Einheitsübersetzung betitelt mit: Worte gegen die Schriftgelehrten und die Pharisäer. Die Kritik konzentriert sich auf zwei Vorwürfe, erstens, daß sie selbst, das, was sie lehrten, nicht hielten und daß ihnen bei all ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit ihre Geltungssucht das Wichtigste sei. Sie wollen eben angesehen werden, etwas zählen in den Augen der Anderen.
So soll es aber nicht unter den Christen sein, das ist nun die Zentralaussage Jesu. Deshalb darf unter den Christen niemand Lehrer genannt werden. Es kann auch niemand diesen Titel für sich selbst beanspruchen, weil dieser Titel allein Jesus Christus zukommt. Warum will denn nun jemand Lehrer genannt werden? Für Jesus gibt es hier dafür nur einen Grund, daß so die so sich titulieren Lassenden in den Augen der Anderen etwas gelten wollen: „Wir sind etwas, was ihr nicht seid! Wir sind also etwas Besonderes, mehr als ihr!“
Blenden wir um zur Rotte Korach (4.Mose 16): „Wir sind alle gleich nahe unserem Gott, Gott ist uns gleich nahe, darum ist es eine Anmaßung, wenn Mose und Aaron sich als Vermittler zwischen Gott und uns, dem Volke Gottes aufspielen.“ Im Volke Gottes gibt es so nicht nur die „Oberen“, die beim Volke was gelten wollen sondern auch Gruppen im Volke, diese Rotte, die keinen über sich gelten lassen wollen. „Gleich sind wir alle und darum darf es keine Hierarchie geben!“
Jesus hat in Mt 23 die vor Augen, die etwas gelten wollen, nicht hat er die vor Augen, die um selbst etwas gelten zu wollen, alle anderen nicht Lehrer gelten lassen wollen. Es gibt eben auch eine Lehrer- und Hierarchiekritik im Geiste derer, die niemanden gelten lassen wollen, um so selbst etwas zu gelten: „Wir brauchen keine Lehrer, weil wir alles schon wissen, alles von selbst verstehen.“ Dieser Typus hätte die Frage, verstehst du auch, was du liest?, geantortet: „Selbstverständlich, einen Lehrer brauche ich nicht!“ Im Hintergrund steht dabei ein naiver Subjektivismus: „So, wie ich es verstehe, so ist es!“ Lehrer müßten aber diesen naiven Subjektivismus in Frage stellen um der Suche nach dem objektiven Gehalt des Gelesenen.
Mose und Aaron zeigen unwiderlegbar, daß es im Volke Gottes Hierarichen nach Gottes Willen gibt und geben soll.
Aber warum dürfen die dann nicht auch Lehrer oder gar Kirchenlehrer betitelt werden? Jesus sagt, daß er allein der Lehrer der Kirche sei und somit kein anderer. Damit stehen wir vor der Questio, wie sich der Anleiter zum Schriftverstehen (Apg 8,31) zu der Aussage, daß es in der Kirche keinen Lehrer geben dürfe, verhält.
Meine These lautet nun, daß der Lehrer in zwei grundverschiedenen Arten verstehbar ist: a) Der Lehrer lehrt das, was er aus sich heraus als wahr erkannt hat- das wäre ein autonomer Lehrer und b) Der Lehrer ist ein Schüler des Lehrers Jesu Christi,der das von Jesus Gelehrte anderen lehrt. Somit ist er kein autonomer Lehrer, sondern einer, der seine Wahrheit selbst erst gelehrt bekommen haben muß von dem einzigen wahren Lehrer der Wahrheit. Wenn ein autonomer Lehrer sich seiner Erkenntnisse rühmen kann, rühmt der kirchliche Lehrer, wenn er lehrt, den, von dem er alle Erkenntnis selbst gelehrt bekommen hat. In diesem Sinne kann und muß es in der Kirche Lehrer geben, damit die, die die hl. Schrift lesen, diese auch verstehen lernen. Die Lehrer der Kirche sind eben die in der Apostelgeschichte gesuchten Anleiter zum Verstehen. Geradezu hybrisch wäre es nun, wenn jeder sein rein subjektives „Verstehen“ des Gelesenen schon für ein Verstehen des Gelesenen hielte, wie es die Reformatoren proklamierten.
Reümerend muß so gesagt werden: Nicht jede Differenz zwischen Worten und Taten Jesu und dem Tuen der Kirche ist als ein Abweichen von Jesu Christi abzuqualifizieren. Denn eine solche Differenz kann sich auch darin gründen, daß Jesu Worte nicht einfach dem Buchstaben nach sondern dem Geiste nach zu verstehen sind.
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