Freitag, 6. Mai 2022

Ein Versuch zur Krise der katholischen Moraltheologie

Ein Versuch zur Krise der katholischen Moraltheologie


Ein Student, gerade am Anfang seines Jurastudiumes stehend, frägt sich: Wie studiere ich, wie gestalte ich mein Studentenleben, damit ich am Ende ein Prädikatsexamen schaffe? Ein anderer Student, auch am Anfang stehend, frägt sich: Wie gestalte ich jetzt mein Studentenleben, damit ich nachher zurückblickend urteilen kann, daß meine Studienzeit zu den besten Zeiten meines Lebens zählten?

Diese zwei grundverschiedenen Fragen ergeben selbstredend ganz verschiedene Antworten nach dem guten Studentenleben. Die gesamte Morallehre der Kirche beantwortet so gesehen nur eine Frage: Wie habe ich zu leben, damit ich in das ewige Leben eingehen werde? Was passiert nun aber, wenn die Moraltheologie diese sie fundierende Frage bei Seiten legt und stattdessen danach frägt, was das Leben des Menschen zu einem guten werden läßt?Da es nun zwei grundverschiedene Endzwecke gibt, können die Antworten der Frage: Wie erlange ich das ewige Leben?, nicht einfach als Antworten der Frage: Wie lebe ich gut?,übernommen werden. Die Moraltheologie muß also völlig umgeformt werden, damit sie eine Antwort für die geänderte Fragestellung sein kann.


Diese Umformung macht die Krise der katholischen Moraltheologie aus. Den Emergenzpunkt für diese Veränderung der Frage, die die Moraltheologie fundiert, bildete die revolutionäre Lehre Luthers,daß der Glaube allein reiche, um in das ewige Leben einzugehen, sodaß die Morallehre faktisch nicht mehr der Ort sein kann, der die Frage: Was tun, um das ewige Leben zu erlangen?, beantworten kann. Der Morallehre mußte so eine neue Aufgabe zugewiesen werden: Sie transformierte sich zur Lehre vom guten Leben. Zudem geriet der „Jenseitsglaube“ im 19. Jahrhundert in die Kritik, daß die Hoffnung auf ein jenseitiges ewiges Leben die Menschen doch nur davon abhielte, sich für ein gutes irdisches Leben zu engagieren. So fruchtete eben die vulgäre Religionskritik eines Heinrich Heine: Laßt uns auf Erden gut leben, den Himmel überlassen wir den Spatzen, eines Ludwig Thomas, daß das wahre Leben nicht im Himmel sondern im Münchner Hofbräuhaus zu erleben sei (Ein Münchner im Himmel). Die Moraltheologie, die Kritik,eine reine Vertröstungs-ideologie zu sein fürchtend, verdiesseitigte sich zu einer Lehre von dem guten Leben auf Erden. Dazu passen dann aber nicht mehr die traditionellen Antworten dieser Lehre, denn die antworteten ja auf eine ganz andere Frage.

Es sei an unsere zwei Studenten erinnert: Wie anders wird ein Student studieren und sein Studentenleben führen, ist ihm das Prädikatsexamen das Wichtigste im Kontrast zu dem, der ein schönes Studentenleben genießen möchte, bevor er dann examiniert in das mühselige Berufsleben einsteigen muß? Dabei wollen beide Studenten doch scheinbar das Gleiche, gut leben, gut studieren, aber verstehen darunter völlig Verschiedenes.


Zusatz:

So ist es eben konsequent, daß das Thema des Sex die am meist debatierte Materie in der jetzigen Reformdebatte der katholischen Moraltheologie geworden ist.


 

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