Montag, 30. Mai 2022

Stehen wir vor dem Ende der christlichen Religion und ihrer Kirche?


Erst in der heutigen Zeit,in der eine postmetaphysische Umformung des Christentumes eingesetzt hat, will man eine rein menschliche Form von Christlichkeit hervorbringen, folglich möchte man die Gläubigen aus den vertikalen Spannungen entlassen,die vormals seine Würde begründeten.“ Diese zeitdiagnostische Analyse des heutigen Christentumes, in: Peter Sloterdijk, Nach Gott, S.228 ist wirklich mehr als bedenkenswert, ist Sloterdijk doch einer der anregendsten Denker der Gegenwart.

Wenn das metaphysische Christentum das eigentliche war, ist dann das umgeformte überhaupt noch ein Christentum, eben nur noch ein entkerntes Fassadenchristentum, oder soll diese Aussage morphologisch verstanden werden, daß es sich um einen Gestaltwandel des sich im Kerne gleich bleibenden Christentumes handelt? Kann so im letzteren Sinne dies Umformungsprodukt des einst metaphysischen Christentumes, dies rein menschliche Christentum verstanden werden?

Die Näherbestimmung dieser Umformung als: aus den vertikalen Spannungen zu entlassen erschafft wohl die nötige Klarheit. Das Christentum lebt aus dem Glauben an die Differenz von Jenseits und Diesseits, von Gott und Welt und Mensch. Dadurch konstituiert es sich als eine metaphysische Weltanschauung, wenn dann hier einmal unter einer metaphysischen Weltanschauung jede Weltdeutung gemeint wird, die aus einer Differenz von Idee zur Wirklichkeit, von Jenseits und Diesseits sich komstituiert. Für den in der Welt existierenden Menschen bedeutet eine solche Differenz, daß er seine Existenz entweltlichtend nach dem Anderen der Welt ausrichtet. Die Erkenntnis von dieser Differenz und der Wille zu einer Annäherung an das Jenseitige macht dann die Lebendigkeit der menschlichen Existenz aus. Der Mensch will sich förmlich überwinden, um ein Himmelsbürger zu werden, seine Erdenexistenz hinter sich lassend.

Ein postmetaphysisches Christentum kennt so dieser Differenz nicht mehr,sodaß es für es nur noch die Welt als Ganzes als seinen Bezugsrahmen kennt. Es versteht sich dann als Subsystem in der Weltgesellschaft, das sich durch seine Funktionen für die Weltgesellschaft als Weltreligion und Weltkirche legitimiert. Nichts drückt diesen Selbstverständniswandel der Kirche besser auf als die jetzt en vogue seiende Selbstbezeichnung der Katholischen Kirche als Weltkirche aus. Die Tagesordnung der Welt und nur sie bildet die Tagesordnung der Kirche. Darum sind eben die Topthemen des diesjährigen Kirchentages die Ukraine, die Umweltschutzproblematik und selbstverständlich das Dauerthema: Unser Kampf gegen Rechts. Ach ja,mit dem Lieblingsthema der Welt, mit Sex natürlich auch noch, insbesondere in der Mischung von Sex and Crime, versuchte der Kirchentag auch noch, viele anzulocken, was aber nicht so recht gelang.

Damit wäre der Begriff des postmetaphysischen Christentumes ein gehaltvollerer Begriff als der der Verweltlichung des Christentumes. Er zeichnet diese Umformung ein in den Prozeß des Zerfalles des metaphysischen Denkens, das nach ihrem Eigenverständnis Nietzsche und Marx erst innerhalb der abendländischen Kultur zu überwinden begannen. Den Tod jeder metaphysischen Weltdeutung trüge so das Christentum in sich selbst hinein, um sich ganz dieser nachmetaphysisch denkenden Zeit einzuschreiben.

In Sloterdijks Aussage findet sich kein expliziertes Subjekt dieser Umformung der christlichen Religion, nur das unbestimmte: „man“. Das ist sicher in diesem Text nicht unbeabsichtigt: Nicht eine Personengruppe oder gar benennbare Einzelpersonen führen diesen Umformungsprozeß an, leiten ihn an und vollziehen ihn, sondern es handelt sich hier um einen Wandel des Zeitgeistes, der eben nicht einfach die Summe aller Privatmeinungen zu einer bestimmten Zeit ist, es ist eher etwas, das in der Luft liegt und so von jedem ein- und ausgeatmet wird. Im Alltagsleben heißt das: „Da hängt der Haussegen schief“, „Da ist dicke Luft“...Beide Formulierungen betonen den transsubjektiven Charakter dieser Stimmung, die jeden einnimmt, tritt er in einen so gestimmten Raum ein, etwa in ein Trauerhaus, der dann doch so schwer begrifflich zu erfassen ist: Was ist der Zeitgeist? Sloterdijk bestimmt so auch gerade in dieser Unbestimmtheit des Subjektes der Umformung das Charakteristische dieses Umformungsprozesses: Die auf der Bühne der Kirche als Reformer Agierenden wirken wie Schauspieler, die nun ihrer Reformerrolle regiegemäß spielen. Aber wie regiert hier der Zeitgeist?

Der Endpunkt dieser Umformumg zeichnet sich aber deutlich ab: ein auf einen Humanitarismus umgeformtes Christentum, in dem Gott nur noch der Appell zur Humanität sein kann: der Tod der christlichen Religion.

1.Zusatz: 

Der letzte Mensch (Nietzsche) wäre dann auch der Christ der nachmetaphysischen Kirche! 

2.Zusatz

Der Artikel: "Welt zum Kirchentag: Hier schafft sich der Katholizismus ab" vom 30.5.2022 demonstriert, wie weit das Konstrukt eines nachmetaphysischen Christentumes schon vorangeschritten ist.

 


 

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