Irritationen: Menschen brauchen – gebrauchen und mißbrauchen
Die dominierendste Vokabel im Diskurs über sexuelles Fehlverhalten in der Kirche ist die des Mißbrauches. Menschen wurden mißbraucht- diese Formulierung wird nun schon so inflationär gebraucht, daß sie gar nicht mehr auffällt, geschweige denn zu einem Nachdenken darüber anregt. Aber was beinhaltet denn dieser Begriff?
Die Trias von: „brauchen“, „gebrauchen“ und „mißbrauchen“ könnte zu einer Klärung dienen. Die Aussage: „Ich brauche Dich (etwa zur Hilfe bei meinem Umzug)“, ist in sich ad hoc verständlich. Damit wird eingeräumt, daß der so sich Äußernde vor einer Aufgabe sich gestellt sieht, die er nicht allein bewältigen kann und so dafür eine Mithilfe braucht. Höflicher klänge diese Aussage, sagte man: „Ich bräuchte Dich“, sodaß eine Einschränkung mitgesetzt wird: „sofern es Dir zumutbar ist“. Menschen brauchen andere zu vielfältigen Zwecken, die nicht allein einer realisieren kann. Trotzdem klingt dabei etwas Negatives mit, ein Moment der Instrumentalisierung des Anderen. Richtig problematisch wird aber die Aussage eines Liebenden: „Dich brauche ich, denn ohne Dich kann ich nicht (mehr) leben.“ Dies klingt nicht nur nach einer Erpressung, es ist faktisch schon eine, zumal die Äußerung ihren Sitz im Leben in Konfliktsituationen hat, in der der eine den anderen verlassen will: „Du darfst mich nicht verlassen!“
Gebruchsbeziehungen sind dann eigentlich noch problematischer oder wie sollte etwa dies beurteilt werden: Ein Mann sagt, daß er seine Freundin zur Befriedigung seiner erotischen und sexuellen Bedürfnisse gebraucht? Im Gebrauchen steckt schon so ein Grad der Instrumentalisierung eines Mitmenschen, daß die Qualität dieser Beziehung als problematisch beurteilt werden muß. Ein Mensch sollte kein Gebrauchsgegenstand für einen anderen sein, aber das schließt nicht aus, daß Menschen mit anderen zu verdinglichend umgehen. Das ist aber nur eine Seite der Medaillie, denn die Aussage: „Hier werde ich gebraucht!“, kann auch etwas sehr Positives bedeuten, daß ich hier zu etwas nützlich bin und daß daraus der so Formulierende sein Selbstwertgefühl artikuliert.
Einem solchen Selbstwertgefühl wohnt aber auch etwas Negatives inne, das Urteil über sich, an sich nicht etwas Wertvolles zu sein, sodaß nur durch Ein-Sein-für- Andere dieses Ich sich als wertvoll und bejahenswert ansieht. So sich Wahrnehmende sind nun geradezu prädestiniert dazu, von anderen mißbraucht zu werden, weil nur so sie sich als etwas Nützliches und Werthaftes ansehen können: „Endlich bin ich was, weil ich etwas für wen bin! Daß der Andere dabei keine Rücksicht auf mich nimmt, ist schon in Ordnung,denn an sich bin ich es nicht wert, daß auf mich eine Rücksicht genommen wird.
Was qualifziert denn nun aber den Mißbrauch zum Mißbrauch? So befremdlich es auch ist, hierzu findet sich im aktuellen Diskurs über die Mißbräuchsfälle in der Kirche nichts, soweit ich diesen Diskurs überblicke. Sollten alle Diskursteilnehmer wissen, was darunter zu verstehen sei? Oder haben alle nur gelernt, diese Vokabel richtig zu gebrauchen, auch wenn sie und die Rezipienten nicht sagen könnten, was präzise damit gemeint ist? Es drängt sich ja förmlich der Verdacht auf, daß diese Vokabel einzig und allein nur dazu verwendet wird,um die altbekannten Reformvorhaben linksliberaler Ideologie neu aufzutischen. Da diese Reformagenda schon längt vor dem Bekanntwerden dieser Vorfälle festgeschnürrt war etwa von der Bewegung: „Wir sind Kirche“ und so nichts mit diesen jetzt so leidenschaftlich diskutierten Vorfällen zu tuen haben, liegt es nahe, diese Vokabel zu unbestimmt wie nur möglich zu verwenden, damit es nicht auffällt, daß die anvisierten Reformen nichts mit diesen „Mißbräuchen“ zu tuen haben.
Was kann nun aber ein „Mißbrauch“ im Bereich der Sexualität sein? Eigentlich nur eines, daß sexuelle Bedürfnisse in unerlaubter Weise (strafrechtlich oder moralisch) befriedigt werden. Aber wieso wird das dann als Mißbrauch qualifiziert? Könnte geurteilt werden: Wo zwei sich wechselseitig sexuell befriedigen, gebrauchen sie sich gegenseitig, wohingegen wenn einer den Anderen nur dazu gebraucht, daß er sich befriedigt, daß dies ein Mißbrauch ist? Aber auch ein wechselseitiges Gebrauchen wird als Mißbrauch beurteilt, wenn etwa ein Mann so mit einer Minderjährigen verkehrt. Auch wird kaum wer urteilen, daß ein Ehebruch ein Mißbrauch ist, auch wenn ein solches Fremdgehen unmoralisch ist. Offenkundig ist der Begriff des Mißbrauches doch sehr viel komplizierter als er uns in seiner üblichen Verwendung erscheint. Wollte man nun den Mißbrauch auf solche Fälle limitieren, in der jemand gegen seinen Willen zum Sex gezwungen würde, dann könnten alle Fälle einvernehmlichen Sex nicht mehr als Mißbräuche qualifiziert werden, selbst wenn das Opfer minderjährig wäre oder das Einvernehmen durch eine Geldzahlung erwirkt wurde. Noch abstruserer Folgen hätte nun die Beurteilung jedes Geschlechtsverkehres, der nicht mit dem Zweck der Fortpflanzung vollzogen würde, als einen Mißbrauch, denn dann mißbräuchte jeder Ehemann seine Frau, wenn sie nicht mehr fortpflanzugsfähig wäre.
So bleibt nur ein Ergebnis: Der Begriff des Mißbrauches ist so unklar, daß er für alles und jedes in der jetzigen Kirchenreformdebatte mißbraucht werden kann!
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