Das Christentum – eine Religion für Hinterweltler?
Wer so frägt, meint eben, daß es einen Fortschritt in der Menschheit gäbe, den halt nicht jedermann mitbekäme,sodaß diese Stehenbleiber noch etwas als für wahr hielten, das schon längst durch den Progeß der Wissenschaften als erledigt anzusehen sei. Wer nun aber in dieser Erwartung Nietzsches : „Von den Hinterweltlern“ (Zarathustra, 1.Teil) liest, wird aber irritiert werden, denn da heißt es:
„Diese Welt, die ewig unvollkommene,eines ewigen Widerspruches Abbild und unvollkommenes Abbild“.Der Hinterweltler glaubt also an ein Jenseitiges, von dem aus gesehen das Diesseitige nur ein Ab- und Zerbild ist. Der wissenschaftliche Fortschritt kann so gesehen sich ja nur eine verbesserte und vertiefte Erkenntnis dieser Abbildwelt sein, aber die Urbildwelt kann nicht tangieren, denn die kann ja gar nicht ein Objekt naturwissenschaftlichen Forschens sein und überhaupt kein Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis, denn nur etwas in der Welt Seiendes ist ein Gegenstand möglicher wissenschaftlicher Erkenntnis, so zumindest nach Kant.
Die christliche Religion lebte, wenn diese Hinterweltlerkritik zuträfe, aus einem Dualismus aus dem Glauben an ein Jenseitsreich und der Erkenntnis einer Diesseitswelt. Das Diesseitige wäre dann als ein Abbild und wohl eher ein Zerbild des jenseitigen Urbildes zu begreifen. Könnte und müßte nun ob des allgemeinen Fortschrittsglaubens willen dieser Dualismus aufgegeben werden, damit so ein zeitgemäßes Christentum konstruiert werden könnte? Könnte es so ein Nichthinterweltler-Christentum geben?
Bevor diese Frage erörtert wird, soll aber Nietzsche selbst angefragt werden, ob denn seine eigene Philosophie ohne einen solchen Hinterweltlerglauben auskommt. In der Diesseitswelt gibt es nur den Menschen, so wie er ist, oder wie er geworden ist. Wo existiert dann Nietzsches „Übermensch“? Die Differenz zwischen dem Menschen der Realität und diesem Übermenschen ist ein klarer Dualismus. Die Realisierung der Idee vom Übermenschen erwartet und erhofft diese Philosophie von der Zukunft.So ergibt sich ein zweifacher Dualismus, einen horizontalen, den der Differenz von der Idee des Übermenschen und der Realität des Menschen und einen zeitlichen Dualismus, den von dem Jetztmenschen und dem Zukunftsmenschen. Sind diese 2 Dualismen nicht selbst wieder Manifestationen eines Hinterweltlerphilosophierens?
Der postmoderne Standpunkt, wo nun jede Hoffnung auf eine bessere Welt und wahre Menschen sich desillusioniert aufgelöst hat, erkennt wohl leichter als eine moderne Nietzschekritik, wie hier unter einer Maskerade des Endes jedes Hinterweltlerglaubens dieser selbst conserviert wird.
„Der Übermensch ist der Sinn der Erde.“, heißt es gar in Zarathustras Vorrede 3. Ist die Erde, von der hier geschrieben wird, die uns wissenschaftlich zugängliche und erkennbare Welt? Nein, von der uns so zugänglichen Welt kann nicht prädiziert werden, daß sie in sich einen Sinn hätte, daß sie auf die Erreichung eines Zieles hin ausgerichtet wäre. Diese Aussage mutet uns genaugenommen 2 Welten zu, die uns zugängliche und eine andere, die der diesseitigen, also unserer einen Sinn, einen Auftrag, eine Bestimmung gibt. Die Welt wird so selbst dualistisch wie auch der Mensch dualistisch wird, indem dem wirklichen die Idee des Übermenschen entgegengesetzt wird.
Der christliche Dualismus, platonisch reflektiert expliziert, vertieft so nur den jedem Denken innewohnenden Dualismus. Das simple Urteil: „Das ist ein Baum“, begreift ja das damit Bezeichnete als einen Fall des Baumseins, der Idee des Baumes. In dem Gesehenen wird also die Idee des Baumes recogniziert. Das impliziert aber schon den Dualismus der Idee des Baumes und seiner wirklichen Erscheinung. Wer unzufrieden mit seinem eigenem Leben urteilt: „Das ist doch kein Leben, was ich da führe“, der appliziert hier ebenso einen Dualismus, den von seiner Idee des richtigen Lebens und der Wirklichkeit seines Lebens. Würde dieser Dualismus konsequent durchdacht, ergäbe sich irgendeine Ideenlehre, die die Differenz zwischen der Idee von etwas und seiner Wirklichkeit als ein Erscheinen dieser Idee reflektieren würde. Damit wäre die Basis jedes Hinterweltlerglaubens rekonstruiert.
Die Theologie als reflektierte christliche Religion hat nun diesen Dualismus zu ergründen und zu entfalten. Wie immer das dann auch materialiter durchgeführt werden mag im dogmatischen Denken: Ohne einen Glauben an Hinterwelten kann es die christliche Religion gar nicht geben, aber auch jedes Denken kommt nicht ohne solche dualistischen Welten aus. (vgl dazu auch mein Buch: Der zensierte Gott)
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