Mittwoch, 27. Juli 2022

Ein neues Gerücht: Der Mensch muß überwunden werden!

Ein neues Gerücht: Der Mensch muß überwunden werden!


Entweder entwickeln wir uns beständig weiter,um stets an unsere Umwelt abgepasst zu sein,oder uns wird es schon bald nicht mehr geben.“ Denn:“Wollen wir nicht aussterben,werden wir uns weiterentwickeln müssen.Sonst werden sich die Umweltbedingungen,die sich selbst ständig verändern,zu für uns feindlichen entwickeln und für unser Aussterben sorgen.“ So proklamiert es Stefan Lorenz Sorgner in seinem Buch: Übermensch. Plädoyer für einen Nietzscheanischen Transhumanismus, 2019, S.7.

Dies Entwickeln meint nun aber im Kontext dieses philosophischen Ansatzes ein Überwinden und ein Hintersichlassen des heutigen Menschen, denn das Projekt des Übermenschen stehe nun an um der Überlebensfähigkeit der Gattung Mensch. Es soll sich dabei um eine evolutionäre Entwicklung handeln, daß eben der Mensch vom Homo habilis über den Homo erectus sich zum Homo sapiens entwickelt habe, er sich nun weiter hochzuentwickeln habe. Diese Entwickelung benötige nun „die neuesten Techniken,um uns an die sich ständig wandelnden Umweltbedingungen anzupassen.“ (S.105)

Was sind denn nun diese sich ständig ändernden Umweltbedingungen? Damit kann nicht die Natur gemeint sein, denn die zeichnet sich durch eine große Beständigkeit aus, wird einmal von der hohen Mutationsgeschwindigkeit von Viren abgesehen. Die Umwelt, die sich beständig ändert ist die Lebenswelt der Technik und der Welt, sofern wir sie technisch immer wieder neu gestalten. Der Mench ist so das Subjekt der beständigen Umweltveränderungen. Nun ist aber dieses Abstraktsubjekt: der Mensch in der Realität der Menschheitsgeschichte in unzählige Einzelsubjekte zu konkretisieren und dann gilt tatsächlich, daß die meisten Menschen die Veränderungen der Umweltbedingungen als nicht durch sie selbst als hervorgerufene wahrnehmen sondern als erlittende. Darin spiegelt sich die unterschiedliche Position im der Hervorbringung der sich stetig ändernden Umwelten wider.

Der Mensch müsse sich also den von Menschen produzierten veränderten Lebensbedingungen permanent anpassen, um in ihnen überleben zu können. Für das heutige Berufsleben ist das evident. Wer gestern in einem Bureau mit einer Schreibmaschine schrieb, muß heute mit einem Computer schreiben und vielleicht wird übermorgen niemand mehr schreiben, weil ein Computer nach Diktat dann alles selbst schreiben wird. Meint also dieser transhumanistischer Ansatz nur, daß der Mensch, so wie er jetzt ist, nicht mehr in die zukünftige technisierte Lebenswelt hineinpassen wird, und so transformiert werden muß?

Aber es wird dann gar noch von einer sich dem Menschen gegenüber feindlich sich entwickelnden Umwelt gesprochen. Die Umwelt verändert sich nun aber nicht von selbst, schon gar nicht feindlich, sondern sie wird in bestimmten politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen so produziert. Stehen nun Menschen feindliche Umwelten gegenüber, dann wäre so zu fragen: Wer ist denn verantwortlich für diese Negativentwickelungen,die gar zum Aussterben der Gattung Mensch führen können? Als erster Kandidat, dem die Vernichtung der ganzen Menschheit möglich wäre, ist wohl die Atombombe anzusehen. Es ist bekannt, wie sie entwickelt worden ist und es ist bekannt, welche Rolle sie in politisch-militärischen Konzeptionen spielt. Sollte das nun etwa heißen, daß der Mensch so verändert werden soll, daß er als Gattung Atomkriege überleben kann? Wäre eine Veränderung der politischen Verhältnisse, die zu Atombombenkriegen führen könnten,nicht sinnvoller als solch ein Versuch?

Außerdem: Es müßte doch zwischen natürlichen und künstlichen Weiterentwickelungen unterschieden werden. Der Begriff der Evolution gehört eben in den Vorstellungsraum der Biologie, aber die Entwickelung der Langspielplatte zur CD ist keine Evolution sondern ein technischer Fortschritt. Wenn das Projekt der Cyborgisierung des Menschen angedacht werden soll als ein Vorhaben im Geiste von Nietzsches Übermenschen, dann kann dies auf keinen Fall als eine evolutionäre Weiterentwickelung verstanden werden.

Auch wird dabei die schlichte Frage der Möglichkeit einer politischen Lenkung der Veränderungsprozesse der Lebensumwelt übergangen. Denn all diese Veränderungen sind ja durch Menschen produzierte.Die Späre dieser Produktion ist nun aber keine natürlich evolutionär fortschreitende. Wo vernünftig eine Umgestaltung der Lebenswelten zu planen wäre, wird eben oft auch irrational gehandelt. Feindliche Umwelten sind eben im Regelfall Folgen von politischen und ökonomischen Fehlentscheidungen.

Was könnte so von dem Projekt des Übermenschen übrigbleiben? Einiges, etwa der Versuch, die Lebens- und Überlebensfähigkeit des Menschen zu steigern angesichts der Anfälligkeit des Menschen für Krankheiten. Man denke nur an die vielen Blinden, denen vielleicht durch künstliche Implantate ein Sehen wieder ermöglicht wird. Ein Fortschritt der Medizintechnik muß auf jeden Fall begrüßt werden. Ob man das dann gleich die Überwindung des Menschen betiteln muß, wenn der Mensch in sich selbst in seinen Körper Technisches integriert, statt Technisches äußerlich mit den Händen zu gebrauchen, das scheint dann eher eine Marginalie zu sein.

Es scheint aber die Vorstellung der Überwindung des Menschen eine eigentümliche Ausstrahlungskraft zu besitzen, daß eben mit uns etwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein scheint, daß wir einer Erlösung bedürften.

Zusatz:

Könnte der Transhumanismus nicht auch, nur seinem Begriff folgend eine Selbstkorrektur des Humanismus anzeigen, eines Endes der Glaubens an den Menschen als dem Zentrum von allem? 



 

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