Samstag, 23. Juli 2022

Wahrheit macht unfrei! Ein postmodernes antichristliches Credo

Wahrheit macht unfrei! Ein postmodernes antichristliches Credo


Den „Nihilismus als Errungenschaft“zu feiern, das fordert Stefan Lorenz-Sorgner, ein Vordenker des Transhumanismus. (Übermensch,Plädoyer für einen Nietzeanischen Transhumanismus, 2019,S.91-99). Diese sehr klug geschriebene Studie zum Thema des Transhumanismus kritisiert nun auch Nietzsches Anliegen der Überwindung des Nihilismus,ist für diesen Philosophen gerade doch das Projekt des Übermenschen die der den Nihilismus überwindenden Kreativität. Mitnichten, der prophezeite Nihilismus soll nun eine positive Entwickelungsstufe sein, in der es um der Pluralität des Lebens willen zu verharren gälte. „Bei den verschiedenen Facetten des Nihilismus handelt es sich um Errungenschaften,die die Wahrheit fördern, die Vielfalt des Lebens zum Florieren zu bringen.“ (S.91) Dabei wird dann zwischen dem alethischen und dem ethischen Nihilismus unterschieden. Es gäbe weder Wahrheit noch Moralität (S.92).Die Antithese zu allen totalitären und paternalistischen Strömungen sei der Nihilismus,denn er ermöglichte allein eine Pluralität von „Wahrheiten“ und „Moralen“. Darin verbirgt sich ein typisches postmodernes Axiom, das, daß eine erkannte Wahrheit oder eine zu erkennende sowohl der theoretischen und der praktischen Vernunft eine Legitimität der Pluralität beseitigen würde. Die Wahrheit, daß 5 plus 7 12 ist, verunmöglicht alle anderen Zahlen als 12 als legitime Antworten auf die Frage, was sei 5 plus 7 zu qualifizieren. Für den Bereich der Ästhetik: Wie könnte es noch eine Manigfaltigkeit von Kunstwerken geben, wenn es das wahre Kunstwerk gäbe?

Die totalitären Staaten seien so charakterisiert durch ihre Behauptung, im Besitz der Wahrheit zu sein, der gemäß dann in diesen Staaten alles bestimmt worden sei. Als Musterknaben solch eines Wahrheitstotalitarismus zählen dann Hitler und Stalin. Hitler sei eben keinesfalls ein Nihilist gewesen, der an nichts glaubte als an seinen Willen zur Macht und Stalin kein Despot, der den Marxismus-Leninismus nur dazu vernutzte, seine Willkürherrschaft zu rechtfertigen. Ganz von einer Wahrheitserkenntnis Erfüllte liquidierten diese jede Pluralität in ihrem Willen zur unbedingten Uniformität. Damit es eine legitime Pluralität geben könne und diese ihre Legitimität nur dem Faktum verdanken könnte, wenn etwas noch nicht begriffen worden ist, sodaß es nur noch eine Wahrheit über das Zubegrifende gibt, dürfe es keine erkannte Wahrheit geben.

Der Paternalismus fundiert sich dabei aus der Erkenntnisdifferenz, daß die einen Erkennende sind und die anderen Nochnichterkennende, sodaß die Erkennenden den Nichterkennenden zu führen haben, sie so zu entmündigen. Theologisch gewendet: Die Notwendigkeit des Hirtenamtes resultiert aus dem Nichtvermögen der Schafe, sich selbst hüten, das heißt regieren zu können. Cognitivistisch gewendet heißt das, daß sie die Wahrheit nicht erkennen können. Solange es aber doch noch erkennbare Wahrheiten gibt, verleiht jede erkannte dem Erkennenden das legitime Recht, die anderen zu führen. Das sei dann das Ende jeder legitimen Pluralität. Alles Nichtwahre wird eben zur Häresie.

Soweit das dieser Betrachtung Innewohnende. Aber ist das in sich konsistent? Die Kritik muß ich zuerst kaprizieren auf das Phänomen, daß in diesem nihilistischen Gedankengang ein höchster Wert auftritt, der der Pluralität. Wie kann dieser Wert aber ein Element eines nihilistischen Denkens sein? Darüberhinaus dürfte der so propagierte Wert des Pluralismus nicht selbst wieder etwas aus sich ausschließen. Aber hier wird ja der Totalitarismus wie auch der Paternalismus ausgeschlossen. Damit begrenzt sich der Pluralismus selbst, indem er sagt, daß im Pluralismus nur pluralistische Ansätze erlaubt sind. (Das hieße für die internationale Politik, daß es dem afghanischen Volke nicht erlaubt werden dürfe, sich talibanisch regieren zu lassen, weil deren Regierungskonzept totalitär sei.)

Der Wert des Pluralismus wird also so hoch geschätzt, daß in seinem Namen alles nicht im Pluralismus das Höchste Ansehende aus dem legitimen Diskurs auszuschließen sei. Das hat nun viel mit Nietzsches Willen zur Macht gemein, mißbraucht aber das Theorem der Pluralität nur dazu, alles dazu sich oppositionell zu Verhaltendes zu delegitimieren. Schon ganz außerhalb seiner Begründungsmöglichkeiten ist nun aber dieser höchste Wert der Pluralität. Denn orientierte sich dies Denken an der Natur oder pathetischer am Leben, so müßte eingeräumt werden, daß nicht die Pluralität sondern das Prinzip des Sichdurchsetzens des Stäkeren das Leben ausmacht, denn das Gesetz des Lebens ist das des Kampfes und der ist pluralitätsvernichtend.

Prinzipieller formuliert: Warum soll denn überhaupt die Pluralität etwas Gutes sein? Wenn es zur Lösung eines politischen zwischenstatlichen Konfliktes militärische und nichtmilitärische Lösungen gibt, warum soll es dann etwas Gutes sein, beide Optionen als gleichwerige anzusehen, statt moralisch begründet nichtgewaltsame gewaltsamen als vorzuziehen zu beurteilen.

Dieser hier skizzierte „Nihilismus“ dekonstruiert sich selbst, weil er auf einem Werturteil sich aufbaut, der erstens nicht mit dem Nihilismus vereinbar ist und weil der oberste Wert des Pluralismus sich dann auch noch selbst destuiert, indem er nur dazu dient, sich selbst zu negieren, indem aus dem Pluralismus alles Nichtpluralitische exkommuniziert werden soll. Aber trotz dieser inneren Widersprüche ist dieses Denken das unsere Epoche bestimmende, das so aber auch zutiefst antitheologisch und somit antichristlich ist. Denn das Basiscredo der christlichen Religion wie der ganzen Philosophie war und ist: Die Wahrheit macht frei. Es darf sogar geurteilt werden, daß selbst noch Nietzsches Übermensch an dieser Wahrheitskonzeption verhaftet blieb. 

Zusatz:

Es gibt das Ereignis des Nationalsozialismus und des Stalinismus, aber die Interpretationen dieser Ereignisse sind für die darauf folgende Zeit relevanter als das Ereignis selbst. Nicht das Realereignis sondern seine Interpretation wirkt in der Geschichte. Der naivste Standpunkt ist nun der, die je meinige Interpretation für die einzig wahre zu erachten und die anderen dann als ideologisierte zu verurteilen. Die Potmoderne könnte nun als die Anerkennung der Unhintergehbarkeit der Pluralität der Interpretationen der Ereignisse der Geschichte verstanden werden, würde sie nicht selbst auf einer bestimmten Interpretation dieser beiden Ereignisse sich fundieren, die daß der Totalitarismus beider Systeme auf dem Glauben an die bessene Wahrheit sich gründet.  Konträr dazu steht Rauschning,der den Nationalsozialismus als "die Revolution des Nihilismus" qualifizierte. Für postmoderne Denker erscheint dagegen der Nihilismus als Schutz vor solchen totalitaristischen Ideologien.


 

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