Samstag, 16. Juli 2022

Unsere Liebe zu unseren Feindbildern: jetzt Putin und Rußland

Unsere Liebe zu unseren Feindbildern: jetzt Putin und Rußland


Wer auch nur oberflächlich heutige Zeitungen überliest und im Internet googelt, eines müßte ihm auffallen: So viel Feind gab es schon lange nicht mehr, als atmeten die Journaillien erleichtert auf: Endlich wieder einen Feind, endlich wieder eine Welt der klaren Unterscheidung, daß wir die Guten und der Russe der Böse ist. Das Feindbild: „Russe“ ist ja nun nicht eines heutigen Datums. Zu vermuten ist, daß die Geburt dieses Feindbildes sich der Epoche der Französischen Revolution verdankt, als in Frankreich mit der Guillotine zusammen die Vernunft die Herrschaft ergriff, um eine neue Welt der Freiheit,Gleichheit und Brüderlichkeit zu verwirklichen und als das zaristische Rußland den reaktionärsten Gegenpol bildete, um dem sich dann alle Mächte der Finsternis scharten in antirevolutionären Bündnissen ewiggestriger Monarchien gegen die Vernunft.

Die bolschewistische Oktoberrevolution verschärfte dann noch dies Feindbild. Statt in ihr die radicale Fortsetzung der bürgerlichen Revolution zu recognizieren, galt sie nun als eine asiatisch-russische Untat, die Rußland aus dem Kreise der zivilisierten Völker ausschloß, in der eben auch der humanistisch fundierte Marxismus barbarisiert wurde. Den sich der Moderne anpassenden Kirchen Westeuropas stand nun auch noch die Russisch-Orthodoxe Kirche gegenüber, unaufgeklärt und mit eigentümlichen kryptischen Neigungen zum zaristisch-despotisch regierenden Stalin. Als nun dieser Sozialismus sein Ende fand, kam es zur großen Desillusionierung: Rußland verwestlichte sich nicht einfach, ließ sich nicht einfach in den Westen integrieren wie auch das dickköpfige Ungarn, dem jetzt wieder der freie Westen mit neuen Repressionen droht ob seiner Unbotmäßigkeit.

Rußland war so der politisch-kulturelle Feind des Westens. So wurde er dann auch nach 1989 behandelt, als die Verwestlichung nicht gelang. Der neue US-Präsident machte dann ja auch hinreichend klar, daß die Zeit cooperativen Miteinanders vorbei sei, sein Vorgänger Trump sei eben zu kompromißbereit Rußland gegenüber gewesen. Die Strategie der Natoosterweiterung zeitigte Erfolge, denn fast der gesamte Ostblock ist nun Natoland. Erst weil Rußland schon der Feind war, wurde seine militärische Intervention in und gegen die Ukraine als das Verbrechen schlechthin verurteilt. Tatsächlich herrschte schon vor diesem russischen Angriff Krieg in der Ukraine, denn die ukrainiche Regierung gegen die russische Minderheit in der Ukraine führte, die seperatistische russische Republiken gebildet hatten. Aus einer ethnischen Perspektive betrachtet kam so der russische Staat den russischen Republiken auf dem Staatsgebiet der Ukraine zur Hilfe,als diese sich militärisch bedroht und in ihrer Existenz gefährdet sahen. Das ist dann kurzgefaßt das völkerrechtliche Problem, da eine solche Militärhilfe nicht erlaubt ist, weil es ein Eingriff in die Souveränitätsrechte der Ukraine darstellt.

Dieser russische Militärangriff ist aber faktisch nicht mehr völkerrechtswidrig als der Angriffskrieg der USA und seiner Verbündeten gegen Afghanistan und Jugoslawien und gegen Libyen. Aber all diese 3 Kriege wurden von den Guten, dem freien Westen geführt und waren so legitime Kriege. Nur die bösen Russen, wenn die einen Krieg führen, dann ist der immer ein böser.

Feindbilder strukturieren so die Wahrnehmung und bewirken die Unterscheidung von legitimen und illegitimen Kriegen. Aber wozu braucht der freie Westen dieses Feindbildes? Meine These: Postmodern strukturierte Gesellschaften werden durch nichts mehr zu Gemeinschaften zusammengebunden. Alle Integrationsideologien sind verbrauch, es gibt eben keine ethnische oder kulturelle Homogenität mehr. Den inneren Zusammenhalt soll so die Proklamation des inneren wie des äußeren Feindes dienen. Der innere Feind ist der „Rechte“ in all seinen Modifikationen (vom Reichsbürger bis zum Verschwörungstheoretiker, vom Impfskeptiker bis zum Patrioten) und der äußere ist Putins Rußland. Durch die Kampfparole „Putinversteher“ wird dann daraus ein Feind, dem sich alle Gutmenschen entgegenzustellen haben. Dieser dichotomische Dualismus, mit Bösen redet man nicht, man bekämpft sie,wird nun nach außen transformiert in der gemeinschaftsstiftenden Feindschaft gegen den Russen.

Daß der Russe nun zu dem Feind schlechthin avanciert, das ist nun kein rein irrationaler Akt, sondern in Rußland, wie auch in China wird das Hindernis der Errichtung der „Neuen Weltordnung“ gesehen, in der allein die USA mit seinen Kombattanten den Ton angeben soll.


Corollarium 1

Da ontologisch gesehen alles nur etwas Bestimmtes ist durch seine Differenz zu allem anderen, ist diese Negation, nicht zu sein wie alles andere, auch der Emergenzpunkt für die Feindschaft wider die Anderen.Feindschaft dürfte ein ursprünglicheres soziales Konzept sein als das der Freundschaft.



 

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