Donnerstag, 28. Juli 2022

Wie hältst Du es mit dem Staate? Eine kleine Übersichtsskizze zu: Kirche und Staat

Wie hältst Du es mit dem Staate? Eine kleine Übersichtsskizze zu: Kirche und Staat


Eines ist nicht zu erwarten, daß die christlichen Confessionen in dieser Frage einen einhelligen Standpunkt beziehen. Es existieren eben differente Vorstellungen darüber, wie dies Verhältnis sein sollte und da selten in der Geschichte Idealvorstellungen realisiert werden können, ist das Ideal auch nicht einfach aus der Empirie zu erheben. Wenn ein Lehrer Schüler auffordert, freihändig Kreise an die Tafel zu malen, dann werden diese Kreidekreise sich sehr von der mathematischen Definition des Kreises unterscheiden, aber niemand käme auf die Idee, aus diesen gemalten Kreisen die Definition des Kreises zu konstruieren. In der realen Geschichte finden wir stets nur Annäherungen der zu realisierenden Ideen.

Wichtig ist aber, daß wenn eine kirchliche Praxis nicht nur dargestellt sondern auch bewertet werden soll, daß dann der dabei angelegte Maßstab der der jeweiligen Idealvorstellung des Akteures ist. Wer also das Verhalten der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Krieg in der Ukraine beurteilen und vielleicht auch verurteilen möchte, der muß sich befragen lassen, ob hier ein fremdes Ideal als Maßstab appliziert wird oder das dieser Kirche. Oder was sollte von dem Urteil gehalten werden, daß in einer bestimmten Causa die Katholische Kirche sich nicht gemäß der lutherischen Lehre verhalten habe?


Das Ideal der Katholischen Kirche ist das der Überordnung der Kirche über den Staat. Gott regiert die Welt durch die 2 Schwerter, durch das geistliche der Kirche und das weltliche des Staates. Wie nun die Offenbarung über der Vernunft steht und sie erst vollendet so steht die Kirche über dem Staat. Die Bulle: „unam sanctam“ des Papstes Bonifatius VIII klärte das Verhältnis der Kirche zum Staat und ist so im Prinzip bis heute gültig. Aber realpolitisch anerkannte die Kirche im 2.Vaticanum, daß dies Ideal nach dem Ende der „Konstantinischen Epoche“ nicht mehr realisierbar ist. So existiert ein immer noch verbindliches Ideal und auf der anderen Seite ein kirchenpolitischer Pragmatismus, der sich darauf beschränkt, kirchliche Anliegen in einer pluralistisch strukturierten Gesellschaft in den öffentlichen Diskurs einzubringen.

Das protestantische Ideal ist das der Bereichstrennung, daß die Kirche Kirche sein soll und nicht Staat und der Staat Staat und nicht Kirche. Konflikte können dann nur deshalb entstehen, wenn einer von beiden mehr sein will, als er zu sein hat. Die politisierende Kirche und der Staat, der sich zu einem Weltanschauungstaat aufbläht bilden dann die Feindbilder dieses Kirche-Staatsverständnisses. Das reformierte Verständnis weicht nun etwas ab von diesem genuin lutherischen, indem es der Kirche gern ein politisches Wächteramt dem Staate gegenüber zuspricht. (vgl etwa den bedeutendsten reformierten Theologen des 20.Jahrhundertes: Karl Barth)


Das Ideal der Anglikanischen Kirche ist dagegen, so desillusionierend das auch klingen muß, das der Subordination der Kirche unter den Staat. Und das hat sie immer auch gelebt. Sie wurde ja nur gegründet, weil die Katholische einem engländischen König nicht willfährig gewesen war und der eine ihm gehorchende Kirche sich wünschte.


Das Ideal aller Orthodoxen Kirchen ist nun das der Symphonie, daß das Verhältnis ein rein harmonisches zu sein habe. Unbestreitbar ist, daß die Russisch-Orthodoxe Kirche stets danach strebte, ihr Verhältnis so zu gestalten. Deshalb war für sie auch die russische Revolution das größte Unglück ob der Religionsfeindlichkeit der Kommunisten. Aber so irritierend das auch klingen mag: Als Stalin den großen vaterländischen Krieg 1941 proklamierte, es sieht irgendwie so aus, als hätte er sich das von unserem Kaiser Wilhelm II abgeschaut, es gibt keine Parteien mehr, nur noch Deutsche!, fand die russische Kirche zurück zu einem guten Verhältnis zum Staat, das sie bis jetzt aufrecht zu erhalten versucht. Dabei kommt ihnen Putin als kluger russischer Staatsmann entgegen, vertreten beide wohl die Ansicht, daß ein gutes Staat-Kirche Verhältnis der Wohlfahrt des Volkes diene.


So könnte formalisierend gesagt werden, daß die Confessionen so alle möglichen Verhältnisbestimmungen abdecken: Für die Überordnung der Kirche steht das katholische Verständnis, für die Subordination das anglikanische, für die Einheit das orthodoxe und für die Trennung das lutherische und mit Abstrichen das reformierte Verständnis. Als für wahr wird nun jede Confession ihre je eigene Vorstellung ansehen.


Ein gravierendes Problem ist nun aber dies: Welches Ideal kann denn noch in postmodernen Gesellschaften realisiert werden? Schreitet die Entchristlichung so schnell wie jetzt aber weiter, werden wohl alle Confessionskirchen nur noch Randfiguren im gesellschaftlichen Leben sein können. 

Zusätze:

Im deutschen Katholizismus dominiert seit 1945 die Tendenz zur Subordination,aber im Gefolge der 68er gehörte die Staats-und Gesellschaftskritik zu jeder "guten" Theologie.Jetzt dagegen wird der Staat und die Gesellschaft affirmiert, aber bemängelt, daß die Kirche noch nicht so fortschrittlich sich entwickelt habe wie die Gesellschaft und der Staat.  


 

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