Dienstag, 25. April 2023

Mutmaßungen über das virtuelle Leben – oder existiert noch die Differenz von Realem und Fiktivem?

Mutmaßungen über das virtuelle Leben – oder existiert noch die Differenz von Realem und Fiktivem? Wie dieser Roman, „Töchter des Windes“ oder vielleicht gar jeder Roman zu lesen ist, dafür offeriert die Autorin Nora Roberts diese Vorgehensweise: „Also kommen Sie,setzen sich eine Weile vor den Kamin und tun Sie einen Tropfen Whisky in ihren Tee.Legen Sie die Füße hoch,vergessen Sie ihre Sorgen und tauchen Sie in meine Geschichte ein.“ So endet dies dem Roman vorangestellte Anschreiben an die „Liebe Leserin“.Diese Anweisung zum rechten Lesen von Romanen ist in all ihrer Kürze doch sehr gehaltvoll. Da wird an die Welt, die erfüllt ist mit den Sorgen der Leser, erinnert, ein Raum skizziert, vor dem Kamin, der für eine Weile aufgesucht wird und der so schon in einer gewissen Opposition zur erinnerten Welt der Sorgen sich befindet, denn in ihr kann verweilt werden: Wer verweilt schon in seiner Sorgenwelt. Der mit einem Tropfen Whisky verfeinerte Tee führt nun schon hinaus aus der Welt der Sorgen in Augenblicke des Genießens. Das Ziel ist nun das Vergessen der Sorgenwelt indem lesend in die Welt der erzählten Geschichte eingetaucht wird. Für dies Verreisen in die erzählte Geschichte ist also ein geeigneter Transferraum aufzusuchen und daß der Leser sich in die Stimmung des Genießens versetzt. Dies Kunstverständnis könnte polemisch als ein Fluchtverhalten demaskiert werden:Im Genießen von Kunstwerken flieht der Kunstbenutzer in Traumwelten, um sich der Realität zu entziehen.Es existiert dabei nicht bloß diese Antithetik von real und fiktiv, nein das Reale wird als wirklich seiend positiv bewertet, das Fiktive als eine nur Scheinwelt abgewertet. Der Mensch habe sich dem realen Leben zu stellen, statt träumend aus ihm auszusteigen. „Das ist ein Träumer“, das ist niemals als eine Auszeichnung gemeint. Schon Joseph war seinen Brüdern verächtlich, weil er als Träumer galt. Was ändert sich aber an diesem schlichten Dualismus, wenn seine Wertung zweifelhaft wird? Ein triviales Ereignis: Jemand kauft frische Erdbeeren, um dann irritiert festzustellen, daß die Erdbeerlimonade, eine rein künstliche mehr nach Erdbeere schmeckt als die echten gerade frisch gekauften! Abstrakter formuliert: daß das Leben in den Romanen, das fiktive realer dem Lesenden vorkommt als sein eigenes in der Welt der Sorgen. Im Raume der Mathematik ist uns dies Phänomen vertrauter: Die Idee des Kreises, seine Definition ist wahrer als die von den Schülern gezeichneten Kreise, die eben nur Annäherungen an die Idee des Kreises sind. Das in Romanen erzählte fiktive Leben könnte so auch als realer empfunden werden als das wirklich gelebte, weil irgendwie dem wirklichen etwas Wesentliches fehlt, das nur noch im Fiktiven gefunden werden kann. „So eine schöne Liebe kann es nur in Romanen geben“, urteilt mancher im Leben Desillusionierter. Ein abrupter Szenenwechsel: Ein Hund springt auf mich zu, mit gefletschten Zähnen mit mordgierigen Augen....und ich springe auf – aus dem Alptraum in die Wirklichkeit. Nur, die Todesangst, die ich da erlitten hatte, unterschied die sich von der, die ich empfunden hätte, hätte mich wirklich so ein Hund angesprungen? Solange ich alpträumte, war für mich dieser Hund und meine Todesangst real, sie war für mich nicht unterscheidbar von der Angst, die ich empfänd, wäre dies ein wirkliches Ereignis. Könnte nicht geurteilt werden, daß die erzählten Ereignisse eines Romanes so für den Lesenden, solange er liest, genauso real sind wie die, die er tatsächlich erlebt. Dann gilt gar, daß das tatsächlich Erlebte, wenn der Romanleser lesend in die Geschichten eintaucht vergessen und somit unreal wird wie nach dem Aufwachen aus einem Alptraum das Geträumte. So entsteht der Verdacht, daß in unserer Zeit des Lebens in den Medien die schlichte Unterscheidung von dem Wirklichen und dem Fiktiven an Bedeutung verliert. Das Fiktive kann uns als realer erscheinen als das Wirkliche. Das Fiktive kann so sehr das Wirkliche überdecken, daß uns das Wirkliche nicht mehr zugänglich ist. Der Urtext ist sozusagen verloren gegangen in der Überfülle der Interpretationen des Wirklichen, des Urtextes. Daß das Fiktive bevorzugt wird, ist dann nicht einfach mehr als eine Flucht aus der Wirklichkeit zu diffamieren. Der große Kulturkritiker Adorno merkt ja in seiner Ästhetischen Theorie schon an: „Die Realität liefert zu vielen realen Grund, sie zu fliehen, als daß eine Entrüstung über Flucht zustände.“ (Stw-Ausgabe, S.21) Aber davor bemerkt Adorno selbst (S.15): „Leicht ließe sich denken, daß ihr autonomes Reich mit der auswendigen Welt nicht mehr gemein hat als entlehnte Elemente,die in einem gänzlich veränderten Zusammenhang treten.“ Vielleicht erfaßt Adorno hier den rein fiktiven Charakter der Romanes, der eben eine Realität erschafft, wenn der Roman gelesen wird für den Lesenden. Was für den Roman und die Kunst im allgemeineren gilt, könnte in der Postmoderne so für die Medienwelt im Ganzen gelten. Das Wirkliche ist eben nur noch eine Version unter den vielen Realitäten, den virtuellen. Merksatz: Das Wirkliche kann unreal sein, weil das wirkliche Leben ein entfremdetes ist, das Fiktive so realer. Der postmoderne Mensch lebt sozusagen in vielen Welten wobei die "wirkliche" ihm nur eine von vielen ist, die so das Pathos, die einzig wahre zu sein. verloren hat.

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