Mittwoch, 19. April 2023
Über ein großes Projekt: Der neue Mensch - oder Vergessenes und Verdrängtes
Über ein großes Projekt: Der neue Mensch
Das Hoffen auf den neuen Menschen generiert sich aus der Erkenntnis, daß wir, so wie wir sind und leben, nicht in Ordnung sind. Der ganze Diskurs über das Sündhafte des Menschen und seiner Erlösungsbedürftigkeit ist nur aus dieser Selbstwahrnehmung erklärbar. Die Erfahrung des gelegentlichen Sündigens verdichtet sich zu der Erkenntnis, daß wir Menschen von Grund aus nicht richtig sind. Die christliche Religion verdichtet diese Erkenntnis in der Lehre von der Erbsünde, aber auch in der, daß das Erdenleben für uns ein Exilsleben ist, wie in so wunderbarer Klarheit das „Salve Regina“ ausdrückt.
Nur Gott kann uns erlösen, Gott will, daß wir neue Menschen, wahre werden, denn wir sind nicht mehr das, was wir waren und sein sollten. Ja, ein neues Geschöpf in Christus sind wir durch die Taufe geworden, in der der „Alte Adam“ gekreuzigt wurde, auf daß wir neue Menschen im Geiste Gottes lebend werden.
Diese sehr abbreviaturhafte Skizze genügt hier, um ein Verständnis dafür zu wecken, daß aus dem Geiste der Aufklärung heraus das Projekt des neuen Menschen nun als die Aufgabe des Menschen verstanden wurde, ja daß gerade der radicale Atheismus an diesem eigentlich religiösen Projekt festhielt:
„Die Ziele der Religion (kollektives Paradies,Überwindung aller Leiden,vollkommene Unsterblichkeit des Einzelnen,Auferstehung der Toten,Sieg über Zeit und Tod,Eroberung des Weltalls weit über das Sonnensystem hinaus)können durch die Entwicklung der modernen Wissenschaft und Technik im irdischen Leben verwirklicht werden. In der Zukunft wird nicht nur der Geschlechterunterschied abgeschafft und es werden keusche,posthumane Wesen entstehen, die sich durch biotechnische Reproduktion fortpflanzen; es wird auch möglich sein, die Toten der Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken(indem man aus den sterblichen Überresten ihre biologische Formel bestimmt und sie dann neu erzeugt -DNA kannte man damals noch nicht...),wodurch dann sogar alle vergangenen Ungerechtigkeiten ausgelöscht und Leid und Zerstörung >ungeschehen< gemacht werden können.“
So lautete das Programm des Biokosmismus, die Slavoj Zizek als eine okkulte Schattenideologie des sowjetischen Marxismus bezeichnet. Zizek, Die bösen Geister des himmlischen Bereichs, 2016,S.137. So skurril und abwegig das auch in unsren Ohren klingen muß, darin manifestiert sich eben die Aufbruchseuphorie, der Enthusiasmus erfolgreicher bolschewistischer Revolutionäre. Leicht fällt es nun dem christlich Sozialisierten, die ursprünglich rein religiösen Hoffnungsgehalte darin zu recognizieren. Die Verfremdung dieser Hoffnungsgehalte ergibt sich dabei ja zwangsweise dadurch, daß nun das Paradies zu einer rein menschlich machbaren Aufgabe umgewandelt wurde. Alle geschehene Ungerechtigkeiten sollen ungeschehen gemacht werden, auch die Toten werden ihren Anteil an diesem Erdenparadies bekommen, in dem der Tod nicht mehr herrscht.
Wo nicht mehr an Gott geglaubt wird, muß eben an die Allmacht der Technik geglaubt werden, wenn an der Hoffnung eines Paradieses auf Erden festgehalten werden soll. So verneint diese bolschwistische Richtung nicht einfach die christliche Religion, sondern bewahrt ihre Erlösungshoffnung, indem sie sie in eine machbare, herstellbare Zukunft transformiert. Die Vorstellung des neuen Menschen, diese Verheißung lebt dann in dieser Zukunftsvision weiter, daß dann der Mensch als neuer leben wird.
Leo Trotzki, wohl der profilierteste Stalinkritiker beschreibt dies Projekt des neuen Menschen weniger euphorisch, aber doch spricht sich auch hier der selbe politische Erlösergeist aus:
„Was ist der Mensch? Er ist keineswegs ein fertiges oder harmonisches Wesen. Nein, er ist immer noch ein äußerst unbeholfenes Geschöpf.Der Mensch hat sich nicht planmäßig,sondern spontan entwickelt und sich viele Widersprüche aufgeladen. Die Frage,wie der Mensch auszubilden und zu kontrollieren sei,wie man seine physische und geistige Konstruktion verbessern und vervollständigen könne, ist ein riesiges Problem,das nur auf der Grundlage des Sozialismus verstanden werden kann.“ Pathetisch heißt es dann: „Endlich,mein lieber Homo sapiens,werde ich an dir arbeiten“. Zizek, Die bösen Geister, S.171.
Daß der Mensch zu überwinden ist, das proklamiert nicht nur Nietzsche sondern ebenso radicale Bolschewisten. Bevor nun wir als Christen uns entsetzt von solchen Utopien abwenden, sollten wir uns aber eingestehen, daß wir hier sozusagen uneheliche Kinder unserer uns eigenen Erlösungshoffnungen vor uns haben! Wir sind nicht in Ordnung, der Mensch muß ein anderer werden, das gehört in das Zentrum der christlichen Erlösungsreligion! Aber gerade dies Zentrum ist in der Kirche der Postmoderne gänzlich aufgelöst, denn jetzt fungiert Gott nur noch als das große Ja zu dem Menschen, so wie er ist. Die Hoffnung auf den neuen den erlösten Menschen versandet so in der Blassiertheit des: Alles in Ordnung: Du bist in Ordnung, ich bin in Ordnung und die Welt im Prinzip auch, auch wenn es mal wieder ernste Probleme gibt.
War die Moderne mit ihren vielen Projekten des neuen Menschen, auch mit dem radicalsten des Bolschwismus noch ein von der christlichen Erlösungshoffnung getragene Epoche, so entschwindet in der Postmoderne die Erlösungshoffnung völlig, denn der Kirche gelingt es nicht, die ursprünglich religiösen Hoffnungsgehalte zu revitalisieren. Sie schließt sich der utopielosen Postmoderne an.
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