Donnerstag, 6. April 2023
„Jesus Christus uns zum Fluch geworden“ oder der verdrängte Skandal des Karfreitages
„Jesus Christus uns zum Fluch geworden“
Diese Unerhörtheit schreibt der Apostelfürst Paulus in seinem Galaterbrief 3,13. Paulus expliziert hier die Differenz zwischen der Gerechtigkeit aus dem Gesetz und der aus dem Glauben, eine Differenz, die heutzutage in völlige Vergessenheit geraten ist, die aber in ihrer Sachlichkeit weiter besteht. Unter dem Gesetz stehen alle Menschen, die Juden, denen das Gesetz Mose gab und die Heiden,denen es in ihr Gewissen eingeschrieben ist. Der ist gerecht, der das Gesetz hält.
Wenn es nun möglich wäre, daß der Mensch das Gesetz hält, dann erwirkte er so sein Gerechtsein vor Gott. Dann könnte er ohne Jesus Christus, ohne den Glauben an ihn vor Gott gerecht werden. Nun präsentiert Paulus 2 Argumente dagegen. Erstens, daß Niemand Gottes Gesetz so gehalten habe, daß er in den Augen Gottes gerecht gewesen sei und zweitens, daß Gott verheißen hat, daß der Glaubende ob seines Glaubens gerecht ist, nicht ob seiner Werke. Nur der Glaube an Jesus Christus mache einen Menschen gerecht.
Dies bildet nun den Hintergrund für diese skandalöse Aussage: Alle Menschen seien vor Gott Sünder gewesen, lebten so unter dem Zorn Gottes, der gerecht den Sünder strafen wollte. Nun aber hat Jesus dies Gericht Gottes auf sich genommen, um uns vor diesem göttlichen Gericht zu bewahren. Paulus fügt nun in diesen Gedankengang den Glauben ein durch die Aussage, daß dem, der an Jesus Christus als den für ihn Gekreuzigten glaubt, das objektive Heilswerk ihm zu seinem Heilswerk wird. So kann abbreviaturhaft der Kerngedanke dieses Apostels erfaßt werden.
Aber daß der Sohn Gottes verflucht wurde von Gott, das ist doch nun eine mehr als skandalöse Aussage. Bibliotheken könnten so mit den theologischen Versuchen angefüllt werden, diesen Skandalon zum Verschwinden zu bringen. Erstaunlicherweise finden wir, da es nicht zu vermuten wäre, etwas theologisch sehr Zutreffendes, in Luthers Auslegung des Galaterbriefes:
„Aber es möchte jemand sagen: Es ist sehr ungereimt und schmachvoll, den Sohn Gottes einen Sünder und einen Fluch zu nennen. Ich antworte: Wenn du leugnen willst, dass er ein Sünder und ein Fluch sei, so leugne auch, dass er gelitten habe, gekreuzigt und gestorben sei. Es ist nicht weniger ungereimt zu sagen, dass der Sohn Gottes (wie unser Glaube bekennt und betet) gekreuzigt sei, die Strafen der Sünde und des Todes ausgestanden habe, als dass man ihn einen Sünder oder einen Verfluchten nenne. Wenn es aber nicht ungereimt ist zu bekennen und zu glauben, dass Christus unter den Mördern gekreuzigt worden ist, so kann es auch nicht ungereimt sein, dass man sage, er sei ein Verfluchter und ein Sünder über alle Sünder.
Sicherlich sind das nicht leere Worte bei Paulus: „Christus ward ein Fluch für uns“ (Gal. 3,13.). „Gott hat Christum, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ 2 Kor. 5,21
(zitiert nach:www.evangelischer-glaube.de › stimmen-der-väter › luther-dasLuther - Christi stellvertretendes Werk "für uns")
Das Kreuz Christi stellt eine Revolutionierung der menschlich-allzuvernünftigen Gottesvorstellung dar und brüskiert so Generationen von Theologen. Vielleicht muß man so „biblizitisch“ wie Luther sein, um so radical die „Erkenntnisse“ der vernünftigen, also philosophischen Gotteserkenntnis revidieren zu können. Die Kernfrage lautet hier nämlich, ob die natürlich-vernünftige Gotteserkenntnis, expliziert in der Philosophie Platons und Aristoteles die Norm für die Auslegung des Kreuzes Christi ist oder ob das Kreuz rückwirkend zu einer Korrektur der philosophischen Gotteserkenntnis uns nötigt.
Für die philosophische Gotteserkenntnis, so wie sie traditionell in der Theologie expliziert wird sind ja diese Aussagen: Der Sohn Gottes habe am Kreuz gelitten, er sei am Kreuze gestorben, er sei von Gott verflucht in die Hölle, in das Reich des Todes hinabgestiegen, ja Gott habe ihn so verlassen („Mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“) unmöglich wahre Aussagen.
Einen bequemen Ausweg bot dafür die 2 Naturenlehre Jesu Christi, daß er wahrer Gott und wahrer Mensch sei, die dann so mißbraucht wurde: Nur nach seiner menschlichen Natur habe Jesus am Kreuze gelitten, sei gestorben, während seine göttliche davon vollkommen unberührt geblieben sei. Da Jesus nun eine Person ist und keine gespaltene, führt das letztendlich dazu, daß er eigentlich gar nicht gelitten habe und schon gar nicht gestorben sei. Da Jesus ob seiner Göttlichkeit auch ganz frei von jeder Sünde zu denken ist, ist auch diese Paulusaussage eine maßlose Übertreibung: Der Gerechte sei eben von Ungerechten zu Tode verurteilt worden als einer von vielen unrechtmäßig Verurteilten.
Luther führt uns hier ausnahmsweise auf eine richtige Spur, da er ob seiner Abneigung dem philosophischen Denken gegenüber vorurteilsfrei das Kreuz Christi interpretiert, für ihn fungiert nicht die philosophische Gotteslehre als die Norm der Auslegung des Karfreitages. Anders gesagt: Luther radicalisiert die Lehre von der Allmacht Gottes in der Tradition von Ockham mit seinem Primat der Freiheit des Willens Gottes. Einfach formuliert: Wenn der Sohn Gottes leiden will, dann kann er das auch, er kann sogar den Tod erleiden, aber nur, wenn er es will und so kann er auch die vollkommene Gottverlassenheit erleiden in der Hölle, im Reich des Todes, aber nur, weil er so seinem Vater gehorchen wollte.Christus wollte den ganzen Zorn Gottes auf sich nehmen, um so der göttlichen Gerechtigkeit genüge zu tuen.
Wäre er nur als wahrer Mensch am Kreuz für uns gestorben, wie hätte denn dann auch sein Kreuzesleiden eine hinreichende Genugtuung für Gott sein können. Ein Mensch kann eben nur endlich leiden, aber die Gesamtheit der Sünden wider Gott verlangt eine ewige Strafe und so unendliches Leiden. Zur Veranschaulichung: Wer ein Tier zu Tode quält, wird weniger hart bestraft als der, der einen Menschen zu Tode quält, denn das Strafmaß richtet sich nach dem Wert des Geschädigten. Gott als der durch unser Sündigen Geschädigte verlangt so mehr als nur das Leiden eines einzigen Menschen zur Genugtuung. Gott ist eben zwar die Liebe aber er ist auch die Gerechtigkeit. Im Kreuzesleiden erweist sich Gott so als der gerecht Strafende und als die Liebe zu seinen Menschen, indem er statt alle Menschen zu strafen, seinen eigenen Sohn strafte, der dies göttliche Gericht auf sich nahm, um uns so zu retten vor Gottes Zorn, wie es Paulus ausdrücklich in seinem 1. Thessalonicherbrief schreibt, daß Jesus Christus uns vor dem kommenden Gericht Gottes retten wird. (1,10)
Zusatz: Die Differenz zwischen der traditionellen natürlichen/philosophischen Gotteslehre und der, die uns das Kreuz Christi aufnötigt, ist nicht einfach die der philosophischen zur Gotteserkenntnis durch die Offenbarung, sondern verlangt eine Revision der philosophischen, da diese eben nicht vernünftig genug durchdacht worden ist. Die Allmacht Gottes ist eben nicht hinreichend durchdacht worden, die vernünftige Erkenntnis blieb so hinter ihren Eigenmöglichkeiten zurück.
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