Mittwoch, 5. April 2023

„Unser Wunschevangelium" – oder wider die Unzumutbarkeiten der christlichen Religion

„Unser Wunschevangelium – oder wider die Unzumutbarkeiten der christlichen Religion So spricht ein tief religiöser Freund zu Slavoj Zizek (Weniger als nichts, stw, 2016, S.168): „Ich glaube an Gott,aber ich finde die ganzen Verdrehungen,wie die Verherrlichung des Opfers und der Demütigung,die Erlösung durch Leiden und dass Gott seinen eigenen Sohn durch die Menschheit ermorden lässt,abstoßend und zutiefst verstörend. Könnten wir nicht ein Christentum ohne diesen perversen Kern haben?“ Dieser tief Religiöse erweist sich wirklich als ein Kenner der christlichen Religion, seiner ihr eigenen Erlösungsvorstellung durch das Kreuzaltaropfer seines eigenen Sohnes. In dieser Klarheit wird es aber an dem jetzt kommenden Karfreitag wohl nirgendwo mehr gepredigt werden, nicht weil das so unwahr wäre, sondern weil diese Wahrheit den Kirchgängern nicht mehr zugemutet werden kann. Welche Instanz spricht nun, wenn dieser Kern der christlichen Erlösungsvorstellung als pervers verurteilt wird? In diesem erweist sich dieser Freund als unreligiöser Mensch, denn er spricht als reiner Humanist. Klaus Kunze beschreibt in einem sehr klugen Essay: „Wie der Mensch sein eigener Gott wurde. Humanitarismus- die Religion der Gottlosen“ 2022 diese Surrogatsreligion. Diese Studie könnte sinnvoll ergänzt werden durch ein Kapitel: Wie sich die christliche Religion geändert hat durch den Versuch einer Synthese mit diesem Religionssurrogat des Humanitarismus. Es entstand so eine Religion ohne diesen perversen Kern, indem stattdessen Gott nur noch als theozentrische Letztbegründungsinstanz dieses Humanitarismus fungiert: Weil Gott als der jeden Menschen Bejahende zu denken sei, ist nun das oberste Ziel alles Praktischen, jedem Menschen zu einem guten Leben auf Erden zu verhelfen. Deshalb ist die Kernaufgabe der Kirche die Diakonie, sodaß sie mit allen Humanitaristen zusammen an der Weltoptimierung mitwirkt und die Theologie hat nur noch die Aufgabe, nachzuweisen, daß das auch wirklich die Kernbotschaft des Christentumes sei. Die Erlösung des Menschen reduziert sich so faktisch auf die Herbeiführung einer Welt, in der jeder Weltbürger seinen Anteil am Reichtum der Welt an materiellen und kulturellen Werten bekommt, der ihm qua Menschsein zukommt. Dabei steht der Mensch, aber auch jeder in seinen individuellen Konsumwünschen im Zentrum. Nicht durch das Kreuzesleiden wird so der Mensch erlöst sondern durch die gerechte Verteilung der erwirtschafteten Konsumgüter materieller und ideeler Art. Dostojewskis Großinquisitor hatte eben doch recht, als er dem Erlöser vorwarf, die Wahrheit zu verkünden, statt der Welt das Brot für die Mägen zu bringen, alle so wirklich sättigend. Zugrunde liegt dem eine kopernische Wende der Theologie und Kirche, daß die "Gläubigen" als Kunden gesehen werden: Der Kunde ist König, sodaß als "wahr" nun gilt, was ihm gefällt, was er hören mag. Die Kirche orientiert sich so nicht mehr an dem Leitbild des Arztes als Erlösungsinstitution sondern an der Freizeitunterhaltungsindustrie: Unterhaltsames, Ankommmendes ist zu produzieren. Man kann dies auch unter dem Begriff der Demokratisierung der Kirche subsumieren, daß als wahr zu gelten habe, was demokratisch hervorgebracht wird.

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