Montag, 26. August 2024

Der schwache Wille: Was das Gute ist, wissen wir schon, nur oft tuen wir es dann nicht! Oder wissen wir oft nicht, was das Gute ist?

 

Der schwache Wille: Was das Gute ist, wissen wir schon, nur oft tuen wir es dann nicht! Oder wissen wir oft nicht, was das Gute ist?


Diese Vorstellung ist nun weit verbreitet: „Schon längst wollte ich aufhören zu rauchen, der Arzt mahnte mich schon, aber dann greife ich doch immer wieder zur Zigarette!“ Mancher Ehemnn soll so auch seinen Gang in ein Bordell so erklären- oder verklären?: „Ja, ich bejahe die eheliche Treue, aber meine Sinnlichkeit, mein sexuelles Begehren treibt mich dann doch zu den Prostituierten!“ Die Vernunft des Kopfes findet so ihren Widerpart in der Sinnlichkeit des Leibes und im Besonderen im Unterleibe und der Wille läßt sich dann gelegentlich zum Widervernünftigen und Falschen verführen. Aber unsere Ratio weiß doch stets das, was das Gute ist, nur der Wille verfällt dann der niederen Sinnlichkeit, den Trieben.

So anschaulich leicht nachvollziehbar das alles nun auch erscheint, verhält es sich auch so?

These: Die katholische Morallehre präferiert diese Konfliktanalyse zwischen dem das Gute Wissen und dem es dann doch nicht Realisieren, die protestantische Ethik präferiert dagegen die Konfliktsituationen, in denen ein Mensch von zwei Verpflichtungen in Anspruch genommen sich sieht, wo er aber beiden zugleich nicht genügen kann.

Die protestantische Vorliebe ist von der reformatorischen Rechtfertigungslehre her begründet, in dem theologischen Gebrauch des Gesetzes: Das Gesetz als der Pädagoge auf Jesus Christus hin, soll den Menschen in die Erkenntnis treiben, daß er das Gesetz Gottes nicht halten könnend nur durch die Gnade Gottes gerettet werden kann. Der politische Gebrauch des Gesetzes dagegen dient der Einschränkung der Neigung des Menschen zum Sündigen, indem er ihn durch das Androhen von Strafen vom Bösetuen abhält, vergleichbar der Wirkweise eines Maulkorbes, der einem bissigen Hund umgelegt wird. Aber das Gewicht liegt auf dem theologischen Gebrauch.Situationen, in denen ein Mensch, egal für welche Handlung er sich nun entscheidet, stets sündigt, indem er zumindest gegen eine seiner Pflichten verstößt, werden so in dem protestantischen Moraldiskurs bevorzugt, wobei dann im liberalen Protestantismus die freie Gewissensentscheidung präferiert wird als die Lösung solcher Verpflichtungskonflikter.

Hier ist ganz unspektakulär festzuhalten, daß sowohl die katholische wie auch die protestantische Vorliebe ihr Recht hat, nur daß eben keine zu verabsolutieren ist. Ein einfacher Fall möge nun die protestantische Vorliebe legitimieren: Ein verheirateter Mann hat sich in eine andere Frau verliebt, wird mit ihr intim und sie wird von ihm schwanger, während seine Ehe noch kinderlos blieb. Daß er als ein Ehemann Verpflichtungen seiner Frau gegenüber hat, ist unbestreitbar, auch, daß er gegen die mit seinem außerehelichen Liebesverhältnis grob verstoßen hat, auch wenn er aus Liebe zu der anderen Frau so gehandelt hatte. Aber genau so wenig kann abgestritten werden, daß er nun Verpflichtungen seinem außerehelich erzeugtem Kinde gegenüber hat und auch der Mutter des gemeinsamen Kindes gegenüber. Die Sünde des außerehelichen Liebesverhältnises kann er nun nicht einfach ungeschehen machen, selbst wenn ihm seine Frau diesen Fehltritt verzeihte, da die daraus entspringenden Verpflichtungen dem Kinde und der Mutter gegenüber nicht zum Verschwinden zu bringen sind. Wie könnte er nun aber seiner Ehefrau und dem Kinde und seiner Mutter gegenüber gleichermaßen gerecht werden? Das Dilemma ist offenkundig. Er kann seinem außerehelichen Kinde und dessen Mutter einerseits und seiner Ehefrau andererseits nicht zugleich gerecht werden. Die Moraltheologie kapitulierte nun aber, wüßte sie hier nur noch zu sagen: Dann müsse eben der Ehemann sein Gewissen befragen und das ihm von seinem Gewissen Gesagte dann tuen!

Die heilige Ordnung der Ehe, isb wenn es eine sakramental gültig geschlossene Ehe ist, legt es nahe, daß die Verpflichtung der Ehefrau gegenüber den Vorrang verlangt, daß er also nur soweit für sein Kind und für seine Mutter da sein darf, wie das seinen Pflichten seiner Ehefrau gegenüber zuläßt. Nur, so kann er nicht seinen Pflichten seinem eigenen Kinde gegenüber wirklich gerecht werden und dann auch nicht denen der Mutter seines Kindes gegenüber.

Der erste Teil dieses Dilemmas der der ehelichen Untreue läßt sich noch in dem Vorstellungskomplex von der Vernunft und der ihr widerstreitenden Sinnlichkeit erklären, aber das Folgeproblem, daß der Ehemann nun zwischen zwei Stühlen steht und nicht allen Konfliktparteien gerecht werden kann, das ist nicht mehr in diesem von der katholischen Morallehre bevorzugtem Verständnis darlegbar.

Kann für ein solches Dilemma eine moraltheologisch verantwortbare Lösung gefunden werden, wenn man die Ausflucht in die Gewissensfreiheit nicht akzeptieren will? Vorbehaltlich einer besseren Einsicht würde ich als das Entscheidungskriterium die Frage stellen: Mit welcher Entscheidung wird ein kleinerer Schaden verursacht, daß damit der gößere dann vermieden wird. Wenn schon ein Sündigen nicht zu vermeiden ist, weil egal wie der Ehemann sich auch für was entscheidet, er nie allen seinen Verpflichtungen gerecht werden kann, dann sollte er das kleinere Übel wählen. So lautet die Maxime bei einem Schiffsunglück, wer zuerst in die Rettungsbote soll, erst die Kinder mit den Müttern, dann die Frauen und dann erst die Männer.

In diesem Fall würde ich meinen, das eigene Kind und dessen Mutter zugunsten der Ehefrau zu vernachlässigen, um ganz den Pflichten der Ehefrau gegenüber gerecht zu werden, wäre das größere Übel. Dem eigenen Kinde gegenüber nicht die Aufgabe des Vaters zu übernehmen, auch wenn es ein außereheliches Kind ist, wäre als eine gröbere Pflichtverletzung anzusehen. Aber in diesem Falle könnte man aus Ehrfurcht der Ordnung der Ehe gegenüber auch anders entscheiden,aber da bliebe dann doch der mißliche Eindruck, daß dann die Ordnung der Ehe als wichtiger angesehen wird als das Wohl des eigenen Kindes.

Eines ist aber klar: Solche Dilemmaprobleme bilden die wirklichen Probleme jeder Morallehre, denn in ihnen zeigt sich erst, ob eine Morallehre nur etwas für den Schulbetrieb taugt oder auch für das wirkliche Leben.



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