Verwirrendes: „Wo Lenin,da Jerusalem“- Irrwege der Religion?
In der mehr als hörenswerten Vorlesung: „Radikale Krieger und Propheten: Ernst Jünger und Ernst Bloch“, der 10. zum Thema der Moderne von Professor W.Eßbach, wird der jüdische Philosoph Bloch so zitiert: „Wo Lenin, da Jerusalem!“. Mit Jerusalem ist das neue verheißende Jerusalem gemeint, wie es uns die Apokalypse der Johannesoffenbarung verheißt. Aber es wird auch an das Täuferreich Thomas Münzers erinnert, der mit den aufständischen Bauern nun das neue Jerusalem errichten wollte. Lenin galt Bloch als der neue Thomas Münzer. Der Philosoph Bloch radicalisiere jüdische und christliche Traditionen zu einer Revolutionsphilosophie, in der linke, marxistische und religiöse Reich-Gottesvorstellungen sich vermengeln. Die bürgerliche moderne Gesellschaft soll so überwunden werden. Während sein Antipode. Max Weber die Verbürgerlichung der christlichen Religion rekonstruiert, bis sie dann im Geiste des Kapitalismus untergegangen sei, versuche Bloch eine Entbürgerlichung der Religion, um sie als eine Motivationsquelle für eine Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft neu zu formieren. Dabei schöpfe Bloch dann primär aus von der Kirche als häretisch verurteilte Traditionen, um daraus einen Utopiecocktail zu ermixen.
Der Professor stellt aber fest, daß uns heute jeder Geschmack am Utopischen verlorengegangen sei,sodaß auch dieser Philosoph uns so fremd unverständlich geworden ist. In der jüdischen wie auch in der christlichen Tradition existieren zwei verschiedende Erlösungsvorstellungen, die auf der Zeit- und die auf der Raumachse. Gott wird erlösend eingreifen und auf der Erde eine vollkommen gute Herrschaft errichten. Wie sehr diese Vorstellung auch in der urchristlichen Gemeinde beheimatet war, demonstriert uns die Apostelgeschichte: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,7)Jesus Christus sagt dagegen: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36). Aber diese Spannung lebte in der christlichen Religion weiter: Wird es ein 1000 jähriges Reich auf Erden geben, daß wir Christen dann auch mit Gottes Hilfe zum von Gott bestimmten Zeitpunkt errichten werden können. Die Reich Gottes Vorstellung kann nun aber auch in die Raumachse eingezeichnet werden: das Reich ist im Himmel und wir leben auf Erden. Paulus expliziert das in dem 5.Kapitel des 2.Korintherbriefes: Solange wir auf Erden in unserem Leibe leben, leben wir fern von unserm Gott im Himmel. Sterben wir, dann werden wir von Gott heimgeholt. Wird die Erlösungshoffnung auf der Zeitachse verortet, dominieren kollektive Erlösungshoffnungen, wird sie dagegen auf der Raumachse verortet, dominieren individualistische Errlösungshoffnungen.
Beiden ist nun aber gemein, daß sie ein Jenseits der jetzigen Welt in ihrem jetzigen Zustand erhoffen, und daß beide das nicht als eine sehr ferne Zukunft erwarten: „Stellst du in dieser Zeit“ wiederher oder: jedem ist sein eigener Tod nie völlig fern. In der Krisenerfahrung der Moderne, als das der erste Weltkrieg empfunden wurde, revitalisierten sich solche utopischen Hoffnungen. In einem sich säkularisierenden Jahrhundert waren dann chiliastische Utopien eines Heilsreiches auf Erden attraktiver als ein Hoffen auf ein jenseitiges Erlösungsreich. Man wollte nach Nietzsche der Erde treu bleiben. Was passiert dann aber, wenn beide Hoffnungskonzeptionen, sowohl die jenseitige als auch die irdisch-zukünftige ihre Anziehungskraft und ihre Glaubwürdigkeit gar verloren haben, wenn eben nichts Neues mehr weder im jenseitigen Himmel noch in der zukünftigen Welt erwartet wird? Dann sind wir endgültig in der Postmoderne angelangt. Der Gott der Postmoderne ist so weder einer, der uns ein Reich Gottes auf Erden verheißt, ein neues Jeruslem noch der uns ein Jenseits verheißt, denn er ist reduziert auf sein Jasagen zu uns, so wie wir sind.Diese Punktualität ersetzt die Vorstellung eines Jenseits, in das Gott uns heimholt und die eines endzeitlichen Errichtens eines Gottesreiches auf Erden.
Dem entspricht es auch, daß Gott als der Schöpfer und Bejaher des Menschen in den Vordergrund gestellt wird, wohingegen das Erlösungswerk Jesu Christi auf ein Bestätigen des Jawortes Gottes zu seinen Geschöpfen reduziert wird. Er klärt uns über Gottes Liebe zu allen Menschen auf und daß wir jeden wie einen von Gott Bejahten auch zu bejahen haben. Alles Utopische verschwindet und die bürgerliche Gesellschaft transformiert sich dadurch zur letzten alternativlosen Gesellschaft, die nichts anderes zuläßt, nichts Utopische weder im Himmel noch auf Erden. Pointiert gesagt: Im Tode schlafen wir atheistisch ewig im Grabe und theistisch im ewigen Frieden Gottes, ohne ein Leben danach. Und für die Menschheit als ganzes gibt es nur ein Ewig-so- Weiter, bis das Leben auf der Erde ganz verlöschen wird. Das „Prinzip Hoffnung“, der „Geist der Utopie“ (Ernst Bloch) hat sich scheinbar völlig aufgelöst.
So wären nicht nur die Utopiegehalte der Religionssurrogate verschwunden sondern auch die christliche Religion als eine Erlösungsreligion. Das Scheitern der säkularisierten Versuche, neue Jerusalems zu schaffen, führt so zu einem Verlöschen des Hoffens auf jegliche Erlösungshoffnungen. Manifestiert das sich nicht in Nietzsches Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen als einem Kontrast des Hoffens auf den Übermenschen?
Zusatz:
So existiert auch ein Traditionsstrang von dem Freiheitskampf der Makkabäer über die nationalrevolutionären Zeloten zur Zeit Jesu über das Täuferreich Thomas Münzer bis hin zu der marxistischen Befreiungstheologie, die sich alle durch eine hohe Gewaltbereitschaft auszeichneten im Kampf wider die Feinde.
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