Samstag, 19. Dezember 2015

Lesefrüchte- über die Seele

"Etwas Unerforschliches zu erforschen. Es bis zu einem gewissen erstaunlichen Grad von Möglichkeiten aufzudecken. Wie man eine Verschwörung aufdeckt. Und es kann ja sein, daß das Außerfleischliche, ich meine damit nicht die Seele, daß das, was außerfleischlich ist, ohne die Seele zu sein, von der ich ja nicht weiß, ob es sie gibt, von der ich aber erwarte, daß es sie gibt, daß die jahrtausendalte Vermutung jahrtausendalte Wahrheit ist; es kann durchaus sein, daß das Außerfleischliche, nämlich das ohne Zellen, das ist, woraus alles existiert, und nicht umgekehrt und nicht nur eines aus dem anderen."Diese feinsinnige Entfaltung verdanken wir Thomas Bernhard, Der Frost, Erster Tag. 
Selbst der marxistische Philosoph Georg Lukacs kann nicht umhin, in seiner Ästhetik (Die Eigenart des Ästhetischen, 2 Bände)dem Idealismus eine gewisse Berechtigung zuzusprechen ob seiner Fundierung in der Praxis des Alltagslebens. Denn in jedem Produktionsprozeß steht ja am Anfang eine Idee von dem, was hergestellt werden soll und daraufhin wird das Werkzeug und das Material zum Herstellen ausgesucht als zum Ziel passendes.Nun legt der antiidealistische Materialist den Schwerpunkt seiner Analyse des Herstellungsprozesses, der produktive Arbeit auf die Notwendigkeit, die Wirklichkeit, das Material, das bearbeitet werden soll, adäquat wahrzunehmen, denn nur dann kann es auch angemessen bearbeitet werden. Aber fehlte ein Wozu des Bearbeitens, die Idee, dann könnte aus dem, was ist, dem Material und den Werkzeugen nicht erschlossen werden, wozu es nun zu verarbeiten ist. Hume entfaltet daraus dann ja seine in sich evidente These, daß das, was ist, uns nicht sagen kann, was sein soll. Also verlangen Sollensaussagen eine ideele Welt, damit aus ihnen geschlossen werden kann, woraufhin das Materielle auszugestalten ist.Damit stehen wir in einer erstmal dualistischen Welt, die des Sollens und die des Seins. Aber ohne einen solchen Dualismus lebten wir ohne eine Antwort auf die Frage nach dem Wozu?
Thomas Bernhard geht nun in dieser kleinen Erwägung weiter: Auch das Reale soll als Produkt einer Idee begriffen werden. Die Seele als Hervorbringer von Ideen hätte dann selbst die Idee der Materie in sich erschaffen und sie dann realisiert, könnte als Kurzformeldes Gedankens bezeichnet werden, daß das "Außerfleischliche" der Grund alles Fleischlichen ist. Die menschliche Seele findet immer etwas von ihr Verschiedenes vor, was sie nicht selbst hervorgebracht hat, daß sie aber im Denken als Erkenntnis dieses Verschiedenen hervorbringen kann. Eine "absolute Seele" wäre dann die, für die es nichts von ihr Verschiedenes gibt und die alles, was sie nicht ist, selbst hervorgebracht hat. Auch dies findet noch etwas Ähnliches im alltäglichen Produktionsprozeß, insofern die Werkzeuge auch schon etwas Hervorgebrachtes sind und in der Regel die Materialien, die dann zur Realisierung der Idee verwendet werden, auch schon Bearbeitetes sind, zumindest im Regelfall. So sehr nun Lukacs diesen
Mutterboden idealistischer Philosophie zu Gunsten einer materialistischen Philosophie auch überwinden will, dieser Grund bleibt.Der Glaube an den Primat der Idee gründet sich so gesehen gerade im praktischen Leben, wohingegen das theoretisch anschauende Leben den Primat des realen Objektes vor der Idee setzt: man schaut, was wie ist. Man versenkt sich im Realen. Es sei hier an den wohl bedenkenswertesten Vertreter dieser Denktradition, Walter Hoeres erinnert.Er versucht so den Primat des Seins zu konstituieren. Thomas Bernhard legt uns da einen Primat der Idee nahe.Theologisch formuliert: daß alles, was ist, seinen Grund in der Idee von dem, was ist, in Gott hat. Die Idee von etwas, wie sie Gott denkt, ist so das Primäre, wohingegen das Reale nur die Realisierung der Idee ist.Das setzt beachtliche Folgen aus sich: daß uns nun die Idee, die sich im Wirklichen realisiert, das Eigentliche ist, das Wahre. Damit stoßen wir nun geradezu auf den Begriff des Unerforschliche, den der Autor hier so markant setzt. Denn wie kann dem Menschen die den realen Dingen zu Grunde liegnde Idee erkennbar werden? Das ist das Erkenntnisproblem der Erkenntnisheorie, ist erst begriffen, was uns das zu erkennende Objekt ist.
Man kann nicht umhin, auch und gerade in dieser kleinen Sentenz bietet uns Thomas Bernhard reichlichen Stoff zum Bedenken- eben ein wahrhaft großer Schriftsteller! 

Corollarium 1
Seele und Materie, Idee und Realität- das ist auch die Frage nach dem, wer im Hause des Menschen der Herr ist: ist der Verstand nur ein Organ, daß der Leib entwickelt hat, um im Überlebenkampf Vorteile zu erlangen gegen Lebewesen ohne ein Denkvermögen- oder ist das Denken die Tätigkeit, die den Menschen zum Menschen macht, so daß er im Denken Herr in seinem Leibe ist?                 
               
  

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