Mittwoch, 23. Dezember 2015

Über die Selbstsäkularisierung der Kirche

Ein Musterbeispiel der Selbstsäkularisierung der Kirche

Eine Predigt in einem evangelischen Gottesdienst, die aber so gehalten, auch in jeder katholischen Messe vorstellbar ist. Das Besondere dieser Predigt: Sie zeigt exemplarisch an, wie die Selbstsäkularisierung der christlichen Religion produziert wird. Den Hintergrund für diese Predigt bildete die allseits bekannte Geschichte von der Sintflut und der Arche Noah. Also, in medias res.

1. Die Predigt
Eine Umweltkatastrophe drohte eine das Leben der Menschheit gefährdende. Mahnende Stimmen riefen zur Umkehr. Aber nur eine hörte auf den prophetischen Ruf. Noah. Er baute die Arche und rettete so nicht nur die Menschheit sondern alles Leben der Erde. Auch heute drohen uns Umweltkatastrophen. Wir müssen umkehren, um die Schöpfung jetzt zu bewahren.“ Das waren die Kerngedanken dieser Predigt als zeitgemäße Auslegung der biblischen Erzählung.

2. Die Umformungen

Eine Umweltkatastrophe“- aber wovon berichtet die hl. Schrift? Gottes Zorn war entbrannt über die Menschheit, weil sie so viel sündigte, daß Gott es reute, sie geschaffen zu haben. Das religiöse Auge sieht in der Naturkatastrophe ein göttliches Gericht. Als gerechter Gott strafft er auch. Das ist einer der zentralsten Aussagen der hl. Schrift. Wie wird nun aus einem göttlichen Gericht eine Naturkatastrophe. Beim Begriff der Naturkatastrophe muß dabei mitgehört werden, daß diese vom Zeitgeist der Umweltschutzbewegung influenzierte Predigt damit meint, daß der Mensch durch einen unverantwortlichen Umgang mit der Natur diese Katastrophe hervorgerufen hat. Eine Naturkatastrophe ist eben eine Folge menschlichen Fehlverhaltens und nicht etwas von der Natur einfach Hervorgebrachtes. Das Subjekt Gott, er straft die Menschen, wird so ersetzt durch den Menschen als Verursacher. Das ließe noch Raum für die Frage: Warum läßt Gott solche Katastrophen zu?, die klassische Theodizeefrage, aber diese wird hier nicht gestellt. Zu sehr ist nämlich diese Predigt auf den Menschen kapriziert, der hier nun als einziges Handlungssubjekt fungiert.
In der Predigt treten auf einmal ganz viele Propheten und Mahner auf! Warum? Jeder Mensch hätte so die Chance gehabt, sich durch den Bau einer Arche Noah vor der Sintflut zu retten. Das wäre aber nur möglich gewesen, wenn für jeden der Aufruf zum Bau einer Rettungsarche hörbar gewesen wäre. Die Bibel dagegen erzählt nur von Noah, den Gott dazu berief und sie benennt auch den Grund: weil er vor Gott gerecht war. Die Vorstellung, Gott strafe, ist für diese Predigt genauso unvorstellbar wie die, daß Gott nur Noah, einem Menschen eine Rettungsmöglichkeit gibt, auch wenn Gott dann durch ihn eine neue Menschheit gründen will. Nein, weil Gott immer nur das Heil aller will, muß jeder auch von Gott eine Chance zum Archebauen erhalten haben: Rette dich, indem du für dich und deine Familie eine Arche baust. Daß dann nur Noah und seine Familie gerettet wurde vor der Sintflut gründet sich jetzt allein darauf, daß alle anderen Menschen nicht auf die prophetischen Mahnungen hörten.
Aber was verkünden diese Propheten der Predigt? Die Propheten der Bibel verkünden gerade vor 586 v. Chr. das Gericht Gottes über Israel ob ihres Sündigens, das dann auch 586 in der Gestalt einer militärischen Totalniederlage und der darauf folgenden Exilierung Israels über das Volk Gottes erging. Sie verkünden etwas, was Gott ihnen offenbart hat: sein zukünftiges Handeln wieder sein Volk und warum er so handeln wird. Was verkünden stattdessen die Mahner der Predigt? Sie verkünden das, was jeder mit offenen Augen durch die Welt Gehender auch hätte sehen können so zumindest nach der Meinung der damalig zu Zeiten der Predigt aktiven Umweltschutzbewegung - daß der Mensch durch seine „Ausbeutung“ der Natur diese zerstört und somit die Grundlage menschlichen Lebens in Frage stellt. Für diese Prophetie ist keine göttliche Eingebung und Beauftragung nötig- dazu reicht eigentlich der gesunde Menschenverstand. Der Hörer dieser Predigt, sich spontan der Umweltschutzbewegung zugehörig fühlend, denn er hört ja schon auf die Mahner, wußte sofort: die Anderen, die sind schuld, die, die immer noch kein Atomkraft – Nein Danke- Button auf ihrem Fahrrad prunken hatten.
Naturkatastrophen drohen immer wieder wieder, und so gilt es nun, achtsam zu sein und Hüter der Schöpfung zu werden. Das ist nun die Aufgabe des Menschen. So wie er allein als Verursacher der Naturkatastrophen fungiert, denn er verursacht sie durch sein eigenes Fehlverhalten der Natur gegenüber, so ist er auch der, der damit beauftragt ist, die Welt zu erhalten, zu bewahren. Fragen wir nun nach der Bedeutung Gottes in dieser uns durch diese Predigt entworfenen Welt, so fällt die Antwort eindeutig aus: Gott spielt in dieser Predigtwelt keine Rolle.

Aus exegetischen Gründen spricht einiges dafür, daß die Sintflutgeschichte in etwa so erzählt worden ist, bevor sie monotheistisch auf Jahwe bezogen umstrukturiert worden ist. Es ist eine zutiefst religiöse Geschichte und soll deshalb als Kontrast zur säkularisierten Fassung der Predigt hier nacherzählt werden.

3. Die Ursprungserzählung

Pures Entsetzen herrschte im Götterhimmel. Unerträgliches Geschrei drang Tag und Nacht zum Himmel empor. Eine Kakophonie des Grauens. Nur Böses im Sinne trieben die Menschen auf Erden es so schlimm, sie sündigten und taten alles, was den Göttern mißfiel. Da versammelten sich die Götter. Sie beschlossen: „Es war ein Fehler, daß wir den Menschen schufen. Er ist von Grund aus so böse und liebt das Sündigen. Lasset ihn uns von der Erde vertilgen, damit wir endlich wieder unsere Ruhe haben.“ Die Sintflut kam und alles war wieder in Ordnung.
Aber dann: Eine Arche schwamm da und auf ihr ein Mann und eine Frau! Göttliches Entsetzen: „Fängt das jetzt schon wieder alles an?“ Aber ein Gott erhob seine Stimme: „Urteilt nicht zu vorschnell. Wartet ab, was gleich geschieht!“ Noah verläßt die Arche und bringt ein Dankopfer für seine Rettung den Göttern dar. „Liebe Götterkollegen, wer wird uns denn noch wohlgefällige Opfer darbringen, wenn es keine Menschen mehr gibt. Sie sind, wie sie sind, immer zum Bösen geneigt, aber ohne sie kein Opfer für uns.“- Denkpause- „Wir wollen einen Regenbogen in den Himmel setzen und wenn immer uns der göttliche Zorn überkommt, daß wir die Menschen ob ihres Sündigens auslöschen wollen, dann soll er uns daran erinnern: Wir lassen keine weitere Sintflut über die Menschen kommen um der Opfer willen.

So nacherzählt sehen wir klarer, als wenn wir die uns einfach schon zu vertraute Geschichte in der Bibel nachlesen und vor lauter Vertrautheit die Pointe der Erzählung überlesen, worum es geht. Diese Erzählung beantwortet die Frage: Warum gibt es einen Opferkult? Die jeder Religion so Selbstverständliche eines Opferkultes kann fragwürdig werden, gerade weil der Mensch ein In-Fragesteller ist. Die kindliche Frage des Warums richtet sich auch einmal als Erwachsenenfrage an den Kult. Es spricht einiges dafür, daß in Israel die Frage des Warums des Opferkultes in der babylonischen Gefangenschaft aufkam. Denn im Exil durften die Priester Gott keine Opfer mehr darbringen, weil der einzig legitime Ort dafür der Tempel in Jerusalem war und ist. Als Ersatz wurde dann im Exil wohl ein Wortgottesdienst kreiert als Vorform des heutigen Synagogengottesdienstes.Gab es dann eine solche Praxis, evozierte das die Anfrage: wozu überhaupt ein Opferkult? Reicht nicht der Wortgottesdienst? Der Monotheismus der biblischen Erzählung spricht auch eher für eine exilisch- nachexilische Entstehungszeit.

4. Eine Kultätiologie

Warum opfern wir Gott?, ist also die Frage, die diese Erzählung respondiert. Es muß ja auffallen, daß wir in der Bibel viele Bestimmungen über die Weise des Opferns lesen können, aber keine Begründung dafür finden, warum denn überhaupt geopfert wird. Statt einer begrifflich explizierenden Erörterung dieser Frage gibt uns die hl. Schrift eine Erzählung als Antwort auf diese Frage. Es ist eine Kultätiologie. Das einmalige Opfer Noahs steht hier für Opfer des Jerusalemer Tempels, indem das Opfer Noahs den Opferkult legitimiert.

Es ist das Signifkanteste der Predigt, daß sie mit dem Opfer Noahs überhaupt nichts anzufangen weiß und es deshalb streicht. Wenn der Mensch der Verursacher wie auch der Verhinderer möglicher Naturkatastrophen ist, dann paßt in diesen damit markierten Vorstellungsraum kein Gott wohlgefälliges Opfer und schon gar nicht ein Opferkult.Die Predigt hat ihr Zentrum in dem Glauben an den umkehrwilligen Menschen. Er ist zwar der Urheber aller möglichen Naturkatastrophen- aber er ist auch ein Subjekt, das sein Fehlverhalten einsehen und so vom Zerstörer zum Erhalter der Welt sich wandeln kann. Dieser Glaube an den Menschen macht einen Opferkult nicht nur überflüssig, nein, er widerspricht ihm sogar. Auch die Verheißung, daß Gott um des Opfers willen keine weitere Sintflut mehr wirken will, muß dann eskamotiert werden, damit der Mensch, allein auf sich gestellt, sich ganz seiner Schöpfungsverantwortung stellt. An ihm allein liegt es, daß die Schöpfung erhalten bleibt, wie er allein auch die Potenz zum Nichten der Schöpfung besitzt. Denn der Opferkult setzt dagegen eine dem diametral entgegengesetzte Weltsicht: Gott ist der Urheber der Naturkatastrophen und Gott ist es auch allein, der sie verhindern kann. Nicht der Mensch, sondern Gott steht im Zentrum dieser Weltanschauung.

Somit haben wir jetzt erst die wichtigste Verschiebung vor Augen: Da wo die Predigt den umkehrwilligen und umkehrfähigen Menschen in den Mittelpunkt stellt, da stellt die religiöse Erzählung den umkehrfähigen und umkehrwilligen Gott hin. Die polytheistische Erzählung hat nun einen Vorteil. Sie kann die Umkehr Gottes erzählerisch darstellen als eine Meinungsdifferenz unter den Göttern. Die einen wollten die Auslöschung der Menschheit und der andere wollte das Weiterleben der Menschen. Der eine Gott überzeugt nun die anderen Götter mit dem Argument: Wer soll uns dann noch Opfer bringen, wenn wir alle Menschen ausgelöscht haben? Die Götter wenden sich dann, so überzeugt, ab von ihrem Vorhaben, die Menschheit endgültig auszulöschen.
Es ist also eine Umkehr der Götter, die durch das menschliche Opfer gewirkt ist. Das ist das tiefste Geheimnis des Opferkultes, das uns hier offenbart wird. Soll diese Erzählung nun monotheistisch umgeformt werden, verlangt dies, die Umkehr in den einen Gott zu denken. Das heißt: Gott wollte die Menschheit auslöschen, aber um des Opferkultes willen verzichtet er darauf, sie noch einmal auslöschen. Wo die säkularistische Predigt ihr Zentrum im umkehrfähigen Menschen hat, hat die religiöse Erzzählung ihr Zentrum im umkehrfähigen Gott und sagt, daß der Opferkult Gott zur Umkehr veranlassen kann. Man könnte es geradezu als vorweggenommene Kritik einer säkularistischen Umdeutung dieser Erzählung ansehen, daß sie vom Menschen keine Umkehr zum Guten erwartet: Er ist, wie er ist und so bleibt er, ein zum Bösen Geneigter. Nicht gründet sich Gottes Umkehr darauf, daß er auf eine zukünftige Umkehr und Besserung des Menschen hofft. Nein, das Wunder ist, daß der Mensch, obwohl er so ist, in der Gestalt des Noah Gott wohlgefällige Opfer darbringen kann. Damit ist aber noch etwas präfiguriet: daß die Priester als Nachfolger Noahs auch ein Stand sein müssen, der sich vom allgemeinen Leben absondert, um so fähig zu sein für den Opferkult. Diese Absonderung ist seine Heiligkeit.

5. Die Grundentscheidung der Säkularisierung der Religion.

Die Grundentscheidung der säkularisieren Predigt ist die, daß Gott nichts mit dem Leid zu tun hat. Es gibt Naturkatastrophen und anderes Unglück, was Menschen treffen kann. Für die religiöse Weltsicht sind das nicht einfach weltimmanente Ereignisse, die mit Gott nichts zu tun haben. Und weil Gott der Urheber ist, ist er auch das Subjekt, das solche Katastrophen verhindern kann . Darum wendet der religiöse Mensch sich an Gott. Wenn nun aber das Subjekt der Katastrophen wie auch der Verhinderer solcher Katastrophen allein der Mensch ist, dann avanciert er zu dem Adressaten der Bitte, der Aufforderung: Kehre um. Dieser Appell ersetzt so das kultische Gott dargebrachte Opfer. Darum muß nun auch die Anthropologie des Menschen geändert werden. Er muß gelten als ein Wesen, daß bereit ist, auf Grund von vernünftigen Einsichten, sein Tun zu ändern. Dieser so imaginierte Verunftmensch bedarf dann auch keiner göttlichen Eingebungen, denn es reicht ja , wenn er vernünftig lebt.

In moderner Theologie korreliert dabei der umkehrfähige und umkehrwillige Mensch mit dem umkehrunfähigen Gott. Die Unfähigkeit Gottes zu einer Umkehr wird dabei in verschiedensten Variationen entfaltet. Sie lassen sich aber auf ein Grundmodell zurückführen, auf das alle Konzepte fußen. Weil Gott vollkommen ist, kann er nur das Vollkommene wollen und wirken. Das will und wirkt Gott aber wesensnotwendig immer. Deshalb kann Gott weder durch ein Opfer noch ein Gebet dazu bewegt werden, etwas zu wollen oder zu wirken, das er ohne das Opfer oder das Gebet nicht gewollt hätte. Entweder ist das, worum Gott gebeten wird, das Vollkommene, dann wirkt er es auch ohne das Gebet oder es ist nicht das Vollkommene, dann kann Gott das Gebet nicht erhören, weil er nur das Vollkommene wollen und wirken kann. Deshalb kann Gott weder Opfer noch Gebete erhören. Kant bezeichnet dann ja in seiner Schrift der Religion in den Grenzen der Vernunft den Opferkult und den Glauben an Gebete, die Gott erhören könne als den „Afterdienst“ der Religion.Das einzige, womit der Mensch sich Gott wohlgefällig machen könne, sei das Streben nach der rechten sittlichen Gesinnung. Wenn also in der Kirche gebetet wird, ist das nur der Appell des Menschen an sich selbst, sittlich zu leben.

Typisch hierfür ist die Meinung des modernistischen Jesuiten Keller:„Außerdem schließt bereits die Absolutheit Gottes es aus, er könne auf irgendeine Weise durch die Welt betroffen oder beeinflusst werden.“1 Gemeint ist damit zweierlei: Gott ist so absolut, daß eine Sünde ihn gar nicht berühren könne, und Gott ist so absolut, daß Gott kein menschliches Gebet erhören kann. „Es widerspricht dem Glauben, durch unser Beten werde Gott veranlasst etwas zu tun. Das Neue Testament sagt: „Gott ist Liebe“ (1.Joh 4,8 und 16). Er ist nicht 99 Prozent Liebe, nicht noch zu steigern, er ist völlig und pur und allein Liebe. Nichts kann ihn bessern; und wenn alle Menschen tausendfach beteten, würde er um kein Jota gütiger und gnädiger, weil er bereits völlig reine Güte ist, die uns immer schon überschüttet mit unendlicher Liebe. Nur ein Irrglaube kann meinen, Gott sei mit Beten zum Guten zu bewegen. Gott ist unbewegbar.“2In dem Begleitmaterial zur Fernsehsendereihe „Credo-Glaube und Bekenntnis der Christen“, im Auftrage der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung liest sich das so: „ Es widerspricht unserem Glauben zu meinen, wir könnten Gott veranlassen, etwas Gutes zu tun, indem wir ihn bitten. Warum? Weil wir glauben, daß Gott die Liebe ist. Die Liebe, d.h. nicht irgendein knauseriger Liebender, der seine Gaben abzählt und nur unter Bedingungen gibt. Gott ist Liebe ohne Vorbehalte, ohne Grenzen, unendlich, über alles Fassen hinaus. Er begegnet uns unaufhörlich mit seiner grenzenlosen Liebe und jedem gleichermaßen, allen Menschen ohne Unterschied. Er macht sich nicht abhängig, nicht einmal von der miserablen Verfassung unserer Herzen. Er überschüttet Sünder und Heilige gleichermaßen mit unendlicher Liebe.“3

Am Anfang der Umformung stand ein einfacher Gedanke: Weil Gott nur die Liebe, nur gut ist, kann und darf er nicht als strafender gedacht werden. Es muß also die biblische Rede vom strafenden Gott entmythologisiert werden, indem das, was in den biblischen Erzählungen als Strafe Gottes dargelegt wird, als ein weltimmanent hinreichend erklärbares Ereignis umgedeutet wird. Es war eben einfach eine Naturkatastrophe, es war 586 v. Chr. einfach eine militärische Niederlage Jerusalems. Die theologische Deutung dieser Ereignisse als Strafe, die die Bibel vollzieht, ist dann für uns Aufgeklärte inakzeptabel, weil wir wissen, daß Gott nur die Liebe ist. Wenn das Ereignis ein rein weltimmanentes ist, dann ist in der Regel der Mensch der Urheber und so liegt es dann auch in seiner alleinigen Kompetenz, solche weltimmanenten Widerfahrnisse zu verhindern durch eine Steigerung seines vernünftigen Handelns in der Welt. So verabschiedet diese theologische Konstruktion Gott ganz aus ihr, um dann den Menschen als alleiniges Handlungssubjekt übrigzulassen.
Damit ist wohl der Wesenszug des Projektes der Moderne erfaßt: Das, was der religiöse Mensch von Gott erhoffte und ersehnte, das soll nun die alleinige Aufgabe des Menschen sein. Dies ist die Geburtsstunde der Politik im emphatischen Sinne. Das Zentrum der christlichen Religion bildet eine große religiöse Erzählung: die von der Schaffung der Welt und des Menschen, sein Sein im Paradies, sein Fall aus ihm als selbstverschuldeter und Gottes Wirken zur Rettung und Erlösung des Menschen durch das Kreuz Christi und die Gründung der Kirche auf das Ziel des Reich Gottes hin. In diesen Erzählrahmen hineingestellt bekommen dann erst die Begriffe der Theologie ihre reale Bedeutung. Die Moderne säkularisiert nun diese Erzählung , indem sie sie politisiert. Nun ist es die Aufgabe des Menschen, sich aus seiner selbstverschuldeten Entfremdung zu emanzipieren, um dann in einer erlösten Welt erst als wahrer Mensch zu leben. Politik im emphatischen Sinne meint dann genau diese Aufgabe der menschlichen Selbsterlösung. Und so war die erste wirklich politische Tat des Menschen die Französische Revolution. Alles Elend und Leid der Welt muß nun als ein von Menschen selbst Verschuldetes begriffen werden, sodaß so auch der Mensch sich dazu konstituiert sieht, dies Elend und Leid zu beseitigen. Das Experiment des Kommunismus in Rußland darf und muß so als das radikalste Konzept der Säkularisierung der Religion im Geiste der Moderne begriffen werden. Das endgültige Scheitern dieses Konzeptes 1989 signalisiert so auch das Ende des Projektes der Moderne, wie es Lyotard so treffend auf den Punkt bringt, wenn er urteilt, daß die Postmoderne sich auszeichnet durch den Verlust der großen Erzählungen von der Emanzipation des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Entfremdung.

Angesichts dieses Hintergrundes wird das Besondere dieser Umformung der biblischen Erzählung von der Sintflutgeschichte verständlich. Der Kern der Erzählung, daß Gott es ist, der umkehrt, daß es ihm reut, daß er die Menschheit auslöschen wollte angesichts des Opfers Noah , ist für die Moderne unzumutbar.Es ist die alleinige Aufgabe des Menschen, umzukehren, sich zu versittlichen und dazu mag die Religion ein paar helfende Impulse freisetzen, aber eigentlich reicht es , wenn der Mensch das täte, was er von seiner Natur her auch kann, daß er vernünftig sein Leben gestalte.
Darum braucht der moderne Mensch auch keine Propheten mehr, keine Offenbarungen, sondern nur seine Vernunft. Aber so entschließt sich der Mensch auch, ohne die Verheißungen Gottes leben zu wollen, denn nun steht er allein vor der Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren und sie vor dem Untergang zu bewahren. Der Mensch will ganz an Gottes Stelle treten und bewahrheitet damit Nietzsches Votum: Gott ist tot, wir haben ihn getötet. Den Anfang dazu bildete ein Gottesverständnis, daß Gott so vollkommen ist, daß er faktisch nichts mehr kann und so den Tod Gottes in der Moderne präparierte. Gott starb an seiner Vollkommenheit, die eine gelebte Religion verunmöglichte, wie sie uns exemplarisch das Opfer Noahs vor Augen stellt.

6. Was wird aus dem Gottesdienst?
Dies hat Auswirkung für die Gestaltung der Messe. Denn nun muß der Mensch zu dem Zentrum der Messe werden, auf ihn hin wird der einstige Gottesdienst ausgerichtet. Der Gottesdienst soll nun den Menschen belehren und zu einem angemessenen Tun aufrufen. Das ist die Geburtsstunde der anthropozentristischen Wende, die ihren Grund hat in der These, daß ein Gottesdienst nur in Hinsicht auf Menschen wirksam sein kann, denn Gott ist so vollkommen, daß für ihn einen Gottesdienst zu halten, ein sinnwidriges Unterfangen ist. Denn Gott ist unbewegbar. Dies veranschaulicht die Einführung des Volksaltares, der den Endruck erweckt, als wenn die Kirche das Meßopfer nicht Gott darbrächte, sondern daß das eigentliche Anliegen der Eucharistie eine Mahlfeier ist. Daß Noah aber das Opfer Gott darbrachte, wird dabei diesem Anthropozentrismus geopfert. Das ist nun kein zufälliges Vergessen der eigentlichen Ausrichtung kultischen Handelns, sondern ist die Konsequenz aus einer Gottesvorstellung, die es nicht erlaubt, von Gott auszusagen, daß er Opfer und Gebete erhören kann. Deshalb kapriziert sich ein modern gestalteter Gottesdienst allein auf den Menschen, denn nur er ist veränderbar, in der modernen Konzeption primär im moralischen Sinne, während postmoderne Konzeptionen den Eventcharakter, also den Unterhaltungswert betonen. Den Anfang dafür bildet das vergessene Noahopfer.



1Keller, A., SJ, Grundkurs des christlichen Glaubens. Alte Lehren neu betrachtet, 2011, S.301.
2Keller, A., SJ, a.a.O. S.483.
3Credo, Glaube und Bekenntnis der Christen Bd.1, Hrsgb: Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung e.V. Redaktion: Dr. Hubert Abreß, 1987, S.57.

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