Ein
Musterbeispiel der Selbstsäkularisierung der Kirche
Eine Predigt
in einem evangelischen Gottesdienst, die aber so gehalten, auch in
jeder katholischen Messe vorstellbar ist. Das Besondere dieser
Predigt: Sie zeigt exemplarisch an, wie die Selbstsäkularisierung
der christlichen Religion produziert wird. Den Hintergrund für
diese Predigt bildete die allseits bekannte Geschichte von der
Sintflut und der Arche Noah. Also, in medias res.
1. Die Predigt
„ Eine
Umweltkatastrophe drohte eine das Leben der Menschheit gefährdende.
Mahnende Stimmen riefen zur Umkehr. Aber nur eine hörte auf den
prophetischen Ruf. Noah. Er baute die Arche und rettete so nicht nur
die Menschheit sondern alles Leben der Erde. Auch heute drohen uns
Umweltkatastrophen. Wir müssen umkehren, um die Schöpfung jetzt zu
bewahren.“ Das waren die Kerngedanken dieser Predigt als zeitgemäße
Auslegung der biblischen Erzählung.
2. Die Umformungen
„Eine
Umweltkatastrophe“- aber wovon berichtet die hl. Schrift? Gottes
Zorn war entbrannt über die Menschheit, weil sie so viel sündigte,
daß Gott es reute, sie geschaffen zu haben. Das religiöse Auge
sieht in der Naturkatastrophe ein göttliches Gericht. Als gerechter
Gott strafft er auch. Das ist einer der zentralsten Aussagen der hl.
Schrift. Wie wird nun aus einem göttlichen Gericht eine
Naturkatastrophe. Beim Begriff der Naturkatastrophe muß dabei
mitgehört werden, daß diese vom Zeitgeist der Umweltschutzbewegung
influenzierte Predigt damit meint, daß der Mensch durch einen
unverantwortlichen Umgang mit der Natur diese Katastrophe
hervorgerufen hat. Eine Naturkatastrophe ist eben eine Folge
menschlichen Fehlverhaltens und nicht etwas von der Natur einfach
Hervorgebrachtes. Das Subjekt Gott, er straft die Menschen, wird so
ersetzt durch den Menschen als Verursacher. Das ließe noch Raum für
die Frage: Warum läßt Gott solche Katastrophen zu?, die klassische
Theodizeefrage, aber diese wird hier nicht gestellt. Zu sehr ist
nämlich diese Predigt auf den Menschen kapriziert, der hier nun als
einziges Handlungssubjekt fungiert.
In der
Predigt treten auf einmal ganz viele Propheten und Mahner auf! Warum?
Jeder Mensch hätte so die Chance gehabt, sich durch den Bau einer
Arche Noah vor der Sintflut zu retten. Das wäre aber nur möglich
gewesen, wenn für jeden der Aufruf zum Bau einer Rettungsarche
hörbar gewesen wäre. Die Bibel dagegen erzählt nur von Noah, den
Gott dazu berief und sie benennt auch den Grund: weil er vor Gott
gerecht war. Die Vorstellung, Gott strafe, ist für diese Predigt
genauso unvorstellbar wie die, daß Gott nur Noah, einem Menschen
eine Rettungsmöglichkeit gibt, auch wenn Gott dann durch ihn eine
neue Menschheit gründen will. Nein, weil Gott immer nur das Heil
aller will, muß jeder auch von Gott eine Chance zum Archebauen
erhalten haben: Rette dich, indem du für dich und deine Familie eine
Arche baust. Daß dann nur Noah und seine Familie gerettet wurde vor
der Sintflut gründet sich jetzt allein darauf, daß alle anderen
Menschen nicht auf die prophetischen Mahnungen hörten.
Aber was
verkünden diese Propheten der Predigt? Die Propheten der Bibel
verkünden gerade vor 586 v. Chr. das Gericht Gottes über Israel ob
ihres Sündigens, das dann auch 586 in der Gestalt einer
militärischen Totalniederlage und der darauf folgenden Exilierung
Israels über das Volk Gottes erging. Sie verkünden etwas, was Gott
ihnen offenbart hat: sein zukünftiges Handeln wieder sein Volk und
warum er so handeln wird. Was verkünden stattdessen die Mahner der
Predigt? Sie verkünden das, was jeder mit offenen Augen durch die
Welt Gehender auch hätte sehen können so zumindest nach der Meinung
der damalig zu Zeiten der Predigt aktiven Umweltschutzbewegung - daß
der Mensch durch seine „Ausbeutung“ der Natur diese zerstört und
somit die Grundlage menschlichen Lebens in Frage stellt. Für diese
Prophetie ist keine göttliche Eingebung und Beauftragung nötig-
dazu reicht eigentlich der gesunde Menschenverstand. Der Hörer
dieser Predigt, sich spontan der Umweltschutzbewegung zugehörig
fühlend, denn er hört ja schon auf die Mahner, wußte sofort: die
Anderen, die sind schuld, die, die immer noch kein Atomkraft – Nein
Danke- Button auf ihrem Fahrrad prunken hatten.
Naturkatastrophen
drohen immer wieder wieder, und so gilt es nun, achtsam zu sein und
Hüter der Schöpfung zu werden. Das ist nun die Aufgabe des
Menschen. So wie er allein als Verursacher der Naturkatastrophen
fungiert, denn er verursacht sie durch sein eigenes Fehlverhalten
der Natur gegenüber, so ist er auch der, der damit beauftragt ist,
die Welt zu erhalten, zu bewahren. Fragen wir nun nach der Bedeutung
Gottes in dieser uns durch diese Predigt entworfenen Welt, so fällt
die Antwort eindeutig aus: Gott spielt in dieser Predigtwelt keine
Rolle.
Aus
exegetischen Gründen spricht einiges dafür, daß die
Sintflutgeschichte in etwa so erzählt worden ist, bevor sie
monotheistisch auf Jahwe bezogen umstrukturiert worden ist. Es ist
eine zutiefst religiöse Geschichte und soll deshalb als Kontrast zur
säkularisierten Fassung der Predigt hier nacherzählt werden.
3. Die Ursprungserzählung
Pures
Entsetzen herrschte im Götterhimmel. Unerträgliches Geschrei drang
Tag und Nacht zum Himmel empor. Eine Kakophonie des Grauens. Nur
Böses im Sinne trieben die Menschen auf Erden es so schlimm, sie
sündigten und taten alles, was den Göttern mißfiel. Da
versammelten sich die Götter. Sie beschlossen: „Es war ein Fehler,
daß wir den Menschen schufen. Er ist von Grund aus so böse und
liebt das Sündigen. Lasset ihn uns von der Erde vertilgen, damit wir
endlich wieder unsere Ruhe haben.“ Die Sintflut kam und alles war
wieder in Ordnung.
Aber dann:
Eine Arche schwamm da und auf ihr ein Mann und eine Frau! Göttliches
Entsetzen: „Fängt das jetzt schon wieder alles an?“ Aber ein
Gott erhob seine Stimme: „Urteilt nicht zu vorschnell. Wartet ab,
was gleich geschieht!“ Noah verläßt die Arche und bringt ein
Dankopfer für seine Rettung den Göttern dar. „Liebe
Götterkollegen, wer wird uns denn noch wohlgefällige Opfer
darbringen, wenn es keine Menschen mehr gibt. Sie sind, wie sie sind,
immer zum Bösen geneigt, aber ohne sie kein Opfer für uns.“-
Denkpause- „Wir wollen einen Regenbogen in den Himmel setzen und
wenn immer uns der göttliche Zorn überkommt, daß wir die Menschen
ob ihres Sündigens auslöschen wollen, dann soll er uns daran
erinnern: Wir lassen keine weitere Sintflut über die Menschen
kommen um der Opfer willen.
So
nacherzählt sehen wir klarer, als wenn wir die uns einfach schon zu
vertraute Geschichte in der Bibel nachlesen und vor lauter
Vertrautheit die Pointe der Erzählung überlesen, worum es geht.
Diese Erzählung beantwortet die Frage: Warum gibt es einen
Opferkult? Die jeder Religion so Selbstverständliche eines
Opferkultes kann fragwürdig werden, gerade weil der Mensch ein
In-Fragesteller ist. Die kindliche Frage des Warums richtet sich auch
einmal als Erwachsenenfrage an den Kult. Es spricht einiges dafür,
daß in Israel die Frage des Warums des Opferkultes in der
babylonischen Gefangenschaft aufkam. Denn im Exil durften die
Priester Gott keine Opfer mehr darbringen, weil der einzig legitime
Ort dafür der Tempel in Jerusalem war und ist. Als Ersatz wurde
dann im Exil wohl ein Wortgottesdienst kreiert als Vorform des
heutigen Synagogengottesdienstes.Gab es dann eine solche Praxis,
evozierte das die Anfrage: wozu überhaupt ein Opferkult? Reicht
nicht der Wortgottesdienst? Der Monotheismus der biblischen
Erzählung spricht auch eher für eine exilisch- nachexilische
Entstehungszeit.
4. Eine Kultätiologie
Warum opfern
wir Gott?, ist also die Frage, die diese Erzählung respondiert. Es
muß ja auffallen, daß wir in der Bibel viele Bestimmungen über die
Weise des Opferns lesen können,
aber keine Begründung dafür finden, warum denn überhaupt geopfert
wird. Statt einer begrifflich explizierenden Erörterung dieser Frage
gibt uns die hl. Schrift eine Erzählung als Antwort auf diese Frage.
Es ist eine Kultätiologie. Das einmalige Opfer Noahs steht hier für
Opfer des Jerusalemer Tempels, indem das Opfer Noahs den Opferkult
legitimiert.
Es ist das
Signifkanteste der Predigt, daß sie mit dem Opfer Noahs überhaupt
nichts anzufangen weiß und es deshalb streicht. Wenn der Mensch der
Verursacher wie auch der Verhinderer möglicher Naturkatastrophen
ist, dann paßt in diesen damit markierten Vorstellungsraum kein
Gott wohlgefälliges Opfer und schon gar nicht ein Opferkult.Die
Predigt hat ihr Zentrum in dem Glauben an den umkehrwilligen
Menschen. Er ist zwar der Urheber aller möglichen Naturkatastrophen-
aber er ist auch ein Subjekt, das sein Fehlverhalten einsehen und so
vom Zerstörer zum Erhalter der Welt sich wandeln kann. Dieser Glaube
an den Menschen macht einen Opferkult nicht nur überflüssig, nein,
er widerspricht ihm sogar. Auch die Verheißung, daß Gott um des
Opfers willen keine weitere Sintflut mehr wirken will, muß dann
eskamotiert werden, damit der Mensch, allein auf sich gestellt, sich
ganz seiner Schöpfungsverantwortung stellt. An ihm allein liegt es,
daß die Schöpfung erhalten bleibt, wie er allein auch die Potenz
zum Nichten der Schöpfung besitzt. Denn der Opferkult setzt dagegen
eine dem diametral entgegengesetzte Weltsicht: Gott ist der Urheber
der Naturkatastrophen und Gott ist es auch allein, der sie verhindern
kann. Nicht der Mensch, sondern Gott steht im Zentrum dieser
Weltanschauung.
Somit haben
wir jetzt erst die wichtigste Verschiebung vor Augen: Da wo die
Predigt den umkehrwilligen und umkehrfähigen Menschen in den
Mittelpunkt stellt, da stellt die religiöse Erzählung den
umkehrfähigen und umkehrwilligen Gott hin. Die polytheistische
Erzählung hat nun einen Vorteil. Sie kann die Umkehr Gottes
erzählerisch darstellen als eine Meinungsdifferenz unter den
Göttern. Die einen wollten die Auslöschung der Menschheit und der
andere wollte das Weiterleben der Menschen. Der eine Gott überzeugt
nun die anderen Götter mit dem Argument: Wer soll uns dann noch
Opfer bringen, wenn wir alle Menschen ausgelöscht haben? Die Götter
wenden sich dann, so überzeugt, ab von ihrem Vorhaben, die
Menschheit endgültig auszulöschen.
Es ist also
eine Umkehr der Götter, die durch das menschliche Opfer gewirkt ist.
Das ist das tiefste Geheimnis des Opferkultes, das uns hier offenbart
wird. Soll diese Erzählung nun monotheistisch umgeformt werden,
verlangt dies, die Umkehr in den einen Gott zu denken. Das heißt:
Gott wollte die Menschheit auslöschen, aber um des Opferkultes
willen verzichtet er darauf, sie noch einmal auslöschen. Wo die
säkularistische Predigt ihr Zentrum im umkehrfähigen Menschen hat,
hat die religiöse Erzzählung ihr Zentrum im umkehrfähigen Gott und
sagt, daß der Opferkult Gott zur Umkehr veranlassen kann. Man könnte
es geradezu als vorweggenommene Kritik einer säkularistischen
Umdeutung dieser Erzählung ansehen, daß sie vom Menschen keine
Umkehr zum Guten erwartet: Er ist, wie er ist und so bleibt er, ein
zum Bösen Geneigter. Nicht gründet sich Gottes Umkehr darauf, daß
er auf eine zukünftige Umkehr und Besserung des Menschen hofft.
Nein, das Wunder ist, daß der Mensch, obwohl er so ist, in der
Gestalt des Noah Gott wohlgefällige Opfer darbringen kann. Damit ist
aber noch etwas präfiguriet: daß die Priester als Nachfolger Noahs
auch ein Stand sein müssen, der sich vom allgemeinen Leben
absondert, um so fähig zu sein für den Opferkult. Diese
Absonderung ist seine Heiligkeit.
5. Die Grundentscheidung
der Säkularisierung der Religion.
Die
Grundentscheidung der säkularisieren Predigt ist die, daß Gott
nichts mit dem Leid zu tun hat. Es gibt Naturkatastrophen und anderes
Unglück, was Menschen treffen kann. Für die religiöse Weltsicht
sind das nicht einfach weltimmanente Ereignisse, die mit Gott nichts
zu tun haben. Und weil Gott der Urheber ist, ist er auch das Subjekt,
das solche Katastrophen verhindern kann . Darum wendet der religiöse
Mensch sich an Gott. Wenn nun aber das Subjekt der Katastrophen wie
auch der Verhinderer solcher Katastrophen allein der Mensch ist, dann
avanciert er zu dem Adressaten der Bitte, der Aufforderung: Kehre um.
Dieser Appell ersetzt so das kultische Gott dargebrachte Opfer.
Darum muß nun auch die Anthropologie des Menschen geändert werden.
Er muß gelten als ein Wesen, daß bereit ist, auf Grund von
vernünftigen Einsichten, sein Tun zu ändern. Dieser so imaginierte
Verunftmensch bedarf dann auch keiner göttlichen Eingebungen, denn
es reicht ja , wenn er vernünftig lebt.
In moderner
Theologie korreliert dabei der umkehrfähige und umkehrwillige Mensch
mit dem umkehrunfähigen Gott. Die Unfähigkeit Gottes zu einer
Umkehr wird dabei in verschiedensten Variationen entfaltet. Sie
lassen sich aber auf ein Grundmodell zurückführen, auf das alle
Konzepte fußen. Weil Gott vollkommen ist, kann er nur das
Vollkommene wollen und wirken. Das will und wirkt Gott aber
wesensnotwendig immer. Deshalb kann Gott weder durch ein Opfer noch
ein Gebet dazu bewegt werden, etwas zu wollen oder zu wirken, das er
ohne das Opfer oder das Gebet nicht gewollt hätte. Entweder ist das,
worum Gott gebeten wird, das Vollkommene, dann wirkt er es auch ohne
das Gebet oder es ist nicht das Vollkommene, dann kann Gott das Gebet
nicht erhören, weil er nur das Vollkommene wollen und wirken kann.
Deshalb kann Gott weder Opfer noch Gebete erhören. Kant bezeichnet
dann ja in seiner Schrift der Religion in den Grenzen der Vernunft
den Opferkult und den Glauben an Gebete, die Gott erhören könne als
den „Afterdienst“ der Religion.Das einzige, womit der Mensch sich
Gott wohlgefällig machen könne, sei das Streben nach der rechten
sittlichen Gesinnung. Wenn also in der Kirche gebetet wird, ist das
nur der Appell des Menschen an sich selbst, sittlich zu leben.
Typisch
hierfür ist die Meinung des modernistischen Jesuiten
Keller:„Außerdem schließt bereits die Absolutheit Gottes es aus,
er könne auf irgendeine Weise durch die Welt betroffen oder
beeinflusst werden.“1
Gemeint ist damit zweierlei: Gott ist so
absolut, daß eine Sünde ihn gar nicht berühren könne, und Gott
ist so absolut, daß Gott kein menschliches Gebet erhören kann. „Es
widerspricht dem Glauben, durch unser Beten werde Gott veranlasst
etwas zu tun. Das Neue Testament sagt: „Gott ist Liebe“ (1.Joh
4,8 und 16). Er ist nicht 99 Prozent Liebe, nicht noch zu steigern,
er ist völlig und pur und allein Liebe. Nichts kann ihn bessern; und
wenn alle Menschen tausendfach beteten, würde er um kein Jota
gütiger und gnädiger, weil er bereits völlig reine Güte ist, die
uns immer schon überschüttet mit unendlicher Liebe. Nur ein
Irrglaube kann meinen, Gott sei mit Beten zum Guten zu bewegen. Gott
ist unbewegbar.“2In
dem Begleitmaterial zur Fernsehsendereihe „Credo-Glaube und
Bekenntnis der Christen“, im Auftrage der Katholischen
Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung liest sich das so:
„ Es widerspricht unserem Glauben zu meinen, wir könnten Gott
veranlassen, etwas Gutes zu tun, indem wir ihn bitten. Warum? Weil
wir glauben, daß Gott die Liebe ist. Die Liebe, d.h. nicht irgendein
knauseriger Liebender, der seine Gaben abzählt und nur unter
Bedingungen gibt. Gott ist Liebe ohne Vorbehalte, ohne Grenzen,
unendlich, über alles Fassen hinaus. Er begegnet uns unaufhörlich
mit seiner grenzenlosen Liebe und jedem gleichermaßen, allen
Menschen ohne Unterschied. Er macht sich nicht abhängig, nicht
einmal von der miserablen Verfassung unserer Herzen. Er überschüttet
Sünder und Heilige gleichermaßen mit unendlicher Liebe.“3
Am Anfang
der Umformung stand ein einfacher Gedanke: Weil Gott nur die Liebe,
nur gut ist, kann und darf er nicht als strafender gedacht werden. Es
muß also die biblische Rede vom strafenden Gott entmythologisiert
werden, indem das, was in den biblischen Erzählungen als Strafe
Gottes dargelegt wird, als ein weltimmanent hinreichend erklärbares
Ereignis umgedeutet wird. Es war eben einfach eine Naturkatastrophe,
es war 586 v. Chr. einfach eine militärische Niederlage Jerusalems.
Die theologische Deutung dieser Ereignisse als Strafe, die die Bibel
vollzieht, ist dann für uns Aufgeklärte inakzeptabel, weil wir
wissen, daß Gott nur die Liebe ist. Wenn das Ereignis ein rein
weltimmanentes ist, dann ist in der Regel der Mensch der Urheber
und so liegt es dann auch in seiner alleinigen Kompetenz, solche
weltimmanenten Widerfahrnisse zu verhindern durch eine Steigerung
seines vernünftigen Handelns in der Welt. So verabschiedet diese
theologische Konstruktion Gott ganz aus ihr, um dann den Menschen als
alleiniges Handlungssubjekt übrigzulassen.
Damit ist
wohl der Wesenszug des Projektes der Moderne erfaßt: Das, was der
religiöse Mensch von Gott erhoffte und ersehnte, das soll nun die
alleinige Aufgabe des Menschen sein. Dies ist die Geburtsstunde der
Politik im emphatischen Sinne. Das Zentrum der christlichen Religion
bildet eine große religiöse Erzählung: die von der Schaffung der
Welt und des Menschen, sein Sein im Paradies, sein Fall aus ihm als
selbstverschuldeter und Gottes Wirken zur Rettung und Erlösung des
Menschen durch das Kreuz Christi und die Gründung der Kirche auf das
Ziel des Reich Gottes hin. In diesen Erzählrahmen hineingestellt
bekommen dann erst die Begriffe der Theologie ihre reale Bedeutung.
Die Moderne säkularisiert nun diese Erzählung , indem sie sie
politisiert. Nun ist es die Aufgabe des Menschen, sich aus seiner
selbstverschuldeten Entfremdung zu emanzipieren, um dann in einer
erlösten Welt erst als wahrer Mensch zu leben. Politik im
emphatischen Sinne meint dann genau diese Aufgabe der menschlichen
Selbsterlösung. Und so war die erste wirklich politische Tat des
Menschen die Französische Revolution. Alles Elend und Leid der Welt
muß nun als ein von Menschen selbst Verschuldetes begriffen werden,
sodaß so auch der Mensch sich dazu konstituiert sieht, dies Elend
und Leid zu beseitigen. Das Experiment des Kommunismus in Rußland
darf und muß so als das radikalste Konzept der Säkularisierung der
Religion im Geiste der Moderne begriffen werden. Das endgültige
Scheitern dieses Konzeptes 1989 signalisiert so auch das Ende des
Projektes der Moderne, wie es Lyotard so treffend auf den Punkt
bringt, wenn er urteilt, daß die Postmoderne sich auszeichnet durch
den Verlust der großen Erzählungen von der Emanzipation des
Menschen aus seiner selbstverschuldeten Entfremdung.
Angesichts
dieses Hintergrundes wird das Besondere dieser Umformung der
biblischen Erzählung von der Sintflutgeschichte verständlich. Der
Kern der Erzählung, daß Gott es ist, der umkehrt, daß es ihm reut,
daß er die Menschheit auslöschen wollte angesichts des Opfers Noah
, ist für die Moderne unzumutbar.Es ist die alleinige Aufgabe des
Menschen, umzukehren, sich zu versittlichen und dazu mag die Religion
ein paar helfende Impulse freisetzen, aber eigentlich reicht es ,
wenn der Mensch das täte, was er von seiner Natur her auch kann,
daß er vernünftig sein Leben gestalte.
Darum
braucht der moderne Mensch auch keine Propheten mehr, keine
Offenbarungen, sondern nur seine Vernunft. Aber so entschließt sich
der Mensch auch, ohne die Verheißungen Gottes leben zu wollen, denn
nun steht er allein vor der Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren und
sie vor dem Untergang zu bewahren. Der Mensch will ganz an Gottes
Stelle treten und bewahrheitet damit Nietzsches Votum: Gott ist tot,
wir haben ihn getötet. Den Anfang dazu bildete ein
Gottesverständnis, daß Gott so vollkommen ist, daß er faktisch
nichts mehr kann und so den Tod Gottes in der Moderne präparierte.
Gott starb an seiner Vollkommenheit, die eine gelebte Religion
verunmöglichte, wie sie uns exemplarisch das Opfer Noahs vor Augen
stellt.
6. Was wird
aus dem Gottesdienst?
Dies hat
Auswirkung für die Gestaltung der Messe. Denn nun muß der Mensch zu
dem Zentrum der Messe werden, auf ihn hin wird der einstige
Gottesdienst ausgerichtet. Der Gottesdienst soll nun den Menschen
belehren und zu einem angemessenen Tun aufrufen. Das ist die
Geburtsstunde der anthropozentristischen Wende, die ihren Grund hat
in der These, daß ein Gottesdienst nur in Hinsicht auf Menschen
wirksam sein kann, denn Gott ist so vollkommen, daß für ihn einen
Gottesdienst zu halten, ein sinnwidriges Unterfangen ist. Denn Gott
ist unbewegbar. Dies veranschaulicht die Einführung des
Volksaltares, der den Endruck erweckt, als wenn die Kirche das
Meßopfer nicht Gott darbrächte, sondern daß das eigentliche
Anliegen der Eucharistie eine Mahlfeier ist. Daß Noah aber das Opfer
Gott darbrachte, wird dabei diesem Anthropozentrismus geopfert. Das
ist nun kein zufälliges Vergessen der eigentlichen Ausrichtung
kultischen Handelns, sondern ist die Konsequenz aus einer
Gottesvorstellung, die es nicht erlaubt, von Gott auszusagen, daß er
Opfer und Gebete erhören kann. Deshalb kapriziert sich ein modern
gestalteter Gottesdienst allein auf den Menschen, denn nur er ist
veränderbar, in der modernen Konzeption primär im moralischen
Sinne, während postmoderne Konzeptionen den Eventcharakter, also den
Unterhaltungswert betonen. Den Anfang dafür bildet das vergessene
Noahopfer.
1Keller,
A., SJ, Grundkurs des christlichen Glaubens. Alte Lehren neu
betrachtet, 2011, S.301.
2Keller,
A., SJ, a.a.O. S.483.
3Credo,
Glaube und Bekenntnis der Christen Bd.1, Hrsgb:
Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung e.V. Redaktion:
Dr. Hubert Abreß, 1987, S.57.
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