Mittwoch, 2. Dezember 2015

Über die Versuchung einer materialistischen Anthropologie

"Man stelle sich eine Anzahl von Menschen vor, in Ketten geschlagen, die alle zum Tode verurteilt sind, von denen alle Tage einige vor den Augen der anderen erdrosselt werden: die übrigbleiben, erkennen ihre eigene Lage in der ihrer Schicksalsgenosse, sie betrachten einander mit Schmerz und ohne Hoffnung, wartend, bis die  Reihe an ihnen ist. Das ist ein Gleichnis vom Zustande der Menschen." Blaise Pascal, Gedanken, Die Aufforderung zu suchen, 6.

"Denn es ist nicht zu bezweifeln, daß die Zeit dieses Lebens nur einen Augenblick währt, daß der Zustand des Todes ewig ist, von welcher Natur er auch sein mag".Pascal, Gedanken, Die Aufforderung zu suchen, 3.

" Es ist unzweifelhaft, daß es für die Moral einen gewaltige Unterschied bedeuten muß, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist." Pascal, Gedanken, Aufforderung zu suchen, 10.

Dem widerstreitet nun eine materialistische Anthropologie, die die Moderne bestimmt. So befremdlich es auch klingen muß. Sie stammt von dem griechischen Philosophen Epikur und besticht durch ihren einfachen und klaren Gedankengang. Das Beweisziel Epikurs ist, daß es meinen Tod nicht geben kann. Der Beweis: Solange ich bin, ist der Tod nicht, ist der Tod, dann bin ich nicht mehr und so gibt es und kann es nie meinen Tod geben. Der Ausdruck: "mein Tod" ist so sinnwidrig wie der Ausdruck: ein eckiger Kreis.  Der Mensch in dem Gefängnis der Zutode Verurteilten fürchtet etwas, was es gar nicht geben kann: meinen Tod. Der Zustand des Todseins ist und kann nicht für mich ewig sein, denn damit er für mich ewig sein könnte, müßte ich sein, damit er für mich ewig sein kann. Ich kann den Tod als ewigen nur mir imaginieren als einen mich ewig betreffenden Zustand, solange ich bin, bin ich nicht mehr, kann es für mich auch nichts Ewiges mehr geben. Weil die Seele (das Ich) sterblich ist, kann es für mich den Tod nicht geben, so lautet resümierend Epikurs Antithese zu dem Gedankengang Pascals. Unübersehbar ist nun, daß in der Gegenwart sich diese altgriechische Vorstellung vom Todsein durchgesetzt hat, sie wurde populär. "Plato zur Vorbereitung auf das Christentum" notiert Pascal- wir dürfen hinzufügen: Epikur als Verhinderer des Christentums.

These 1 
Die christliche Religion ist viel stärker als man gemeinhin meint, fundiert in der Philosophie. Eine falsche Philosophie untergräbt die christliche Religion. Die positive  Rezeption Epikurs im Protestantismus, anfangend in der Zeit der Weimeraner Republik ermöglichte es zuerst im Protestantismus, "christlich" zu glauben, ohne die Hoffnung auf das ewige Leben. Die Ökumene infiltrierte dann den Katholizismus mit dieser Vorstellung. 
These 2 
Epikurs Todesversändnis führt nun dazu, daß, weil der Tod nicht mehr zu fürchten ist, weil es ihn nicht als den meinigen geben kann, der Mensch sich nur noch sorgt: Wie muß ich mein Leben führen, damit ich am Ende gut sterben kann und den Tod ansehen kann als den Schußpunkt meiner Autobiographie, die in diesem Punkte ihren Abschuß findet? Das Ideal des guten Todes als des natürlichen Endes des Lebens entsteht so und verdrängt erfolgreich die theologische Erkenntnis des nicht zum Leben dazugehörenden Todes. Für die kirchliche Verkündigung hat dies zur Folge, daß statt der Überwindung des Todesschicksales durch Jesus Christus der natürliche Tod als ein ewiges Schlafen verkündet wird- gerade am Grabe.  Populär ausgedrückt: totsein ist, wie am Sonntag schlafen gehen und wenn dann nie wieder ein Wecker mich herausruft aus dem Schlaf: Aufstehen, Arbeiten! Wozu da noch angesichts solch einer sonntäglich nächtlichen Schlafidylle an Jesus Christus als den Erlöser vom Tode zu glauben.
These 3
Jesus Christus ist der Lehrer der Überwindung des Todes: Wie habe ich zu leben, um nicht dem ewigen Tode  zu verfallen? Aber wie soll die Antwort auf diese Frage sich noch Gehör verschaffen, wenn der Mensch sein Todsein gar nicht mehr fürchtet, weil er weiß, daß es den als den seinigen gar nicht geben kann und er stattdessen nur zu fürchten hat, daß er stirbt, bevor er sein Leben befriedigend abgeschlossen hat? Das Großprojekt der Humanisierung der Welt inkludiert immer auch das Ziel, daß jedermann alt und lebensssatt wie Abraham sterben könne, daß so der Tod als Schlußpunkt einer zu Ende geschriebenen Autobiographie erscheinen kann. Diese materialistische Anthropologie verführt also dazu, daß der Mensch -gegen Pascal- sich nur noch sorgt: Wie kann mir mein irdisches Leben so gelingen, daß ich am Ende zufrieden sterben kann? Die Verkündigung der Kirche hat sich dieser materialistischen Todesvorstellung weitestgehend eingepaßt, sodaß nun auch sie ihre Hauptaufgabe in ihrem Beitrag zur Humanisierung der Welt sieht, daß eben alle alt und lebenssatt sterben können. 
These 4
Die heutige Debatte um den Freitod und einer möglichen Beihilfe zum Freitod ist nicht verstehbar ohne die darin subkutan lebende Vorstellung, daß der Tod als reine Negation meines Iches den meinigen Tod unmöglich macht. So kann er als "ewiges Schlafen" verzeichnet einem Weiterleben als vorziehbar erscheinen. Ökonomisch formuliert: Wenn der Tod durch die Null ausgedrückt wird, dann  ist ein Weiterleben in nur noch roten Zahlenschreiben demgegenüber ein negatives Leben, daß man beenden möchte wie ein Geschäftsmann sein Unternehmen schließt, wenn es keinen Gewinn mehr verspricht und es nur noch ein mehr an  Schuldenmachen erwarten läßt.                                       

So paradox es auch klingen muß: Das Todsein ist nur als das meinige Todsein aussagbar, wenn ich mich denke als ein Subjekt, daß das Sterben "überlebt" und dann den Zustand des Todseins als mich betreffenden mir selbst zuschreiben kann. Das ist die Unsterblichkeit der Seele, die nur so den Tod als ewiges Schicksal begreifen kann, also als Sein in der Hölle oder als Sein im Himmel als das ewige Leben. Ist aber der Tod die reine Nichtung des Iches, dann kann es weder mein Todsein noch mein ewiges Leben geben, weil die Grundvorausseetzung für beide Vorstellungen, das Ich als durch den Tod genichtet vorgestellt wird. Diese reine Nichtbarkeit des Iches ist nun die Substanz jeder materialisischen Anthropologie, die als solche die Fundamente der christlichen Religion auflöst.  Es ist bezeichnend, daß das AT kein materalistisches Todesverständnis kennt, sondern von einem Weiterexistieren in einer Unterwelt spricht, sehr ähnlich der griechischen Hadesvorstellung. Die materialistische Anthropologie muß so gerade nicht nur das "spiritueller" erscheinende NT sondern zuvörderst das "realistischere" AT verwerfen!   

Pascals: "Plato zur Vorbereitung auf das Christentum" ist so nicht eine Nebennotiz des sonst angeblich so philosophiekritischen Pascals, der um des Gottes der Bibel willen Plato und die anderen Denker verwarf!      
       

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen