Mittwoch, 29. Januar 2020

Der Untergang lutherischer Theologie ?

Der Untergang lutherischer Theologie ?

Wird nach einem möglichen oder gar real schon geschehenen Untergang der lutherischen Theologie gefragt, muß eine Rechenschaft abgegeben werden darüber, was denn nun unter dieser Theologie verstanden wird. These: Der Kern der lutherischen Theologie ist die Rechtfertigungslehre Luthers. In ihrem Zentrum steht die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, ohne die die lutherische Theologie nicht möglich ist. Das müßte aber ad hoc irritieren, denn wo hört man in der EKD noch von dieser Unterscheidung. Luthers Kritik des Gesetzes bildet dabei die Voraussetzung seines Verständnisses des Evangeliumes. Wenn nach Immanuel Kant das moralische Gesetz uns sagt, das, was wir sollen, das können wir auch kraft unserer Freiheit, unserers freien Willens, denn sonst wäre das Gesetz sinnwidrig, forderte es von uns uns nichts Mögliche, so  ist Luther dazu die Antithese.
Das göttliche Gesetz verlangt von uns, was wir als sündige Menschen nicht vollbringen können. So konstituiert dies Gesetz aber erst den Menschen als Sünder, der das, was er von Gott her soll, nicht vermag. (Warum der Mensch das, was er soll, nicht vermag, diese Frage respondiert Luther verschieden: a) weil er erbsündig ist, b) weil er keinen freien Willen hat, denn sein Wille ist zum Sündigen determiniert oder c) daß, weil Gott monergistisch alles wirkt, der Mensch als Kreatur keinen freien Willen haben kann.)
Das Gesetz ist so von Gott nicht dazu gegeben worden, damit der Mensch es erfülle und so gerecht wird vor Gott, sondern Gott gab es, damit der Mensch erkenne, daß er durch die Werke des Gesetzes nicht vor Gott gerecht werden kann, daß er in Gottes Urteil so notwendig ein Sünder sein muß. Diese Erkenntnis und nur sie führt den Menschen darauf, seine ganze Hoffnung auf Jesus Christus zu setzen, denn seine Gerechtigkeit rechnet uns Gott als die unserige an, wenn wir nur auf Christus vertrauen, glauben, daß er am Kreuze für unsere Sünden gestorben ist. Fordert das Gesetz das Tuen des Menschen, verlangt das Evangelium, daß Jesus Christus für uns gestorben ist, allein den Vertrauensglauben an sein Heilswerk am Kreuze. 
Der  lutherische Glaube erhält so seine eigentümliche Lebendigkeit gerade aus diesem Widerstreit zwischen Gesetz und Evangelium. In der Kirche ist immer das Gesetz zu predigen, damit so der Hörer wieder zum Evangelium getrieben wird als einzige Hoffnung für den am Gesetz sich stets scheiternd Erfahrenen. 
Neben diesem sogenannten "theologischen" Gebrauch des Gesetzes lehrt Luther dann noch einen politisch-moralischen: Um die Sünde einzudämmen, ist das Gesetz auch von der Kirche zu predigen, auch wenn sein eigentlicher Ort der Staat ist, der durch das Gesetz und sein Schwert die Welt äußerlich wenigstens in Ordnung erhalten soll. 
Das Ende dieses genuin lutherischen Konzeptes läutete die Barmer Erklärung ab, von dem Reformierten Theologen Karl Barth inspiriert. Dieses Bekenntnis, 1934 verfaßt war nun nicht nur eine Kampfansage an die mit der nationalsozialistischen Ideologie sympathisiernden Deutschen Christen, (in den evangelischen Landeskirchen sehr stark vertreten), sondern auch ein Angriff auf die lutherische Theologie. Auf das eine Wort (Jesus Christus) sei allein zu hören. Die lutherische Lehre dagegen kennt das Wort Gottes immer nur in der zweifachen Gestalt von Gesetz und Evangelium. Auf das Gesetz und auf das Evangelium sei zu hören. Dieses Konzept griff nun Karl Barth an mit der These, daß dies zweifache Wortverständnis den Boden für die Zustimmung zum Nationalsozialismus bereite. Denn nun würde die Ordnung der Weimarer Republik als Auflösung der göttlichen Gesetzesordnung zur Abwehr der sündigen Neigungen des Menschen gedeutet, wohingegen der Nationalsozialismus eine Wiederherstellung der Gesetzes- und Schöpfungsordnungen Gottes verspräche in Familie, Volk und Rasse. Diese aus dem politisch moralischen Verständnis des göttlichen Gesetzes abgeleiteten Normvorstellungen seien nun gerade keine evangelischen, aus dem Evangelium deduzierte Vorstellungen, denn dies verkünde ja nur die Rechtfertigung des Sünders allein durch seinen Vertrauensglauben. Der Christ bleibt so gerade auch als Gläubiger dem Gesetz als Gottes Wille zugeordnet, das er um seiner politisch moralischen Intention auch bejaht. So konnte der lutherische Christ Ja sagen zu dem Evangelium und die Gesetze des nationalsozialistischen Staates bejahen, da diese die aus der Ordnung geratene Republik wieder in Ordnung brächten.
Seit dem wurde in evangelischen Kreisen kolportiert, daß eigentlich nur reformiert gesonnene Theologen wirkliche Anti-Nazis waren, während die lutherischen eher zu Hitler neigten ob ihres lutherischen Gesetzesverständnis. Nach 1945  setze sich dann schrittweise diese Deutung des Kirchenkampfes durch, das genuin lutherische ist seit dem mit dem Makel einer Affinität zum Nationalsozialistischen behaftet. So verschwand dann die lutherische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Stattdessen trat das Indikativ-Imperativ Schema. Was einst das Evangelium war, wandelte sich zur indikativischen Aussage: Gott liebt uns (alle), und aus dem Gesetz wurde der Imperativ, aus diesem Indikativ Folgerungen zu ziehen: Weil Gott uns alle liebt, haben wir auch alle zu lieben. Weil wir von Gott Geliebte sind, können wir auch alle lieben. Galt Luther das Gesetz als uns als Sünder Überführendes, so ist jetzt der Imperativ das von uns Vollbringbare, weil wir aus dem Indikativ, Gott liebt uns, leben. Dies neue Leben aus dem Glauben bedarf nun genau genommen auch nicht mehr des Gesetzes Gottes, denn nun wird allein hinreichend aus dem Indikativ das von uns zu Tuende ableitbar. 
So kann eben Gottes Allliebe den evangelisch Glaubenden zur Bejahung der Homosexualität wie zu der Auflösbarkeit der Ehe verpflichten, weil das sich aus Gottes Liebe ergäbe. Auch gilt dann der Wille zum Erhalt des eigenen Volkes als lieblos, weil dabei die Fremden ausgegrenzt würden als nicht zum eigenen Volke Gehörige. Ja, selbst die staatliche Ordnung, daß der Staat eine Gewaltordnung ist, daß er mit dem Schwerte regiert, kann plötzlich als unchristlich empfunden werden, weil es keine Ordnung der Liebe ist. (Vgl den christlich motivierten Pazifismus der einstigen deutschen Friedensbewegung) So ist eben gerade die Ablehnung der Todesstrafe ein Ausfluß eines in die Politik einwirkenden Indikativ-Imperativ Schemas.    
Vielleicht war der Bundeskanzler Helmut Schmidt der letzte  lutherisch Denkender im Raum der Politik:
„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen!“ Bismarck soll das gesagt haben. Helmut Schmidt hat es auf jeden Fall gesagt. Dieser Satz meint doch: Der Bergpredigt – und damit der Bibel überhaupt – geht es um den Menschen vor Gott und um sein ewiges Seelenheil. Die Politik hat es dagegen mit der Verantwortung für die Gestaltung der Welt zu tun. Beide Bereiche gilt es feinsäuberlich auseinanderzuhalten, weil in beiden unterschiedliche Regeln gelten."


Mit der Bergpredigt – womit sonst! -

 Dies Bergpredigtchristentum, das der Staat Politik aus dem Geiste des Evangeliumes zu gestalten habe, ist ein typisches Beispiel für die Auswirkung des Indikativ-Imperativ Schemas, während Bismarck und Schmidt die Politik aus dem Gesetz, dem Auftrag zur Erhaltung der Welt und der  Eindämmung des Bösen her gestalten wollten. Mit dem feinsäuberlich Auseinanderhalten ist ja genau das gemeint, was Luther als die Kunst der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium lehrte. 

   

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