Sonntag, 30. August 2020

Die Welt und die Aufgabe des Menschen

"Denken wir uns die Welt als vollendet, so ist alles unser Thun nichts. Wissen wir aber, daß die Welt unvollendet ist, so ist unsere Bestimmung wohl, an der Vollendung derselben mitzuarbeiten." (Friedrich Schlegel)

Hätte Gott eine vollendete Welt geschaffen und dann Adam und Eva in sie hineingesetzt, hätten die Menschen dann noch eine Aufgabe in ihr haben können? Eigentlich nicht. Nur warum gab Gott dann dem Menschen diesen Auftrag: „Seid fruchtbar und mehret euch, und erfüllet die Erde, und machet sie euch unterthan, und seid Herren über die Fische des Meeres, und über die Vögel des Himmels, und über alle Thiere, die sich auf der Erde regen.“ (1.Mose1, 28)?

Fragen wir einmal so: Fehlt all den geschaffen Tieren, ja der ganzen Welt etwas, sodaß all das von Gott Geschaffene erst zu dem wird, was es sein soll, indem der Mensch sich alles Geschaffene unterwirft? „Subjicere“ ließt die Vulgata: Die objektive Welt soll durch den Menschen subjektiviert werden.

Ist das nicht genau das hier von Schlegel gemeinte Vollenden? Der Mensch wird hier nicht eingeschrieben in eine Weltordnung, sondern als ihr Gegenüber inthronisiert, denn ihm ist die Welt als seine Gestaltungsaufgabe überantwortet. Diese exzeptionelle Stellung macht ihn aus. Es muß dabei bedacht werden,daß Gott den Menschen zu dem vor dem Sündenfall beauftragte. Also bezieht sich dieser Herrschaftsauftrag nicht etwa auf die durch die Sünde depravierte Welt sondern auf die von Gott gut geschaffene. So hätte es auch ohne den Fall des Menschen eine Menschheitsgeschichte gegeben, die Geschichte der Subjektivierung der von Gott geschaffenen Welt.

Aber doch muß diese Geschichte, verglichen mit der Realgeschichte nach dem Sündenfall eigentümlich blaß erscheinen. Es fehlte ihr der Mensch in dem Widerstreit zwischen Gut und Böse.Dem menschlichen Leben fehlte die moralische Dimension. Heidegger kritisiert die berühmte Schellingschrift über die menschliche Freiheit so: „Das Böse wird um der Offenbarung der Allmacht des göttlichen Willens der Liebe willen gebraucht und gerechtfertigt.“ (Zizek, Weniger als Nichts, 2016, S.1209). Die Kritik lautet dabei, daß Schelling, weil er Alles aus einem Grundprinzip ableiten will, auch die Freiheit des Menschen zum Bösen, ihn das in eine Systematik treibt, in der alles eingeordnet ist in ein großes Ganzes, das keine Freiheit und keine Geschichte mehr zuläßt.

Das Böse kam durch den Sündenfall in die Geschichte der Menschheit. Ermöglicht nun aber nicht gerade dies Negative, daß der Mensch s moralisch leben kann, weil nun mal die denknotwendige Voraussetzung einer moralischen Handlung die Möglichkeit zu einer unmoralischen ist? Erst durch die Überwindung der Versuchung durch die Schlange hätten sich ja Adam und Eva als moralische Subjekte konstituiert. Wie nun die Menschen in ihrer Geschichte ihr Leben gestalteten in dem Widerstreit des Guten und des Bösen, das ist nun kontingent, aber diese Kontingenz gibt es nur durch den Sündenfall: In einer Welt ohne eine Versuchung zum Bösen könnte es auch nicht ein moralisch gutes Leben geben.

Theologisch muß das Böse immer notwendigerweise als zumindest von Gott zugelassenes gedacht werden, denn nichts kann wider den allmächtigen Willen Gottes sein, auch das Negative nicht. Weil es aber als von Gott Zugelassenes zu denken ist, muß es auch ein um ein gutes Ziel willen Zugelassenes sein, denn Gott kann das Negative ja nicht um seiner selbst willen gewollt haben. (Das gilt auch nach Wilhelm von Ockham, daß Gott das von ihm Nichtgewollte nur wollen kann, wenn er es zuläßt um des von ihm Gewollten, nur daß dann Gottes Freiheit zu betonen ist, daß er wollen kann, was er will.) Aber so ergibt sich, daß jedes theologische Denken notwendig eines ist, daß erst in einem dogmatisch explizierten System seinen Abschluß finden kann.

Der von Gott geschaffene Mensch und die Welt ist so nicht anfänglich schon etwas vollkommen Fertiges, es sind eher Projekte, die ihrer Vollendung bedürfen, daß der Mensch sich die Welt unterwirft und daß er durch den Widerstreit zwischen dem Guten und dem Negativen sich erst zu seiner Humanität entwickeln soll. Wir sind uns selbst eine Aufgabe, eine uns von Gott gestellte.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen