Sonntag, 20. September 2020

Ein Versuch zum Thema: Wahrheit, Macht und Angst


Eine einfache Situation: Eine Frau und ein Mann in einem Eisenbahnabteil, allein da sitzend. Der Mann steckt sich eine Zigarette an. Die Frau: „Hier ist das Rauchen untersagt. Zudem leide ich an Asthma, hören sie bitte mit dem Rauchen auf.“ Der Mann: „Ich rauch, wo ich will!“ „Aber, erwidert die Frau...

Der Mann: „Ich habe Fäuste, noch ein Wort und sie landen in deiner Fresse!“ Dann fügt er noch hinzu: „Dumm bin ich nicht. Ließe ich mich aufs Argumentieren ein, ich wäre chancenlos, denn das kannst du besser als ich. Darum argumentiere ich erst gar nicht und setze ganz auf meine Arm- und Faustkraft.“

Habermas herrschaftsfreier Diskurs setzt eben voraus, daß alle Diskursteilnehmer gleich mächtig/unmächtig sind, sodaß jeder auf die Androhung und Ausübung von Gewalt zur Durchsetzung seines Willens verzichtet.


Was hat diese Geschichte nun mit der Kirche zu tuen? Vielleicht mehr, als wir es wahrhaben wollen. Seit dem gewaltsamen Ende des Thron- und Altarbundes von Staat und Kirche, seit dem Ende der „Konstantinischen Epoche“, sagen wir mal: ungefähr mit dem Sturz der drei großen christlichen Monarchien Europas, der russischen, österreichischen und deutschen, gleicht die Kirche einer Witwe - sie hat ihren Ehepartner verloren, eine Ehe zerbrach gegen ihren Willen durch Revolutionen, anhebend mit der Französischen Revolution. Das heißt, sie mußte wieder lernen, allein, ohne Partner auf sich gestellt zu leben. Nun war diese Ehe sicher oft eine sehr konfliktträchtig im Kampfe darum, wer denn nun in dieser Ehe „die Hosen an hat“, aber es war eine, in der die Kirche immer auch im Schutze des Staates lebte.

Allein, auf Erden zu Haus, das bereitete Angst. Nur daß diese Angst dann durch lautes Getöse übermalt wurde, am offenkundigsten in dem berühmten Kirchenbuch Otto Dibelius: Das Jahrhundert der Kirche.(Der Protestantismus war durch diesen revolutionären Umsturz noch mehr betroffen als die Katholische Kirche.)

Meine These lautet nun, daß das 2. Vaticanum nicht verstanden werden kann, wenn es nicht als Textkörper dieser so verängstigten Kirche gelesen wird, die nur diese Verängstigungsstimmung durch eine simulierte euphorische Aufbruchsstimmung zu überspielen versuchte.

Beispiele mögen das veranschaulichen: Der zur Mariologie vorbereite Text wurde auf dem Konzil abgelehnt, nicht etwa weil er als theologisch nicht angemessen beurteilt worden ist, sondern weil er als zu anstößig für die Protestanten angesehen wurde. Die Kirche dürfe doch nichts lehren, was Protestanten mißfallen könnte. Auch gab es keine Erklärung zum von den Kommunistischen Parteien propagierten Atheismus, denn die Gastdelegation der Russisch-Orthodoxen Kirche erklärte, daß im Falle einer solchen Erklärung sie nicht mehr die staatliche Erlaubnis zur Teilnahme am ökumenischen Dialog erhielte. Es hält sich zudem das Gerücht, daß die Zustimmung zur Religionsfreiheit , gegen die bisherige Lehre der Kirche (wie die meisten heutigen Theologen diese Zustimmung beurteilen) auf das Einwirken freimaurerischer Kräfte zurückgeführt wird . (Auch wenn ich bisher keinen eindeutigen Beweis dafür finden konnte, halte ich dies Gerücht doch nicht für unplausibel.)

Könnte man nicht gar die Tendenz des Konziles als die einer Ängstlichkeit dem modernen Zeitgenossen gegenüber bestimmen, daß die Angst, daß der moderne Mensch die bisherige Lehre der Kirche nicht mehr akzeptieren will, die Willigkeit, sie dem Zeitgeist gemäß umzuformulieren , erst hervorrief. Nicht ein Fortschritt an theologischen Erkenntnissen, ihre Vertiefung etwa motivierte so das Konzil, sondern diese Witwenängstlichkeit: Wie beim modernen Menschen ja keinen Anstoß zu evozieren!

Dieser Ängstlichkeitsgeist, bestimmt der nicht auch den „Synodalen Irrweg“, die Angst vor den Feministin, vor der Homosexlobby und die Angst vor den Vielen, die energisch von der Kirche verlangen, endlich alles zu erlauben und gar abzusegnen, was „im Bett Spaß macht“? Fürchtet diese „Synodale Irrweg“ nicht am meisten die Macht der veröffentlichten Meinung: Wie bekomme ich eine „gnädige Presse“? Kann dies Deformierungsvorhaben wirklich verstanden werden ohne daß diese Witwenängtlichkeit gewahr genommen wird, die Angst, allein einer ihr nicht wohlwollend gegenüberstehenden Gesellschaft zu einem Ärgernis zu werden, paßt sich die Kirche nicht der Welt jetzt an?

 

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