Samstag, 5. September 2020

Irritierendes- Du sollst nicht töten- Tötet Gott

Das Gebot: „Du sollst nicht töten“ stellt Übersetzer und Exegeten stets vor dies Problem: Ist wirklich mit „töten“ oder nicht eher mit „morden“ zu übersetzen? Aber der ob seiner Originalität bekannte Philosoph Zizek verblüfft nun wirklich, wenn er jenseits aller vertrauten Kontroversen der Auslegung dieses Gebotes ernsthaft erwägt, daß Gott der Adressat dieses Gebotes sei! „Was ist, wenn der Adressat des biblischen Gebots >Du sollst nicht töten< letztlich Gott (Jehova) selber ist und wir fragilen Menschen seine dem göttlichen Zorn ausgesetzten Nächsten sind?“ (Zizek, Weniger als nichts, 2016 S.1310). Erläuternd wird gefragt: „Wie oft begegnen wir Gott im Alten Testament als einen finsteren Fremden,der brutal in das Leben der Menschen eindringt und Zerstörung sät?“ (S.1310)

Marcion wäre begeistert, hatte er doch mit diesem und weiteren Argumenten den Gott des Alten Testamentes mit dem Jesu als unvereinbar beurteilt und somit ein von allem Alttestamentlichem freies Evangelium gefordert. (Persönlich kenne ich auch Christen, die das AT ablehnen, weil der Gott da so „unchristlich“ sei!)

Bevor nun diese sicher nicht haltbare Deutung, daß Gott der Adressat dieses Gebotes sein könnte, reprobiert wird, könnte es doch erlaubt sein, zu fragen, ob nicht auch die christliche Religion, wie wohl jede andere auch, ein Wissen um die Möglichkeit des Zornes der Götter oder des einen Gottes in sich trägt: daß eben der Gott, der das Leben gibt und es erhält auch der Vernichter des Lebens ist. Ja, diese Ambiguität verführt ja geradezu zu einer dualistischen Religion, in der der Gott der Liebe und des Guten dem Gott des Zornes und der Vernichtung gegenübersteht. Unsere nicht- dualistische Religion muß so die Vernichtung fast der ganzen Menschheit durch die Sintflut wie auch die Rettung der Wenigen in der Arche Noah ein und demselben Gott zuschreiben.

Das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ gab Gott seinem Volke Israel und als jus naturae allen Menschen. Liegt da der Gedanke wirklich nicht ferne, daß dieses Gebot eines ist, an das sich Gott auch selber hält? Das Gegenargument lautet natürlich: „Quid licet Jovi, non licet Bovi!“ Und nicht nur der Reformator Zwingli erklärt, daß die Gebote Gott selbst nicht binden, da er als absoluter Souverän über dem Gesetz steht.Wenn dem aber so ist, gehört dann zur religiösen Kommunikation wesentlich die Bitte: „Töte Du uns nicht“?, denn wir haben als Sünder vor Dir wirklich mit der Möglichkeit Deines tödlichen Zornes wider uns zu rechnen? Bezeugt die Apokalpse des Johannes nicht unüberlesbar, wie real der göttliche Zorn ist wider die Sünder? Ein einziges Zitat möge zur Veranschaulichung ausreichen: Da wurden die vier Engel losgebunden,die auf Jahr und Monat, auf Tag und Stunde bereitstanden, um ein Drittel der Menschheit zu töten.“ Das ist kein Zitat aus einem Stephen King Roman, sondern steht geschrieben: Offenbarung 9,14. Dieser Gott, der so durch seine Engel, die er eigens dafür bereitgestellt hat, ein Drittel der Menschheit töten werden wird, das ist der selbe, von dem Johannes schreibt, daß Gott die Liebe ist. (1.Johannesbrief 4,8), ja, die Kirche mutet uns gar zu, Johannes als Autoren dieses Briefes und der Apokalypse anzusehen, damit wir nicht meinen, den uns lieben Johannes des 1.Briefes schätzen, die Apokalypse aber als inakzeptabel verwerfen zu dürfen.

Einer der größten Versuchungen in der christlichen Religion besteht so darin, daß wir mit der hl. Schrift umgehen, wie wir in einem Verbrauchermarkt einkaufen: Wir legen in unseren Einkaufswagen, unserem „persönlichen“ Glauben nur das hinein, was uns gefällt und konstruieren uns so Unseren gott! Mein Privatgott. (Im Lateinischen heißt „privo“ berauben, also ist mein persönlicher private Gott der seiner Objektivität beraubter Gott, er ist versubjektiviert.) „Gott, töte nicht- in Deinem Zorn!“, ist so ein wahrhaft christliches Gebet.



Der Tag des Zornes Gottes- so betete die Katholische Kirche, bevor sie Gott domestizierte:



Dies irae


Tag der Rache, Tag den Sünden,

Wird das Weltall sich entzünden,

Wie Sibyll und David künden.


Welch ein Graus wird sein und Zagen,

Wenn der Richter kommt mit Fragen

Streng zu prüfen alle Klagen!


Laut wird die Posaune klingen

Durch der Erde Gräber dringen,

Alle hin zum Throne zwingen.


Schaudernd sehen Tod und Leben

Sich die Kreatur erheben,

Rechenschaft dem Herrn zu geben.


Und ein Buch wird aufgeschlagen,

Treu darin ist eingetragen

Jede Schuld aus Erdentagen.


Sitzt der Richter dann zu richten,

Wird sich das Verborgne lichten;

Nichts kann vor der Strafe flüchten.


Weh! was ich Armer sagen?

Welchen Anwalt mir erfragen,

Wenn Gerechte selbst verzagen?


König schrecklicher Gewalten,

Frei ist Deiner Gnade Schalten:

Gnadenquell, laß Gnade walten!


Milder Jesus, wollst erwägen,

Daß Du kamest meinetwegen,

Schleudre mir nicht Fluch entgegen


Bist mich suchend müd gegangen,

Mir zum Heil am Kreuz gehangen,

Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.


Richter Du gerechter Richter,

Nachsicht üb in meiner Sache,

Eh' ich zum Gericht erwache.


Seufzend steh ich schuldbefangen,

Schamrot glühen meine Wangen,

Laß mein Bitten Gnad erlangen.


Hast vergeben einst Marien,

Hast dem Schächer dann verziehen,

Hast auch Hoffnung mir verliehen.


Wenig gilt vor Dir mein Flehen;

Doch aus Gnade laß geschehen,

Daß ich mög der Höll entgehen.


Bei den Schafen gib mir Weide,

Von der Böcke Schar mich scheide,

Stell mich auf die rechte Seite.


Wird die Hölle ohne Schonung

Den Verdammten zur Belohnung,

Ruf mich zu der Sel'gen Wohnung.


Schuldgebeugt zu Dir ich schrei,

Tief zerknirscht in Herzensreue,

Sel`ges Ende mir verleihe.


Tag der Tränen, Tag der Wehen,

Da vom Grabe wird erstehen

Zum Gericht der Mensch voll Sünden;


Laß ihn, Gott Erbarmen finden,

Milder Jesus, Herrscher Du,

Schenk den Toten ew'ge Ruh. Amen.1



































1Dies irae, In Das vollständige Römische Meßbuch, lateinisch und deutsch, Hrsg von Benediktinern der Erzabtei Beuron 1961, S. (200f).

 

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